Frage an Rainer Schneewolf von Hans-Joachim M. bezüglich Umwelt
Hallo Herr Schneewolf,
welche Vorstellungen haben sie, den Verkehr in der Prignitz umweltfreundlicher zu gestalten? Unter Berücksichtigung von Pendlern, Demografie u.ä..
H.-J. M.
Hallo Herr Manthey,
vielen Dank für Ihre Frage! Es wäre sehr hilfreich, wenn es als Grundlage für ihre Beantwor-tung Daten dazu gäbe, welche Wege die Prignitzer an welchen Tagen zu welcher Zeit mit welchem Verkehrsmittel wohin zu welchem Zweck zurücklegen, und außerdem, welche Wege sie machen würden, wenn andere Verkehrsmittel das hergäben. Aber solche Daten gibt es nur sehr ansatzweise, und sie mit Zählungen und Haushaltsbefragungen zu erheben, wäre außerordentlich teuer.
Aber es wäre eine ernsthafte Überlegung wert, solche Daten in einem ländlichen Kreis wie der Prignitz – in einem vom Land bezahlten Projekt – exemplarisch für die Brandenburger Peripherie zu erheben, auszuwerten und dann eine exemplarische Planung zu machen, die sich in ihren Grundzügen auch auf die anderen Außenkreise des Landes übertragen ließe. Vorher wäre natürlich zu sehen, ob es so etwas in einem vergleichbaren Kreis nicht schon gibt. Für Brandenburg ist mir das nicht bekannt.
Also nehme ich Ihre Frage so: Wie könnte man dafür sorgen, dass Wege mit einem umweltfreundlicheren Verkehrsmittel zurückgelegt werden als es heute der Fall ist? Versteht man als „umweltfreundlich“, dass es möglichst wenig Treibhausgase emittiert, dann liefern die folgenden Werte des Umweltbundesamts einen offiziellen Anhalt für die verschiedenen Ver-kehrsmittel. Nach meinen Erfahrungen mehrerer Jahrzehnte in Berlin/Brandenburg würde ich zwar die Auslastung von Nahverkehrszügen, Straßen-, Stadt- und U-Bahn wesentlich hö-her als die der Eisenbahn im Fernverkehr ansetzen, aber das lässt sich mit der Annahme ei-ner höheren Auslastung ja entsprechend umrechnen (von mir dahinter gesetzt). Also:
Treibhausgase in g CO2-Äquivalente pro Personen-km:
Pkw (Auslastung: 1,5 Personen): 139 g [1 P.: 209 g; 2 P: 104 g]
Linienbus (21 %): 75 g [10 %: 158 g]
Reisebus (Auslastung 60 %): 32 g
Eisenbahn Fernverkehr (56 %): 36 g
Eisenbahn Nahverkehr (27 %): 60 g [54 %: 30 g]
Straßen-, Stadt- und U-Bahn (19 %): 64 g [57 %: 21 g]
Flugzeug (82 %): 201 g.
(Daten: Umweltbundesamt, 13.11.2018; Bezugsjahr 2017)
Man sieht, dass ein mit zwei Personen besetzter Pkw mit 104 g pro Pkm weniger emittiert als ein zu 10 % besetzter Linienbus mit 175 g pro Pkm. Das ist – als eines der Kriterien und nicht als wichtigstes - zu berücksichtigen bei der Entscheidung, ob ein Dorf an den Linienverkehr angebunden werden soll oder nicht. Es ist aber natürlich kein Argument, den Pkw zu benutzen, wenn der Bus ohnehin fährt. Und der mit einer Person besetzte Pkw hat immer noch mehr Emissionen. Das vorweg.
Am umweltfreundlichsten, da emissionsfrei (sieht man mal von der Herstellung eines Fahrrads oder von Schuhen ab, aber die Fahrzeugherstellung wurde bei den anderen Verkehrs-mitteln ja auch nicht berücksichtigt) sind Wege zu Fuß und per Rad.
Zu Fuß zu gehen hat hinsichtlich der Verkehrsmittelwahl den großen Vorteil eines äußerst geringen „Fahrtantrittswiderstands“. Das heißt: Man muss nicht erst das Fahrrad aus dem Keller oder das Auto aus der Garage holen, um den Weg zu beginnen. Um das Gehen angenehmer zu machen, sollten, sofern Platz ist, hier und da Sitzgelegenheiten aufgestellt werden, vielleicht mit einer zusätzlichen Möglichkeit, seine Einkaufstasche abzustellen oder einem Tischchen, um eine Flasche oder die Tüte mit einem Stück Gebäck darauf zu platzieren. Damit bekommt der Straßenraum auch wieder ein Stück mehr Aufenthaltsquailität.
Gehwege sollten einen rollatorenfreundlichen Belag haben, ebenso alle Straßenübergänge an Kreuzungen, auch dann, wenn die Straße selbst gepflastert ist. Bordsteine an Kreuzungen und Einmündungen sollten für Menschen mit Rollatoren und Rollstühlen abgesenkt sein. Die Gehwege müssen strikt von parkenden Motorfahrzeugen freigehalten werden. Es sollte eine Freude sein, möglichst viele Wege zu Fuß zurückzulegen. Das ist die gesündeste, erlebnisreichste und kommunikativste Weise, sich zu bewegen.
Dazu gehört natürlich unbedingt, dass die Unfallgefährdung auf diesen Wegen gegen Null geht. Nach freundlicher heutiger Auskunft der Polizeidirektion Nord in Neuruppin ereigneten sich 2018 in der Prignitz insgesamt 2.892 Verkehrsunfälle, davon wa¬ren 238 mit Personenschaden. Zwei Menschen verloren dabei ihr Leben und 326 Personen wurden verletzt, 89 davon schwer (d.h. sie wurden stationär in einem Krankenhaus aufgenommen).
Fußgänger waren an den Gesamtverkehrsunfällen in 23 Fällen beteiligt (also an 0,8 % der Unfälle). 21 wurden dabei verletzt, fünf davon schwer. Das Statistische Jahrbuch Branden-burg sagt ergänzend hierzu noch, dass bei elf Unfällen die Ursache falsches Verhalten gegen-über Fußgängern war, bei vier Unfällen Fehlverhalten der Fußgänger. Rest offen. An 84 Verkehrsunfällen (2,9 % der Unfälle) waren Radfahrer beteiligt. Dabei wurden 58 Personen verletzt, davon 21 schwer. Bei 55 Verkehrsunfällen (65 % der Unfälle mit Radfahrern) waren die Radfahrer selbst Verursacher des Unfalls, und bei 38 (also bei gleicher Prozentzahl) bei den Verkehrsunfällen mit Verletzten.
Unfallorte, u.a. mit Unterscheidung der daran beteiligten Verkehrsarten, findet man im Netz unter unfallatlas.statistikportal.de/?BL=BB . Wenn man sich dort in der Prignitz heranzoomt, findet man z.B. – was nicht weiter verwundert -, dass es in Perleberg am neuen Kreisverkehr Wilsnacker/Pritzwalker Straße/Berliner Straße schon Fahrradunfälle gab. Man sollte sich da-her das Fußgänger- und Radfahrerunfallgeschehen der letzten Jahre ansehen, wo es Unfälle gegeben hat, und ob sich dort das Unfallrisiko etwa durch bauliche Maßnahmen oder Beschilderung evtl. hätte vermeiden lassen.
Bei Wegen, die zu Fuß zu lang oder langsam sind oder das Gepäck dafür zu unbequem oder zu schwer, sollte nach Möglichkeit das Fahrrad benutzt werden. Hierfür sollte jeder mög-lichst dafür sorgen, dass es wenig Aufwand bedeutet, bis er mit dem Fahrrad losfahren kann. An den Zielen für die Radfahrer sollte das Abstellen der Räder bequem, fahrradschonend und sicher möglich sein (und möglichst nicht auf Kosten der Fußgänger gehen). Und an Zielen, an denen die Fahrräder länger stehen (z.B. Schulen oder Bahnhöfe), sollten die Abstellanlagen über¬dacht sein und selbstverständlich genügend groß, und die Fahrräder sollten auf jeden Fall (anders als z.B. am Bhf. Bad Wilsnack, wo die Anlage auch zu klein ist) mit radschonenden Anlehnbügeln gehalten werden.
Zwischen Neu Schrepkow und der Kreisgrenze hinter Demerthin sollte es einen durchgehenden Radweg längs der B 5 geben, ebenso einen an der B 107 zwischen der B 5 und Glöwen sowie zwischen Glöwen und Havelberg.
Der Linienbusverkehr stellt den großen Kummerkasten des Verkehrs in der Prignitz dar. Er hat pro Jahr schätzungsweise 1,8 Mio „Beförderungsfälle“, davon sind etwa drei Viertel Schüler. Der Landkreis hat außer sieben Städten (ohne eingemeindete Dörfer) rund 260 Dörfer und rund 110 Wohnplätze. Es ist zu vertretbaren Kosten nicht möglich, diese alle in einen Linienverkehr einzubinden, der nicht nur einen ausreichenden Schülerverkehr ge-währleistet, sondern diese 370 Plätze morgens, mittags und abends und auch in den Ferien anfährt.
Und auch der Rufbus kann die Lücken nicht zufriedenstellend stopfen, da er aufgrund eines Urteils des Bundesverwaltungsgerichts von 2013 an die Strecken der Buslinien gebunden ist. Vollflexible Flächenrufbusse, wie sie auch die Enquete-Kommission „Zukunft der ländlichen Regionen …“ fordert, sind nicht möglich. Der Landkreis Uckermark praktiziert noch einen flexiblen Rufbus, wird dies aber wohl aus rechtlichen Gründen auch nicht zeitlich unbegrenzt durchhalten.
Angesichts des bestehenden Kostendeckels auf unserem Busverkehr habe ich, ohne mich da so hineinzufuchsen, dass ich fachlichen Gegenargumenten gewachsen wäre, keine Verbesserungsvorschläge. Sicher kann man hier und da was verbessern, aber ich sehe das so wie eine Decke, an deren einer Ecke man ziehen kann, an deren anderer sie dann zu kurz wird. Die wesentlichen Kosten des Busverkehrs sind Personalkosten, und eine ferne Möglichkeit, die Fläche besser zu bedienen, könnte der Einsatz von automatisch fahrenden Fahrzeugen sein der Art, wie sie gerade in Wusterhausen und auch auf einer Strecke in Berlin ausprobiert wird. In die Weiterentwicklung solcher Fahrzeuge sollten m.E. beträchtliche öffentliche Mittel gesteckt werden.
Der Schülerverkehr sollte so schnell wie möglich kostenfrei werden.
Das grüne Landtagswahlprogramm fordert den Aufbau eines Netzes landesbedeutsamer Buslinien, analog zu dem bereits bestehenden System in Sachsen-Anhalt, mit mindestens einem Einstundentakt zwischen 5 und 22 Uhr an Wochentagen und eine Verbindung um Mitternacht (Näheres kann man bei Wikipedia unter „Landesbedeutsame Buslinie“ nachlesen). Für die Prignitz hatte ich bisher zusätzlich zum Plusbus zwischen Lenzen und Wittenberge einen Plusbus Groß Warnow – Kyritz vorgeschlagen mit einer über zwei Fahrräder hinausgehenden Fahrradmitnahme. Diese Strecke wäre sicher auch Teil eines landesbedeutsamen Busliniennetzes. Dieser Plusbus hätte die Bahnhöfe Perleberg und Karstädt anzubinden. Er hätte die überaus wichtige Funktion, die Kreisstadt sowohl für Einkäufe als auch für Besu¬che von Ärzten oder Kulturveranstaltungen wesentlich leichter erreichbar zu machen.
Von Dörfern, die wenige Kilometer von dieser Linie entfernt liegen, wäre die neue Plusbuslinie mit dem Fahrrad oder einer kurzen Autofahrt (die auch eine Bringe- und Abholfahrt sein könnte) gut erreichbar. An allen Haltestellen sollte es hierfür regen- und windgeschützte und mit Sitzen ausgestattete Wartemöglichkeiten, Haltebuchten für Pkw und überdachte Fahrradabstelleinrichtungen geben. Auch sollte man prüfen, hier Park-and-Ride-Plätze einzurichten, die zugleich die Funktion haben könnten, dass von hier aus von einem Auto in ein dann gemeinsam genutztes zweites umgestiegen werden kann.
Kurzfristig könnten als eine Art kleines Car-Sharing Mitfahr-Apps eingerichtet und Mitfahrbänke aufgestellt werden. Denkbar wäre eine Verkehrszentrale in Perleberg, die Personen- und Güter-Mitfahrten vermittelt.
Alle Busse und Rufbusse sollten barrierefrei sein, die Antriebe sollten sukzessive auf die Nut-zung erneuerbarer Energien umgestellt werden. Dies gilt auch für die Fahrzeugflotte des Landkreises, der Städte und Gemeinden, beginnen bei E-Bikes. Auch z.B. für Pflegedienste, die sich in relativ engem räumlichem Umkreis bewegen. Ihnen sollte mit Zuschüssen die Ge-le¬genheit gegeben werden, auf E-Mobilität umzurüsten.
Meine Vorschläge zum Zugverkehr teilt sicher auch der größere Teil meiner Kollegen Direktkandidaten: Ein Nachtzug von Berlin über den RE 2 und RE 6 nach Wittenberge. Auch einen Regionalexpress nach Hamburg. Dr. Hermanns, des Wittenberger Bürgermeisters Wunsch, dass der Zug, der um 17:35 Uhr von Hamburg Hbf abfährt, auch in Wittenberge hält, sollte nachdrücklich unterstützt werden. Ebenfalls sein Wunsch, den Elbeport zu einem Güterbahnhof zu entwickeln und ihn an die ICE-Hauptstrecke anzubinden. Hinzufügen möchte ich noch eine bessere Fahrradmitnahme in den Regionalzügen und überhaupt eine Fahrradmitnahme im ICE.
Sie haben Ihrer Frage angehängt: „unter Berücksichtigung von Pendlern, Demografie u.ä.“. Wurde das durch das Vorstehende hinreichend berücksichtigt? Pendlern in Richtung Hamburg und nach Hamburg ist durch die Einrichtung eines RE dorthin ein Stück gedient wie auch durch den zusätzlichen frühabendlichen ICE-Halt. Der Überfüllung der Züge zwischen Berlin und Nauen zur Berufsverkehrszeit müsste dort begegnet werden, wohl am besten mit der Verlängerung der S-Bahn bis Nauen. Perspektivisch ist an einen Halbstundentakt zu denken.
Wenn Sie bei „Demografie“ an ältere Menschen denken: Oben bin ich auf Ausruhmöglichkeiten bei Fußwegen und auf Erleichterungen für Menschen mit Rollatoren eingegangen. Die Barrierefreiheit von Bussen, zu der ich auch zähle, dass sie sich bei Bedarf zur Seite nei-gen, kommt älteren Menschen entgegen. In einer Umfrage im Rahmen der Enquete-Kommission „Zukunft ländlicher Regionen …“ wurde die Nachbarschaftshilfe auf dem Lande gerühmt. Ein Plusbus Groß Warnow – Kyritz würde es für etliche Dörfer leicht machen, Dorfmitbewohner mit dem Auto zum Bus zu fahren und zu einer verabredeten oder am Handy besprochenen Zeit wieder abzuholen. Es sollte aber auf jeden Fall gewährleistet sein, dass jedes Dorf und jeder Wohnplatz regelmäßig von einem Lebensmittel-, Bäcker- und Fleischwagen angefahren wird.
Mit freundlichen Grüßen,
Rainer Schneewolf