Frage an Rainer Wend von Kay S. bezüglich Soziale Sicherung
Lieber Rainer,
auf der Diskussionsveranstaltung in Bielefeld zum so genannten "Bremer Entwurf" des neuen SPD-Grundsatzprogramms lobtest Du Hannelore Kraft für ihr Engagement sich gegen die frühzeitige Selektion innerhalb der Schulen einzusetzen. In einer Bielefelder Zeitung wirst Du mit dem Satz zitiert: "Das muss aufhören, sonst verfestigen sich die Zustände in unserem Land." Dies findet meine uneingeschränkte Zustimmung.
Selektion beginnt dort, wo das notwendige Geld für Bildung und Schule fehlt. Im Regelsatz für ALGII-Bedarfsgemeinschaften ist für Bildung 0€ vorgesehen. Hartz IV Kinder können sich also keine Nachhilfe leisten, an einen Computer, der für den Unterricht immer wichtiger wird, ist erst garnicht zu denken,den Anteil der Kosten für Schulbücher müssen sie sich aus den Rippen schneiden, es sei denn die Kommune - wie in Bielefeld geschehen - zeigt sich einsichtig....
Nun meine Fragen: Gehört Bildung nicht zum soziokulturellen Existenminimun in unserer Wissensgesellschaft, deckt Hartz IV also das soziokulturelle Existenzminimum ab?Ist eine Debatte über die Erhöhung des Regelsatzes - auch aufgrund der Nichtberücksichtigung von Kosten für Weiterbildung von Erwachsenen, der Pauschalisierung der Stromkosten im Regelsatz... - nicht dringend geboten? Setzt Du Dich als Bundestagsabgeordneter unseres Wahlkreises für eine Erhöhung des Regelsatzes ein und wenn ja, wie sehen Deine genauen Vorstellungen aus?
Mit freundlichen Grüßen, Kay Schüffelgen
Vorsitzender des ver.di-Erwerbslosenausschusses Bielefeld/Gütersloh
Lieber Kay Schüffelgen,
es freut mich, dass wir uns über die Notwendigkeit einer anderen Bildungspolitik in Nordrhein-Westfalen offensichtlich einig sind. Deine Schlussfolgerung nach einer Erhöhung der ALG II-Regelsätze teile ich aber nicht.
Ein Grundsatz sozialdemokratischer Bildungspolitik ist es, allen Kindern unabhängig von ihrer sozialen Herkunft den gleichen Zugang zu Informationen, zu Bildung und Wissen zu ermöglichen. Deshalb setzen wir uns für das Recht auf eine gebührenfreie Ausbildung vom Kindergarten bis einschließlich des Studiums und den Rechtsanspruch auf Betreuung ein. Auch der Ausbau von Ganztagsschulen ist ein zentraler Baustein auf dem Weg zu einem offenen, sozial durchlässigen und hoch entwickelten Bildungssystem, da sie eventuell im Elternhaus vorhandene Defizite ausgleichen können. Deshalb hat die rot-grüne Bundesregierung unter Gerhard Schröder den Ausbau von Ganztagsschulen mit der Bereitstellung von 4 Milliarden Euro gefördert.
Für die Gewährleistung der Lernmittelfreiheit, also die kostenlose Bereitstellung von für den Unterricht notwendigen Gegenständen, ist das jeweilige Bundesland zuständig. Es wäre also Aufgabe des Landes Nordrhein-Westfalen für eine ausreichende Ausstattung der Schüler mit Schulbüchern zu sorgen und an den Schulen Computerräume bereit zu stellen, die von allen Schülern genutzt werden können. Die nordrhein-westfälische CDU/FDP Landesregierung hat in ihrem Schulgesetz vom letzten Jahr die Lernmittelfreiheit für Hartz IV-Empfänger und Empfängerinnen allerdings abgeschafft. Seitdem ist es den Kommunen selbst überlassen, zu entscheiden, ob ALG II-Empfänger einen Eigenanteil für Lernmittel zahlen müssen. Die Landesregierung hat die Kosten und die zu erwartenden Konflikte also auf die Städte und Gemeinden abgewälzt und eine sozialpolitisch höchst bedenkliche Ungleichheit zwischen Städten mit hohem Haushaltsdefiziten und finanziell besser gestellten Kommunen geschaffen.
Nun kann es meiner Meinung nach nicht Aufgabe der Bundespolitik sein, von einer Landesregierung getroffene Einsparmaßnahmen auszugleichen. Ich glaube auch nicht, dass eine Bildungspolitik, die allein auf die Erhöhung von Geldtransfers gerichtet ist, vorhandene Defizite unseres Bildungssystems lösen kann. Das kann allein durch die Verbesserung der Strukturen und die Erleichterung des Zugangs zu Bildung gelingen. Deshalb halte ich Maßnahmen wie den weiteren Ausbau der Ganztagsschulen und die Gewährleistung eines kostenlosen Bildungsangebotes für sinnvoller, als die Erhöhung des ALG II-Regelsatzes.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Rainer Wend