Frage an Rainer Stinner von Rene L. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Herr Abgeordneter,
auf Ihrem eigenen Blog schreiben Sie unter dem 22.10.2008 unter dem Thema "Darfur" einen Beitrag, in dem Sie sich gegen den Bundeswehreinsatz dort aussprechen.
Zu dem Konflikt vertreten Sie die Ansicht, "Es gibt in dem Konflikt nicht “die Guten”, die es zu schützen und zu unterstützen gilt. " In Anbetracht der Tatsache, dass dieser "Konflikt", der just nach Beendigung des Bürgerkriegs im Südsudan von der Khartumer Regierung gestartet wurde, zwischenzeitlich von vielen namhaften Organisationen als Genozid eingestuft wird, in dem die Reitermilizen systematisch die dortige Bevölkerung vertreiben und töten, verwundert diese Aussage doch etwas.
Folglich scheint es hier auch keine Bösen zu geben, die morden, vergewaltigen und plündern und systematisch Krieg gegen Zivilisten mit dem Ziel der Ausrottung führen.
Halten Sie diese geheuschelte Neutralität in einem Konflikt, bei dem zwischenzeitlich Tausende von Menschen ums Leben gekommen sind, wirklich für die angebrachte Position?
Sie schreiben weiter:
"Die Bundeswehr würde sich in heillose, von uns gar nicht zu beurteilende Konflikte verstricken. Unsere Soldaten könnten im Zweifelsfall gar nicht unterscheiden, für wen sie denn im Einzelfall Partei ergreifen sollten. Kein Mensch hat eine Vorstellung über eine politische Lösung dieses Konfliktes. Ich möchte nicht die Verantwortung dafür übernehmen, unsere Soldaten in eine solche “Loose-Loose-Situation” zu schicken."
Sind Ihrer Ansicht nach die afrikanischen Truppen besser geeignet, diese "Loose-Loose-Situation" zu meistern? Oder sind Sie der Ansicht, dass in einem solchen Konflikt die Menschen den Reitermilizen schutzlos ausgeliefert sein sollten?
Mit freundlichen Grüßen
Rene Lima
Sehr geehrte Frau Lima,
herzlichen Dank für Ihre Frage, zu der ich einiges klarstellen möchte.
Ich bin natürlich gegenüber Menschenrechtsverletzungen in keiner Weise neutral. Jeder, der solche Verbrechen begeht, gehört bestraft, jedes Opfer solcher Verbrechen verdient Schutz. In einer idealen Welt wären diese Ansprüche auch immer sofort umsetzbar, leider leben wir nicht in einer solchen. Im Mittelpunkt meiner Anmerkung steht die Frage, ob ich es verantworten kann und will, deutsche Soldaten, also z.B. Ihren Mann oder Sohn, schwerbewaffnet nach Darfur zu schicken, damit er möglicherweise in einem Feuergefecht gegen Milizen, Aufständische, Kriminelle?, etc. vorgeht, dabei angreifende Reitermilizen tötet und evtl. selbst getötet wird. Das ist die ungeschminkte Realität eines möglichen effektiven und effizienten Militäteinsatzes in Darfur. Und für diese Verantwortung ist mir die Komplexität und die Unübersichtlichkeit einfach zu groß.
Deshalb ist für mich die Frage: Was können wir leisten? Was sind die Vorbedingungen, die vorhanden sein müssen, damit ein Militäreinsatz positive Wirkung entfalten kann? Eine Vorbedingung ist ein klares Lagebild: wer macht was, warum? Wer ist Täter, wer ist Opfer? Sind die Opfer auch Täter? Eine weitere Vorbedingung ist die Unterstützung eines hinreichend großen und hinreichend politisch organiserten Teils der Bevölkerung. Entsprechendes liegt in Darfur nicht vor. Dort überlagern sich mehrere Konfliktlinien und es gibt überhaupt keine Vorstellung, wie eine dauerhafte Friedenslösung überhaupt aussehen könnte, geschweige denn, wer sie vor Ort aktiv unterstützen würde. Unter diesen Bedingungen kann Militär nicht dauerhaft helfen. Ich kann sehr gut den impulsiven Gedanken nachvollziehen, man müsse doch das akute Morden verhindern. Nur bitte ich Sie eines zu bedenken: Mit diesem Impuls hat der Einsatz in Somalia begonnen und Sie wissen vermutlich, wie er endete. Ich muss in meiner Eigenschaft als Abgeordneter entscheiden, ob ich deutsch Soldaten in lebensgefährliche Einsätze schicke. Ich kann das für mich nur dann verantworten, wenn ich wenigstens eine gewisse Chance sehe, dass dieser Einsatz dauerhaft wirkungsvoll sein könnte. Diese Chance sehe ich in Darfur nicht. Denn ein Weiteres kommt hinzu: Derartige Einsätze dauern nicht nur kurze Zeit. Wenn wir heute nach Darfur gingen, würde das eine jahrzehntelange Verpflichtung bedeuten. Wenn ich sehe, wie ungeduldig die deutsche Öffentlichkeit heute schon auf mangelnde Fortschritte in Afghanistan reagiert, dann glaube ich einfach nicht, dass wir dazu in der Lage sind. Was Ihre letzte Frage angeht: Sie können mir glauben, dass mir die Situation dort genauso nahe geht wie Ihnen. Nur bin ich nicht bereit, wirkungslosen Placebo-Operationen zuzustimmen, die den Menschen vor Ort nicht helfen, sondern nur unser Gewissen erleichtern, und die unsere Soldaten in eine nahezu ausweglose Situation bringen.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Rainer Stinner MdB