Frage an Rainer Stinner von Anton G. bezüglich Außenpolitik und internationale Beziehungen
Sehr geehrter Herr Doktor Stinner,
die Generalstaatsanwaltschaft Dresden lehnt die Bearbeitung des Falls des Oberst Georg Klein mit dem Hinweis ab, dass dies nicht in ihren Zuständigkeitsbereich falle. Nach Auffassung der Dresdner Juristen liege in Afghanistan ein bewaffneter Konflikt im Sinne des Völkerrechts vor - ein Krieg also.
Bisher ist das ja nur die Einschätzung einer Staatsanwaltschaft, wenn es auch eine recht hoch angesiedelte ist. Was würde es eigentlich bedeuten, wenn jetzt unter diesen Vorbedingungen ein Prozess zustande kommt und damit ein deutsches Gericht anerkennt, dass in Afghanistan ein Krieg im Sinne des Völkerrechts herrscht?
Um die Frage noch genauer zu machen: Die Bundesrepublik führt dann ganz offiziell einen Krieg - aber was denn für einen? Einen Angriffskrieg dürfen wir laut Grundgesetz nicht führen. Ein Verteidigungskrieg ist es aber auch nicht - sonst wäre ja der Verteidigungsfall beschlossen worden, oder nicht?
Ich hoffe Sie können mir bei meinen Fragen weiterhelfen und danke Ihnen im Voraus schon mal für Ihre Mühen. Ich habe diese Frage auch an die Verteidigungspolitischen Sprecher der anderen im Bundestag vertretenen Parteien gestellt.
Mit freundlichen Grüßen
Anton Gorodezky
Sehr geehrter Herr Gorodezky,
herzlichen Dank für ihre Frage.
Was in Afghanistan stattfindet ist definitiv kein Angriffskrieg, der wäre ja auch durch unser Grundgesetz verboten. Das Bundesverfassungsgericht hat aber in einer ganzen Reihe von Urteilen festgestellt, dass dieser Einsatz einwandfrei völkerrechtlich und verfassungsrechtlich legitimiert ist.
Es ist aber natürlich auch kein Verteidigungskrieg im engen Sinne des Grundgesetzes, denn dafür müsste zum einen das Bundesgebiet mit Waffengewalt angegriffen worden sein und der Bundestag müsst diesen Sachverhalt mit Mehrheit feststellen. Erst dann tritt innenpolitisch der Verteidigungsfall ein.
Was ist es also? Es ist ein Kapitel 7-Einsatz der Vereinten Nationen. In der Charta der Vereinten Nationen ist im Kapitel 7 festgelegt, dass der UN-Sicherheitsrat "mit Luft-, See- oder Landstreitkräften die zur Wahrung oder Wiederherstellung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit erforderlichen Maßnahmen durchführen" kann. Das ist 2001 für Afghanistan geschehen und gilt bis heute. Jedes Jahr verabschiedet der Sicherheitsrat eine solche Resolution. In dieser Resolution wiederum ist festgelegt, dass die teilnehmenden Streitkräfte "alle notwendigen Mittel" zur Durchführung ihres Auftrags anwenden können. Damit ist der Einsatz militärischer Gewalt eindeutig legitimiert. Da die Vereinten Nationen nicht über hinreichende eigene Truppen verfügen, haben sie um Hilfe dabei gebeten. Die NATO hat sich bereit erklärt, diesen Auftrag für Afghanistan zu übernehmen. Da alle NATO-Beschlüsse einstimmig gefasst werden, hat auch Deutschland dem zugestimmt.
Soweit die völkerrechtliche Situation. Verfassungsrechtlich ist der Einsatz legitimiert durch Artikel 24 Grundgesetz, Satz 2: "Der Bund kann sich zur Wahrung des Friedens einem System gegenseitiger kollektiver Sicherheit einordnen; er wird hierbei in die Beschränkungen seiner Hoheitsrechte einwilligen, die eine friedliche und dauerhafte Ordnung in Europa und zwischen den Völkern der Welt herbeiführen und sichern."
Das Verfassungsgericht hat in mehreren Urteilen klargestellt, dass die Beteiligung der Bundeswehr an NATO- und EU-Operationen unter dem Dach der UN durch diesen Artikel legitimiert ist.
Viele Menschen in Deutschland glauben immer noch, es gäbe im Völkerrecht eine absolute Souveränität der Staaten und jede militärische Operation, die nicht der direkten Verteidigung des eigenen Staatsgebietes gilt, sei ein völkerrechtswidriger Angriffskrieg. Das ist falsch. Denn Kapitel 7 gibt der internationalen Staatengemeinschaft das Recht, Militäreinsätze zur Sicherung von Frieden und Sicherheit durchzuführen. Man kann gerne darüber diskutieren, inwiefern der Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan sachlich sinnvoll ist, aber an seiner rechtlichen Legitimation besteht nicht der leiseste Zweifel.
Zu Ihrer Frage zum Verfahren gegen Oberst Klein: Die Staatsanwaltschaft Dresden hat in der Tat das Verfahren an die Bundesanwaltschaft abgegeben um zu prüfen ob ein "nichtinternationaler bewaffneter Konflikt im Sinne des Völkerrechts" - so der korrekte rechtliche Ausdruck - vorliegt. Für die Bundesrepublik als Staat hat das wie eben dargelegt überhaupt keine Konsequenzen. Für Oberst Klein hätte es den Vorteil, dass er nach dem Völkerstrafrecht beurteilt wird, das natürlich viel besser auf die spezifische Situation von Soldaten im Kampfeinsatz eingeht, als das allgemeine deutsche Strafrecht.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Rainer Stinner MdB