Frage an Rainer Stinner von Julia D. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Sehr geehrter Herr Dr. Rainer Stinner,
mein Name ist Julia Dreyer, bin 16 Jahre alt und gehe derzeit auf das Gymnasium in Neustadt am Rübenberge. Im Fach Politik behandeln wir derzeit das Thema deutsche Sicherheitspolitik. Ich interessiere mich hierbei speziell für das deutsche Engagement in Afghanistan. Ich möchte Sie daher bitten, mir Ihre Sicht zu folgenden Fragen mitzuteilen:
i) In Afghanistan beteiligen sich deutsche Soldaten an Einsätzen, bei denen es immer zu Opfern unter der Zivilbevölkerung kommt. Aktuell sei hier der der alliierten Luftwaffe auf einen entführten Tanklaster genannt, der auf Anforderung eines deutschen Oberst erfolgte. Sehen Sie Opfer unter der Zivilbevölkerung als gerechtfertigt?
ii) Neben den zivilen Opfern sind auch immer wieder Verletzte oder gar getötete deutsche Soldaten zu beklagen. Ist der Einsatz angesichts der Opfer weiterhin noch zu rechtfertigen?
iii) Der deutsche Einsatz in Afghanistan dauert mittlerweile schon viele Jahre an. Wie lange sollen die deutschen Soldaten noch weiterhin im Einsatz bleiben? Wie und wann soll nach Ihrer Meinung der Rückzug erfolgen?
Ich möchte mich an dieser Stelle für Ihre Bemühungen im Voraus bedanken.
Mit freundlichem Gruß
Julia Dreyer
Sehr geehrte Frau Dreyer,
herzlichen Dank für Ihre Fragen, die ich gerne beantworte:
Zivile Opfer sind nie "gerechtfertigt". Jedes zivile Opfer ist zu viel. Die Frage ist aber, wie lassen sie sich verhindern. Ich bin der festen Überzeugung: Wenn die Bundeswehr und die NATO alle Kampfhandlungen einstellen und abziehen würden, dann würde es in Afghanistan mehr zivile Opfer geben als jetzt. Denn dann würde der afghanische Bürgerkrieg völlig ungehindert auf Kosten der Zivilbevölkerung ausgetragen. Wir haben es in Afghanistan mit Gegnern zu tun, die sich bewusst hinter der Zivilbevölkerung verstecken, und ganz bewusst versuchen, zivile Opfer zu provozieren, weil sie genau wissen, dass wir diese verhindern wollen. Diesen Leuten ungehindert das Feld zu überlassen, das kann ich als Politiker nicht verantworten.
Es gibt einen ganz klaren Zusammenhang: je mehr die Bundeswehr versucht, zivile Opfer zu vermeiden, während sie ihren Auftrag erfüllt, desto gefährlicher wird es für die Soldaten. Sie könnten die Gefahr für die Soldaten leicht vermindern, indem Sie einfach bei jeder unklaren Situation Luftunterstützung anfordern. Dann haben Sie aber mit Sicherheit mehr zivile Opfer. Hier den richtigen Mittelweg zu finden, ist nicht einfach. Jeder Bundestagsabgeordnete, der in diesem Jahr der Verlängerung des Afghanistan-Mandates zugestimmt hat, wusste ganz genau, dass der Einsatz für die Soldaten gefährlich ist. Es hätte jedem klar sein müssen, dass deutsche Bundeswehrsoldaten fallen können. Ich habe dem Einsatz in dem Wissen darum zugestimmt. Deshalb ist mir die Zustimmung auch nicht leicht gefallen. Deshalb ändert sich für mich durch solche schrecklichen Vorfälle aber auch nichts an der Sinnhaftigkeit des Einsatzes.
Der Rückzug soll dann erfolgen, wenn afghanische Kräfte die Aufgaben übernehmen können. Das wird ein laufender Prozess sein, der ja auch schon begonnen hat: Es gibt schon Regionen in Afghanistan, in denen die ANA, die Afghan National Army, die Verantwortung für die Sicherheit übernommen hat. Dafür müssen wir aber noch mehr afghanische Soldaten und auch Polizisten ausbilden. Hier hat Deutschland in den letzten Jahren viel zu wenig getan, aber in der neuen Afghanistan-Strategie der Bundesregierung ist es jetzt einer der Kernpunkte und wird deutlich ausgebaut. Wenn da nachhaltige Erfolge sichtbar werden, können die internationalen Kräfte abziehen. Ich halte es aber für falsch, jetzt schon ein festes Datum zu versprechen. Erst müssen wir die Aufgaben dort erledigen.
Mit freundlichen Grüßen
Rainer Stinner