Frage an Rainer Schneewolf von Christina S. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Warum lassen Sie als Kandidat es zu, dass Ihre Partei einen ganzen Wirtschaftszweig an den Pranger stellt? Auf den Wahlplakaten ihrer Partei wird der Anschein erweckt , dass alle Landwirte Tierquäler sind und mit Pestiziden alles vergiftet wird. Ist das ihre Meinung und die Realität? Sind es nicht doch Einzelfälle(die nicht zu entschuldigen sind), die sich nicht an Gesetzmäßigkeiten halten, aber der Generalverdacht für alle Landwirte ob ökologisch oder konventionell wirtschaftend, wird ausgesprochen? Verstehen Sie so die Politik ihrer Partei? Erstmal verdächtigen, die Story ist raus, was nachher wirklich bei raus kommt interessiert nicht? Schade, das die Arbeit, ob Familienbetrieb oder Mehrfamilienbetrieb, so gesehen und nicht gewürdigt wird, Sie aber der Motor im ländlichen Raum sind.
Sehr geehrte Frau Stettin,
Ihre Fragen als Geschäftsführerin des Kreisbauernverbands Prignitz finde ich im Prinzip gut. Ich bin sicher, dass die überwiegende Mehrheit Ihrer Mitglieder die dahinterstehenden Vorwürfe teilt, und so geben mir Ihre Fragen die Gelegenheit, differenzierter darauf zu antworten.
Auf dem einen der beiden Plakate, auf die Sie sich beziehen, wird der Betrachter oben von ei-nem fotografierten Ferkel angesehen. Darunter steht: „HALLO GRUNZ: TSCHÜSS QUÄLEREI.“ Auf dem anderen steht unter einer fotografierten fliegenden Biene, die sich über gemalten prallen Blüten und unter einem leuchtend gelben Bienenkorb bewegt: „HALLO BIENE. TSCHÜSS PESTIZI-DE.“ Auf beiden Plakaten steht oben links, was auf allen Plakaten der Brandenburger Grünen steht: „Brandenburg ist erneuerbar“.
Das zusammen signalisiert: Zur notwendigen Erneuerung von Brandenburg gehört eine Tierhaltung mit gesetzlichen Rahmen- und Förderbedingungen, die tierquälende Halteverhältnisse möglichst ausschließen. Und um u.a. wieder mehr Insektenvielfalt zu ermöglichen, gehört auch eine sehr weitgehende Reduktion von Pestiziden dazu.
Zum ersten Plakat:
Sind die Verhältnisse tatsächlich so, dass das, was man in der Tierhaltung als „Quälerei“ bezeichnen kann, legal und entsprechend verbreitet ist, also nicht nur gesetzeswidrige Einzelfälle betrifft? Ich gehörte 2013 zu den Initiatoren der Bürgerinitiative „Gumtow gegen Tierfabrik“, die sich – bis heute erfolgreich - gegen den Bau einer Hähnchenmastanlage mit acht Ställen à 50.000 Plätzen engagierte. Die Tiere sollten in 35 Tagen von 40 auf durchschnittlich 1.870 g gebracht werden. Dabei wachsen sie deutlich schneller als ihr Skelett, was zu Deformitäten und Krankheiten führt. Die zulässige – sie gilt heute noch – und angestrebte Besatzdichte, für die es damals Fördermittel gab, waren 39 kg/m². Das bedeutet 21 Tiere pro m² oder im Schnitt ein Tier auf ¾ DIN-A-4-Blatt-Fläche. Turbowachstum und Kleinstfläche sehe ich als Quälerei. Die medizinischen Probleme für den Menschen durch den Antibiotika-Einsatz und die Begünstigung von antibiotikaresistenten Keimen, die dann auch in der Humanmedizin massive Probleme machen, mal ganz außen vor gelassen.
Investor war ein Holländer, der zuhause eine solche Anlage nicht mehr genehmigt bekommen hätte. Der Projektleiter unterstrich in einer öffentlichen Veranstaltung die Tierfreundlichkeit der Anlage. Hier würden „Tierappartments“ geschaffen (WochenSpiegel OPR, 30.4.2013, ich habe es mit eigenen Ohren gehört). Weder vom Landes- noch Kreisbauernverband kamen Einwände gegen solche Anlagen. Minister Vogelsänger als Förderer solcher Anlagen erklärte: „Wir haben zu wenig Tiere im Land und jede Investition in Tierhaltung ist auch eine Investition ins Tierwohl.“ (MAZ 30.12.2013). Zur Volksinitiative gegen Massentierhaltung erklärte er, ein Verzicht auf Großanlagen sei angesichts des hohen deutschen Pro-Kopf-Verbrauchs von 87 kg Fleisch pro Jahr schwer zu realisieren. Eine Förderung gäbe es aber nur für Vorhaben mit besonders tiergerechter Haltung (MAZ, 6.1.2015).
Ich habe nun im Statistischen Jahrbuch über Ernährung, Landwirtschaft und Forsten 2016 des Bundeslandwirtschaftsministeriums nachgesehen: An Schlachtvieh, Fleisch und –zubereitungen wurden nach Deutschland 2015 1.926 Tsd t importiert und von hier 3.174 Tsd t exportiert. An Schlachtgeflügel, Fleisch und –zubereitungen wurden 2015 812 Tsd t importiert und 1.041 t exportiert (S. 370 und 389). Die deutsche Landwirtschaft hat hier also einen kräftigen Exportüberschuss. Korrigieren Sie mich bitte, wenn ich da etwas falsch interpretiert haben sollte.
Der 2017 im Auftrag des Ministeriums für Ländliche Entwicklung, Umwelt und Landwirtschaft des Landes erarbeitete Tierschutzplan schlägt statt Verbesserungen erst einmal Forschung vor. So heißt es in den Empfehlungen zur Besatzdichte bei Masthühnern: „Die Arbeitsgrupe weist darauf hin, dass eine geringere Besatzdichte Vorteile für das Tierwohl bringen kann. Die Initiative Tierwohl erlaubt max. 35 kg/m². Die Arbeitsgruppe empfiehlt Forschungsprojekte zu den Auswirkungen noch geringerer Besatzdichten.“
Die 35 kg/m² als „Tierwohl“ zu bezeichnen, die die „Intitiative Tierwohl“ des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft erlaubt – das sind bei 1.870 g pro Huhn fast 19 Hühner pro m² und pro Huhn eine Fläche von 86 % eines DIN-A-4-Blatts – ist schlimme Verbrauchertäuschung.
Eine Premiumförderung für die Haltung von Masthühnern in Brandenburg (eine Basisförderung gibt es nicht mehr) setzt lt. Richtlinie des Landwirtschaftsministeriums in der Fassung vom 16.1.2017 eine Besatzdichte von max. 25 kg Lebendgewicht pro m² nutzbarer Stallfläche voraus. Die Fläche muss planbefestigt und mit geeigneter trockener Einstreu versehen sein. Bei einem Endgewicht von 1.870 g sind das jetzt 13,37 Hühner pro m², das heißt 748 cm² pro Huhn = eine Fläche von 1,2 DIN-A-4-Blatt. Minister Vogelsänger betrachtet das, s.o., als eine „besonders tiergerechte“ Haltung. Sie ist hoch gefördert, aber immer noch nicht ansatzweise tiergerecht. Gefördert wird so nicht „Tierwohl“, sondern eine um ein sehr Geringes verminderte Quälerei.
Mit der Schweinehaltung und ihren Bedingungen habe ich mich nicht näher befasst und kann – Ihre Frage kam am Freitag – mich jetzt am Wochenende auch nicht hinreichend erkundigen. Aber statt einem Ferkel hätte man auch ein Hühnchen auf das Plakat setzen können. Ich vertraue unserem für Landwirtschaft zuständigen Landtagsmitglied und jetzigen Spitzenkandidaten Benjamin Raschke, dass die legalen und auch praktizierten Halteverhältnisse von Schweinen in Brandenburg hinsichtlich der Artgerechtheit zu einem relevanten Teil ähnlich quälend sind. Womit ich mit dem relevanten Teil nicht die Zahl der Betriebe sondern die der gehaltenen Schweine meine, für die die Wertung „Quälerei“ zutrifft.
In unserer Broschüre zur Kommunalwahl im Mai haben wir Prignitzer Grünen zur Schweinemast geschrieben: „Es gibt in jüngerer Zeit jedoch Beispiele in der Prignitz, wo Tierhalter ihren Mastbetrieb insbesondere auf mehr Bewegungsraum, mehr Trennung von Boden und Fäkalien, eine geringere Eintönigkeit und mehr Sozialleben für die Tiere umgestellt haben. Unser Spitzenkandidat zur Landtagswahl, Benjamin Raschke, schrieb zum jüngsten Prignitzer Schweinemast-Beispiel: „Das ist noch kein Systemwechsel, auch hier sind die Tiere beispielsweise nicht im Freien. Aber es sind wirklich gute Schritte innerhalb des bestehenden Systems – und zudem aus einer Grundhaltung heraus, dass man sich auf den Weg machen müsse.“ (S. 32)
Zum zweiten Plakat:
Da die Antwort zum ersten Plakat sehr lang geworden ist, möchte ich zum zweiten nur kurz aus der undatierten Schrift „Umwelt und Landwirtschaft“ des Umweltbundesamtes zitieren. In deren Literaturverzeichnis sind die jüngsten Schriften von 2018, also wird der Bericht von 2018 oder 2019 sein. Dort heißt es zu Anfang des Kapitels „Schutz der Kulturpflanze im Konflikt mit dem Schutz von Natur und Umwelt“:
„Pflanzenschutzmittel kommen in der heutigen Landwirtschaft großflächig und intensiv zum Einsatz. Der hierbei erwünschte Effekt, die Bekämpfung von Schadinsekten, Krankheiten und unerwünschten Pflanzen, führt bisher zwangsläufig dazu, dass die biologische Vielfalt in der deutschen Agrarlandschaft zusehends verarmt. Um den Pflanzenschutz in Deutschland nachhaltiger zu gestalten, braucht es dringend eine praktikable und wirksame Lösung für den Konflikt zwischen dem Schutz der Kulturpflanze und dem Schutz der biologischen Vielfalt.“ (S. 53)
Genau dies sagt auch das Plakat. Die Biene auf dem Plakat steht symbolhaft für die bedrohte Artenvielfalt. Es kann kein Zweifel bestehen, dass die Landwirtschaft in hohem Maße am Rückgang der Artenvielfalt beteiligt ist, und dass auch hier ein Umsteuern erforderlich ist.
Generalverdacht und fehlende Würdigung
Damit bin ich bei Ihrem Vorwurf des am Pranger Stehen eines ganzen Wirtschaftszweigs und des Generalverdachts gegenüber allen Landwirten. Und was wirklich bei raus käme, interessiere nicht. Und die Arbeit, ob Familien- oder Mehrfamilienbetrieb, werde nicht tatsächlich gesehen und nicht gewürdigt. All das leiten Sie aus den beiden Plakaten ab. Beide Plakate benennen – plakativ, wie es das Wesen von Plakaten ist – in unseren Augen, und nicht nur unseren, große Missstände in einem mehr oder weniger großen Teil der Landwirtschaft, die unseres Erachtens dringend ein Umsteuern in der Landwirtschaftspolitik erfordern. Und damit sind in hohem Maße auch die Rahmen- und Förderbedingungen gemeint. Die Landwirte müssen sich ein Umsteuern leisten können, es bedarf der nachdrücklichen gesellschaftlichen Förderung. Aber gerade die Konkurrenz der Großbetriebe erschwert dies, warum ich als Bürgerinitiativler bis heute nicht verstanden habe, warum der Kreis- und Landesbauernverband z.B. mit den Interessen der Massentierhalter konform geht.
Doch, was bei den Landwirten raus kommt und ihre Anstrengungen, es interessiert. Es interes-siert in hohem Maße eine Unterstützung gerade der von Ihnen genannten Familien- oder Mehrfamilienbetriebe. Wobei wir ja gerade eine Förderung fordern, die sich statt nach dem Prinzip „Wachsen oder Weichen“ an den gesellschaftlich notwendigen Leistungen der Betriebe orientiert und nicht an ihrer Größe und Fläche.
Ich hatte keine Einwände gegen die beiden Plakate. Es ist aber ganz ohne Zweifel angemessen und notwendig, die Landwirtschaft nicht nur unter dem Aspekt zu betrachten, was man meint, das zu ändern wäre, ohne gemeinsames und sich gegenseitig anerkennendes Bemühen, die Änderungen zu ermöglichen. Es ist in meinen Augen ein dringendes Muss, gemeinsam mit allen, denen an einer lebendigen und zukunftsfähigen Prignitz gelegen ist, zu einer Grundhaltung zu finden, dass man sich – gerade vor dem Hintergrund des Klimawandels und des hohen Artenverlusts - auf den Weg machen müsse. Das gilt für die Landwirte wie für den Kreisbauernverband wie für die Landespolitik. Ihre Vorwürfe hier auf abgeordnetenwatch sehe ich als eine Mahnung hierzu.
Mit freundlichen Grüßen,
Rainer Schneewolf