Frage an Rainer Stinner von Ralf O. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Sehr geehrter Herr Stinner,
1)in der chineischen Volkszeitung befürchtet Mr. Milligan-Whyte, daß die Finanzkirse noch lange nicht vorbei ist und die USA sich quasi"entschulden" und damit den Dollar als internationaler Reservewährung in den Abgrund stürzen könnten. Seine "New School of American-Chinese Partnership" schlägt daher vor, daß die USA und China einen Neubeginn machen sollen.
Die USA solltenihre Außenpolitik sinisieren und sich entsprechend Deng Xiaoping und den 5 Prinzipen der Friedlichen Koexistenz ausrichten.Ökonomisch indem die USA ihre Billionen von Auslandsschulden an China in reale Werte transformieren sollten (equity swap), d.h.daß die US-Regierung sich aktiv chinesischen Investitionen öffnet und gemeinsame sinoamerikanische global ventures gründet, die die materielle Basis für eine neue Art G-2 bilden sollen.Als Vorbild sollte eine chinesische Automobilniederlassung in Europa 45% an General Motors erhalten und dann Global Motors gründen. Ähnliches wird für andere US-Unternehmen, Banken und Ölunternehmen vorgeschlagen.Desweiteren sollten die USA und China eine Art Militärbündnis eingehen.Inwieweit sehen sie diesen Vorschlag als realistisch und wäre für Europa nicht ähnliches denkbar?Wie schätzen sie die Gefahr ein, daß die USA und China gemeinsam gegen den Rest der Welt vorgehen könnten?
2) China hat erstmals mit der Türkei Luftmanöver "Anatolian Eagle" abgehalten. In dem Forum der Volkszeitung wird dies als "desaster for NATO" goutiert.Rücken China, Türkei und Iran näher zusammen. Bleibt die Shanghai Cooperation Organization eine regionale, zentralasiatische Organisation oder sind sie auf dem Weg, eine Anti-NATO zu werden. Chinas Seidenstraßenstratgei hat nun über Zentralasien auch die Türkei, Iran und Girechenland (Kauf des Hafens von Pireäus)erreicht. Wie kann man die Türeki überhaupt noch an die Eu und die NATO binden, wo doch schon chiensiche Kampfflugzeuge über dem Bosporus kreisen und Rußland der Türkei Atomkraftwerke liefert (Atombombe)?
Sehr geehrter Herr Ostner,
für Ihre Fragen bedanke ich mich ganz ausdrücklich. Sie sprechen genau die Probleme an, mit denen sich die öffentliche Diskussion in Deutschland viel zu wenig beschäftigt, weil wir viel zu sehr mit unseren innerdeutschen, maximal innereuropäischen Perspektiven beschäftigt sind.
Zu Ihren Fragen:
1. Mir als Liberalem Ökonomen sind derartige - letztendlich staatlich gesteuerte - Masterpläne für die Wirtschaft natürlich immer äußerst suspekt. Ich glaube auch nicht an ihren Erfolg. Tatsache ist aber andererseits ganz klar, China wird seine riesigen Währungsreserven früher oder später irgendwo wieder investieren. So wie ich die chinesische Führung kennengelernt habe, wird sie dies strikt interessenorientiert tun. Was ja auch ihr gutes Recht ist. Derzeit investiert China größtenteils in Schwellenländern, vorwiegend zur Rohstoffsicherung.
Nach Nordamerika gehen derzeit nur 1% der chinesischen Direktinvestitionen. Das spricht schon sehr gegen ihre These. Wenn ich mir auf der amerikanischen Seite die innenpolitische Diskussion anschaue, dann sehe ich dort auch keine Mehrheit für eine weitere wirtschaftliche Öffnung gegenüber China, sondern eher eine Bewegung hin zu mehr Protektionismus. Was ich für völlig falsch halte und sehr bedauere. Ähnliche Gegensätze machen aus meiner Sicht ein Militärbündnis unmöglich. Schon allein die faktische US-Garantie für Taiwan spricht dagegen. Aber auch sonst haben China und USA im pazifischen Raum wenig gemeinsame Ziele. Ich sähe eine engere Kooperation beider Länder sehr positiv und keinesfalls als Gefahr für die übrige Welt. Ich bin davon überzeugt, die Welt würde eher davon profitieren. Genau deshalb machen mir die Anzeichen von wachsendem Dissenz - Stichwort Währungskrieg - große Sorgen.
2. Die außenpolitische Orientierung der Türkei ändert sich schon seit einigen Jahren. dabei geht es weniger um eine Abwendung von EU und NATO, sondern um den Aufbau weiterer Optionen. Die Türkei arbeitet zielstrebig daran, Konflikte mit Nachbarstaaten abzubauen und sich als "ehrlicher Makler" bei internationalen Konflikten zu positionieren. So ist die Türkei auf dem Balkan sehr aktiv, hat aber auch, gemeinsam mit Brasilien, an einer Vereinbarung mit dem Iran zum Atomprogramm gearbeitet. Was NATO angeht, so sehe ich keine Gefahr, dass die Türkei sich abwendet: es ist niemand in Sicht, der der Türkei ein ähnlich glaubhaftes Sicherheitsversprechen macht, wie die NATO mit Artikel 5.
Mit freundlichen Grüßen
Rainer Stinner