Frage an Rainer Stinner von Andreas P. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Sehr geehrter Herr Dr. Stinner,
wie der SPIEGEL kürzlich berichtete, gaben Sie gegenüber der Presse zu, Quellen aus dem Internet wie der Onlineenzyklopädie Wikipedia mehr Wahrheits- und Informationsgehalt beizumessen als den eigentlich für Ihre Arbeit als Mitglied des Verteidigungsausschuss bestimmten Berichten des BMVg über die Lage in Afghanistan.
Über Abgeordnetenwatch.de richtete ich erst kürzlich eine ähnliche Frage an Frau Abgeordnete Merten, der Vorsitzenden Ihres Gremiums, die sich nach eigenem Bekunden bestens informiert zu fühlen scheint. Wie kommt es zu dieser Diskrepanz zwischen Ihrem schockierenden Bericht über das schlechte Arbeitsklima zwischen Parlament und Regierungsstellen, der Ihrer Ansicht nach methodischen Beschönigung von Berichten durch die Bundesregierung, und anderseits dem Standpunkt von Frau Merten, die den Informationsfluss als ausreichend zur Sicherstellung der Arbeitsfähigkeit des Ausschusses beschreibt?
Mit freundlichem Gruß,
Andreas Politschek
Sehr geehrter Herr Politschek,
herzlichen Dank für Ihre Frage.
Ich bin mir durchaus bewusst, dass nicht alle Abgeordneten des Deutschen Bundestages, bzw. des Verteidigungsausschusses, meine Kritik an der Informationspolitik der Bundesregierung teilen, trotzdem halte ich sie natürlich weiter für richtig.
Es geht mir um drei unterschiedliche Punkte:
1. Die – vertrauliche - Information der Mitglieder des Verteidigungsausschusses als zuständiges Fachgremium im Bundestag. Hier muss ich feststellen, dass wesentliche Informationen über Einsätze nicht dem gesamten Ausschuss übermittelt werden, sondern lediglich den Obleuten der Fraktionen, die diese Informationen auch nur sehr eingeschränkt an ihre Fachkollegen weitergeben dürfen. Dieses Verfahren ist durch keinerlei gesetzliche Regelung legitimiert. Der Bundestag ist hier nach wie vor auf den guten Willen der Bundesregierung angewiesen. Das halte ich für unzumutbar. Die FDP hat deshalb vorgeschlagen, einen Entsendeausschuss einzurichten, in dem über geheimhaltungsbedürftige Einsätze informiert wird. Die Bundesregierung wäre dann verpflichtet, diesen Ausschuss auf Verlangen umfassend zu informieren. Das wäre eine rechtlich klare Grundlage, die eigentlich auch im Sinne der Bundesregierung und besonders des Verteidigungsministeriums sein müsste. Das derzeitige, ungeordnete Verfahren ist doch oft der Grund für ins Kraut schießende Spekulationen. Noch deutlich schlechter ist die Information der übrigen Abgeordneten. Wenn in norwegischen Zeitungen bei einer Operation, an der auch 300 deutsche Soldaten beteiligt waren, von den „schwersten Gefechten seit dem 2. Weltkrieg“ für norwegische Soldaten die Rede ist, über die gleiche Operationen in Informationen des Auswärtigen Amtes aber nur steht:. "Im Zuge der Operationen kam es zu mehreren Festnahmen von Insurgenten durch afghanische Sicherheitsbehörden." ohne ein Wort zu den Gefechten, dann ist das eine klarte Fehlinformation. Über Bundeswehr-Einsätze entscheiden alle Abgeordneten. Deshalb müssen sie auch ein Mindestmaß an Informationen bekommen.
2. Die Information der Öffentlichkeit.
Es ist ja gut und schön, wenn die verantwortlichen Abgeordneten informiert sind. Was wir aber dringend brauchen ist die öffentliche Diskussion über die Einsätze. Genau die Diskussion, die auch der Verteidigungsminister angeblich immer will. Diese Debatte kann aber nur sinnvoll sein, wenn der Öffentlichkeit auch die wesentlichen Fakten zur Verfügung stehen. Das ist heute nicht der Fall. Die Begründung des Verteidigungsministeriums, dies geschehe zum Schutz der Soldaten halte ich, ganz offen gesagt, für verlogen. Denn was ist zu schützen, wenn die Informationen bereits in aller Detailfreude im Internet stehen? Nun halte ich das Internet und speziell Wikipedia durchaus nicht für das zuverlässigste Informationsmittel. Ich bedaure sehr, dass ich immer auf derartige Quellen angewiesen bin, eben weil die Bundesregierung mauert. Auch wenn ich mit Parlamentskollegen aus anderen Ländern spreche, fällt mir immer wieder auf, dass es eine ganze Reihe von Regierungen gibt, die ihre Parlamente wesentlich umfassender informieren. Oder, ganz selbstkritisch als Abgeordneter: in denen die Parlamente die Information viel nachdrücklicher einfordern.
3. Die tendenziöse Berichterstattung durch die Bundesregierung:
Es ist ja nicht nur so, dass der Öffentlichkeit Informationen vorenthalten werden. Die Bundesregierung erzeugt mit ihrer Informationspolitik systematisch den Eindruck, die Bundeswehr könnte in einem Einsatz wie ISAF Wirkung erzielen, ohne zu kämpfen. Und das ist falsch. Natürlich ist es leichter, die Unterstützung der Öffentlichkeit für einen Einsatz zu erhalten, wenn man die unschönen Aspekte in der Berichterstattung weglässt. Wir Politiker haben aber die Pflicht, die Vor- und Nachteile von Einsätzen deutlich zu machen, und für die Position, die wir für richtig halten zu werben. Das darf aber doch nicht auf der Grundlage verfälschter Informationen beruhen. Dagegen wehr ich mich.
Sehr geehrter Herr Politschek, ich habe meine Kritik wohlüberlegt und keinesfalls vorschnell formuliert. Aber die Gesamtheit der Informationspolitik dieser Bundesregierung, sowohl intern wie auch in die Öffentlichkeit, lässt nach meiner Ansicht keine andere Interpretation mehr zu, als dass hier bewusst versucht wird, eine dringend notwendige Diskussion abzuwürgen.
Die Tatsache, dass sich Frau Kollegin Merten ausreichend informiert fühlt, kann daran liegen, dass Sie
- mehr Informationen als ich bekommt, oder
- als Mitglied einer Koalitionsfraktion die Bundesregierung nicht kritisieren will, oder
- sie einen anderen Anspruch an Umfang und Tiefe von Informationen hat als ich.
Mit freundlichen Grüßen
Rainer Stinner