Frage an Rainer Stinner von Karl-Heinz W. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Dr. Stinner,
in verschiedenen Medien ist zu erfahren, dass sie in zwei Briefen an das Verteidigungsministerium die Bestrafung eines in der Tat kritischen Bürgers in Uniform, nämlich von Oberstleutnant J. Rose gefordert haben.
Er hat in mehr als einem Dutzend Interviews, unter anderem für das Internetmagazin Telepolis.de, seine Sicht der Entwicklung in der Bundeswehr dargelegt. Kritisiert hatte er insbesondere die Forderung nach einem "archaischen Kämpfer" und den Effekten, die solche Äußerungen von höchster Stelle auf Moral und Sozialverhalten nicht zuletzt der Mannschaftsdienstgrade seiner Meinung nach haben.
Es wurde jedoch nichts bekannt , dass Sie die Bestrafung eines KSK-Mitglieds vorangetrieben hätten, das Oberstleutnant Rose in einem Brief indirekt mit dem Tode bedroht hat und ihn als "unter Beobachtung stehend" bezeichnet hat. Nachzulesen auf den Internetseiten des Arbeitskreises des Darmstädter Signals.
Das KSK-Mitglied erhielt einen milden Verweis, wohingegen J. Rose zur Zahlung eines vierstelligen Eurobetrages verurteilt wurde.
Wo sehen Sie da die Verhältnismäßigkeit? Welchen Typus von Mensch hätten Sie gerne als "Human Ressource" in der Truppe, um Deutschland wo auch immer in der Welt zu verteidigen?
Wann würden sie die Pflicht des kritischen Bürgers in Uniform, sein Gewissen einzusetzen und auf empfundene Missstände und Fehlentwicklungen hinzuweisen, höher gewichten als die "Pflicht zum treuen Dienen" wenn nicht bei der Warnung vor unseligen Entwicklungen, die eine offensive-reaktionäre Ausrichtung der Bundeswehr, entgegen ihrem ursprünglich grundgesetzlichem Auftrag, absehbar erscheinen lassen?
In Erwartung einer Antwort verbleibt hochachtungsvoll,
der besorgte Bürger Karl-Heinz Wernersen
Sehr geehrter Herr Wernersen,
vielen Dank für ihre Frage bzgl. des Disziplinarverfahrens gegen Oberstleutnant Rose. Die Berichterstattung hierüber ist stark verzerrt. Daher nutze ich gerne die Gelegenheit, meine Sicht der Abläufe darzustellen.
Im März diesen Jahres erreichte mein Berliner Büro eine Email (Betreff: "Bundeswehr-Kriegspropaganda gegen Iran") von Herrn Oberstleutnant Rose, die an alle Bundestagsabgeordneten ging und von seiner dienstlichen Adresse versendet wurde.
In dieser Mail machte Herr Rose auf einen Artikel aus dem Intranet der Bundeswehr aufmerksam. In diesem Artikel wird das Atomprogramm des Iran und mögliche Folgen beschrieben. Der Artikel kommt zu dem Schluss, dass ein iranischer Angriff mit Kernwaffen auf Israel als "eher unwahrscheinlich" anzusehen ist. Abschließend wird festgestellt: "Zudem sollten die diplomatischen Bemühungen zur Beendigung der Urananreicherung im Sinne der Resolutionen des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen fortgesetzt oder auch weitere Sanktionen verhängt werden. (...) Eine präemptive Militäraktion der USA gegen Iran gilt als unklug und würde die Lage Israels sowie der USA im Irak und ihr Ansehen in der Region verschlechtern. Früher erwähnte mögliche Luftangriffe – auch durch Israel – auf iranische Einrichtungen würden Irans Regime eher stärken und die dortigen Reformer schwächen. Das Atomprogramm selbst würde nur aufgehalten, nicht aber ausgeschaltet werden."
Der Tenor dieses Artikels im Intranet ist eindeutig. Er redet in keiner Weise einer Intervention gegen den Iran das Wort, genau das Gegenteil ist deutlich ersichtlich.
Herr Rose sah hingegen in diesem Artikel eine "einseitig proisraelische Kriegspropaganda gegen den Iran". Zudem bezeichnete er das Intranetangebot der Bundeswehr als "Desinformations- und Propagandaplattform".
Herr Rose folgerte aus dem Artikel: "Wir dürfen gespannt sein, ab welchem Zeitpunkt unsere glorreiche Truppe Seite an Seite mit den NATO-Verbündeten in den Iran einmarschiert - sorry, letzteres müssen wir streichen, denn das muss ja jetzt heißen: humanitär interveniert - , um vor den Toren Teherans präventiv Jerusalem und Tel Aviv zu verteidigen ...".
Dies ist eine eindeutig völlig verzerrte Interpretation des ursprünglichen Artikels. Nun kann jeder Staatsbürger seine Meinung äußern, auch der Soldat und natürlich auch Herr Rose. Er kann es aber nicht von seiner Dienstadresse aus tun und dann noch dazu auffordern, diese eindeutig verzerrenden Informationen breit zu streuen. Es gibt keinen Arbeitgeber, der das dulden würde. Politische Betätigung von Soldaten und die kritische Begleitung der Sicherheitspolitik ist aus meiner Sicht überaus wichtig und hilfreich. Dabei sollte aber die Trennung zwischen dienstlicher und privater Sphäre gewahrt bleiben.
Die an alle Bundestagsabgeordneten versandte Email von Herrn Rose wurde von meinem Berliner Büro an das Verteidigungsministerium mit Hinweis auf das Soldatengesetz weitergeleitet. Die in den diversen Quellen genannten Informationen über mich sind falsch. Ich habe mich nicht zweimal beim Verteidigungsministerium beschwert, wo denn die Strafe für diesen Offizier bleibe. Eine solche Beschwerde gab es zu keiner Zeit. Mein Berliner Büro hat lediglich auf die Email aufmerksam gemacht. In keiner Weise habe ich versucht, auf etwaige Disziplinarverfahren Einfluss zu nehmen.
Die anderweitigen öffentlichen Aussagen von Herrn Rose zum Zustand der Bundeswehr wurden von mir zu keiner Zeit kritisiert. Es war und ist nicht meine Absicht, kritische Stimmen innerhalb der Bundeswehr zu unterdrücken. Ganz im Gegenteil: Ich würde mir oft eine offenere Diskussion innerhalb und außerhalb der Streitkräfte über unsere Sicherheitspolitik wünschen. Der mitdenkende Soldat im Sinne der "Inneren Führung" bleibt weiterhin der Idealtypus des Soldaten. Die Grundlage hierfür sollte jedoch das Einhalten normaler Spielregeln sein.
Mit freundlichen Grüßen
Rainer Stinner