Frage an Rainer Schneewolf von Jörg M. bezüglich Umwelt
Dürre, Trockenheit, Wasserknappheit, Ernteausfälle, Waldbrände, Waldsterben, Orkane - was würden Sie für den Klimaschutz in Brandenburg tun, falls Sie gewählt werden?
Das für mich Wichtigste und Vordringlichste nach der Wahl ist in der Fraktion die unverzügliche Erarbeitung eines gesetzlichen Klimaschutzprogramms, oder Klimaschutzgesetzes. Und dann dessen unverzügliche und konsequente Abarbeitung. Ermöglichung und ausreichende inhaltliche Füllung dieses Programms müssen bereits Voraussetzung für die Koalitionsbildung sein, wenn wir Bündnisgrüne Regierungsverantwortung übernehmen, wovon ich ausgehe. Die wichtigsten Punkte müssen im Koalitionspapier festgeschrieben werden.
Ziel des Klimaschutzgesetzes muss sein, in Zusammenarbeit aller Ressorts die politischen Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass Brandenburg den von ihm erforderlichen Beitrag zur Erreichung der Klimaschutzziele Deutschlands leistet. Diese Ziele sind ihrerseits darauf ausgerichtet, dass in Zusammenarbeit aller Vertragsstaaten des Pariser Klimavertrags von 2015 erreicht wird, die Erderwärmung auf deutlich unter 2 Grad gegenüber den vorindus-triellen Werten zu begrenzen. Es sind aber darüber hinaus Anstrengungen zu unternehmen, den Temperaturanstieg auf 1,5 Grad zu begrenzen.
Das in Paris beschlossene Übereinkommen ist völkerrechtlich verbindlich. Es führt also auch für Koalitionsparteien, für die Klimaschutz in ihrer politischen Praxis bisher keinen Spitzenrang hatte, kein Weg an einem solchen Programm/Gesetz vorbei. Wie Angela Merkel auf einer Fraktionssitzung der Union im Mai sagte, darf es bei den Anstrengungen zum Klimaschutz kein „Pillepalle“ mehr geben. Es müssten Beschlüsse gefasst werden, die zu „disruptiven Veränderungen“ führen. Da die Klimaschutzpolitik der letzten Bundesregierungen aber, gemessen am CO2-Ausstoß Deutschlands, tatsächlich Pillepalle waren, und dementsprechend auch die Klimaschutzziele der Regierung für 2020 bereits verfehlt werden, müssen diese Veränderungen notgedrungen umso disruptiver sein. Jede weitere Maßnahmenverzögerung verschärft die Lage und die entsprechend notwendigen Maßnahmen.
Bereits 2011 forderte ein Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung im Titel eines Gutachtens einen „Gesellschaftsvertrag für eine große Transformation“ zur Nachhaltigkeit und sah diese Transformation als ein ähnlich tiefgreifendes Unternehmen wie die Herausbildung der Industriegesellschaften. Noch massiver sprach angesichts nahezu vertaner Zeit Prof. Rockström vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung 2017 von einer erforderlichen „Nachhaltigkeitsrevolution“. Und Prof. Schellnhuber vom gleichen Institut sagte im selben Sinne in einem Interview mit der ZEIT 2017: „Wir stehen vor der größten ökonomischen Transformation seit der industriellen Revolution.“ Das bedeutet tiefgreifende Änderungen von Wirtschaft, Technik und Verhalten. Und als Voraussetzung dafür erkannte Frau Merkel die Notwendigkeit eines „grundlegenden Bewusstseinswandels“.
Ich zitiere Frau Merkel hier nicht, weil ich sie für vorbildhaft halte, im Gegenteil, sondern um zu zeigen, dass sie weiß und sicher auch schon seit ihrer Zeit als Umweltministerin wusste, was dringend notwendig war und ist; und dass wegen der in meinen Augen hoch verantwortungslosen Verzögerungen notwendiger Maßnahmen gerade die im Bund regierenden sogenannten Volksparteien hier eine enorme Bringeschuld haben und dieser ebenso dringend und mit zupackender Energie nachkommen sollten. Zu diesem Thema habe ich ein Interview der ZEIT vom 8.6.2017 mit Herrn Schellnhuber gefunden, aus dem ich kurz zitieren möchte:
ZEIT: Warum hat die deutsche Politik dann noch keinen Ausstieg aus der Kohle festgesetzt?
Sch.: Weil die Politiker einen Wettbewerb austragen, wer am meisten Solidarität mit den Kohlekumpeln zeigt – das Klima kommt schließlich nicht zum Demonstrieren vor die Haustür. Dabei könnte man mit dem Geld, mit dem die Braunkohleförderung direkt und indirekt bezuschusst wird, die Betroffenen lebenslang auf Staatskosten nach Mallorca schicken. Oder besser: mit guten Arbeitsplätzen ausstatten. Trotzdem bin ich überzeugt, dass sich die großen Trends nicht durch Kirchturmpolitik aufhalten lassen.
ZEIT: Auch Bundeskanzlerin Merkel steht zur Kohle. Sie kennen sie gut, wie erklären Sie das?
Sch.: Merkels Politik ist wie jede Realpolitik ambivalent – nur Despoten und Heilige können prinzipientreu sein. Ich habe aber keinen Zweifel, dass sie das Problem verstanden hat. Sie weiß, dass wir das Klima an die Wand fahren.“
Ein Gesellschaftsvertrag geht nicht ohne Gesellschaft. Aber unsere Gesellschaft ist auf die Notwendigkeit disruptiver Veränderungen überhaupt nicht eingestellt. In diesem Wahlkampf ist das Thema Klimawandel und –schutz, das alle paar Tage als drängend in die Zeitungen und die Tagesschau kommt, praktisch kein Thema. Die Arktis brennt, der Regenwald in Brasilien brennt. Aber als ich den Klimaschutz auf einer Podiumsdiskussion ansprach, kam ein Stöhnen aus dem Publikum. Man könne es nicht mehr hören. Und bevor man für den Liter Benzin 5 Euro zahlen müsse, sollten die Brasilianer erst mal ihre Brände löschen. Wie hoch denn der deutsche Anteil am weltweiten CO2-Ausstoß sei. Und als ich sagte: 2,4 %, wurde mir entgegnet, da brächten Anstrengungen von uns sowieso nichts außer eine nicht mehr bezahlbare Heizung und weiter steigende Strompreise.
Es ist über die Jahre nicht nur versäumt worden, die großen Transformationen auf den Weg zu bringen, sondern auch, ein Bewusstsein für deren Notwendigkeit zu schaffen. Dies müsste dringendst in Angriff genommen werden, sowohl auf Bundesebene als auch von der neuen Landesregierung. Dies scheint mir ein Riesenproblem zu sein.
Für unseren ersten Wahlkampfstand in Perleberg hatte ich drei Diagramme erstellt und sie an eine Stelltafel geheftet. Diese füge ich hier ein:
Die erste zeigt, wie stark der sommerliche Temperaturanstieg allein der letzten fünf Jahrzehnte ist. Wir sind also massiv betroffen. Der Temperaturanstieg bei uns ist noch stärker als der des globalen Mittelwerts.
Die zweite zeigt die außerordentliche Parallelität zwischen der Treibhausgas-Konzentration und der globalen Temperatur seit dem Jahre 0. Ein Zusammenhang, der geradezu in die Augen springt.
Die dritte zeigt die Entwicklung der Treibhausgas-Emissionen in Deutschland seit der Wende und die Stagnation – allen erklärten Zielen zum Trotz - während der letzten acht Jahre. Und was erreicht werden muss.
Unsere Stelltafel-Diagramme haben niemanden ersichtlich interessiert, so dass wir später darauf verzichtet haben. Wahrscheinlich hätten wir ausdrücklich darauf aufmerksam machen müssen. Dann hätten wir zumindest gesehen, ob man die Menschen mit solchen Darstellungen erreicht, und auch, wen man damit nicht erreicht. Aber Werbeprofis werden das wissen.
Es müsste jedenfalls unbedingt eine Vorab-Untersuchung geben, wie in der Bevölkerung heute der Klimawandel gesehen wird: Gibt es ihn? Ist das nur eine der Temperaturschwankungen, die es in den letzten Jahrhunderten oder Jahrtausenden immer mal wieder gegeben hat? Ist er bedrohlich? Inwiefern? Worauf geht er zurück? Ist es möglich, ihn auf ein bestimmtes Maß zu beschränken? Können wir daran in relevantem Maße mitwirken? Sollten wir? Warum? Und auch dazu, wie man Zusammenhänge verständlich und deutlich machen kann, statt sie nur zu behaupten. Und wen man, gleich wie man es anstellt, mit diesem Thema trotzdem nicht erreicht nach der Devise: Es kommt wie es kommt, man kann sich bestenfalls anpassen.
Den Zusammenhang zwischen Erderwärmung und CO2-Konzentration verständlich zu machen, dürfte noch die leichtere Aufgabe sein, auch wenn dieser Zusammenhang etwa von der AfD zurückgewiesen wird und auch die Freien Wähler den Anteil des Menschen an der Erderwärmung für eher nicht groß halten (s. auch das Plakat „Naturschutz statt neuer Windräder“). Ungemein viel größer ist das Problem, klar zu machen, dass wir uns mit unseren „nur“ 2,4 % voll ins Zeug legen müssen,
- weil wir Industrienationen diejenigen sind, die die Welt in diese katastrophale Situation gebracht haben; und diese Situation haben wir auch für die herbeigeführt, die schon darunter zu leiden haben mit Dürren, Hungersnöten, Überschwemmungen und auch mit daraus resultierenden Kriegen,
- weil ein Weiter-so eine Art fortgesetzter kolonialistischer Ausbeutung dieser Länder wäre: wir bereichern uns weiter auf ihre Kosten. Der Wissenschaftliche Beirat „Globale Umweltveränderungen“ der Bundesregierung erklärte die „große Transformation“ daher für „moralisch ebenso geboten wie die Abschaffung der Sklaverei und die Ächtung der Kinderarbeit.“
- schon aus Eigeninteresse, um nicht viele Millionen Menschen dazu zu bringen, vor Dürren, Hungersnöten, Überschwemmungen und daraus resultierenden Kriegen nach Europa zu fliehen,
- weil Deutschland eine Vorreiterrolle spielen muss, um auch andere Länder ein Stück mitzubewegen,
- und auch einfach deswegen, weil Deutschland das Pariser Abkommen unterzeichnet hat und sich zu entsprechenden Maßnahmen völkerrechtlich verpflichtet hat.
Die Menschen müssen verstehen, was da abgehen muss, und sie müssen Lust kriegen, da mitzumachen. Wir haben so viele fähige Werbeleute im Land, die müssen hier eingesetzt werden, massiv und zugleich dezent. Und die Menschen dürfen – und auch da gibt es gegenwärtig enorme Defizite, die man auch im Wahlkampf immer wieder mitbekommt – sich nicht ungerecht belastet oder gar abgehängt fühlen. Ohne soziale Gerechtigkeit und das Vertrauen darauf wird die erforderliche Transformation nicht funktionieren. Das müssen auch die Besserverdienenden und insbesondere die Bestverdienenden und Hochbegüterten verstehen. Insofern kommen hier nicht nur den Ressorts, die bei Frau Merkel gegenwärtig im Klimakabinett sitzen, sondern auch den Ressorts Arbeit, Bildung, Familie und Gesundheit wichtige Aufgaben zu.
Es muss ein Ruck durch’s Land gehen. Und es muss sicher enorme Kraft in Innovationen gesteckt werden. Und auch diese Innovationen müssen sozial gerecht – gerade auch für die ländlichen Räume wie die Prignitz - und möglichst allen verständlich sein und von ihnen als gut und richtig mitgetragen werden können. Der in den Regierungen sicher vorhandenen Angst vor so etwas wie der französischen Gelbwestenbewegung, die gewiss zu den Unentschlossenheiten der jüngeren Zeit beitrug, muss von vornherein begegnet werden, indem an einem breiten Konsens für die erforderliche Transformation gearbeitet wird.
Es wird auch, da bin ich optimistisch, im Rahmen der Transformation spürbare Verhaltensänderungen geben. Es wird mehr mit dem Zug gefahren werden, es wird mehr Leute geben, die ihre Fahrgeschwindigkeiten mit dem Auto etwas mindern. Es werden weniger Lebensmittel weggeworfen werden, es wird auch weniger Fleisch, insbesondere Rindfleisch gegessen werden, auch ohne Rindfleischsteuer. Dann hören vielleicht auch die von Zeit zu Zeit in intellektuelleren Medien erscheinenden längeren Ausführungen auf, dass individuelle Verhaltensveränderungen gar nichts bringen, dass man ruhig seine Kreuzfahrten fortsetzen sollte und seine Flüge (die einem im Straßenwahlkampf vorgeworfen werden: Ihr Grünen seid doch die, die am meisten fliegen, hört doch damit erstmal auf!), oder ruhig weiter kräftig Rindfleisch genießen soll, auch wenn dessen Herstellung pro kg 87 mal so viel Gramm CO2-Äquivalente erfordert wie der Anbau von einem kg Gemüse (und, würde ich aktuell hinzufügen, brasilia-nische Farmer dazu animiert, Regenwald abzufackeln).
Und es müssen Fortschritte erkennbar und veröffentlicht werden: Wie hoch war in Brandenburg der Ausstoß an CO2-Äquivalenten im letzten Monat im Vergleich zum entsprechenden Vorjahresmonat? Wie hoch war in Brandenburg der Ausstoß der letzten 12 Monate im Vergleich zu den 12 Monaten davor? Wie sehen die Prognosen für die nächsten 12 Monate aus? In welchem Bereich hat es v.a. Fortschritte gegeben? Wo sind die nächsten zu erwarten? Man muss natürlich höllisch aufpassen, dass das Ganze nicht den Ruch von Planwirtschaft und Planerfüllung bekommt.
An dieser Stelle möchte ich meine Antwort abbrechen und das Obige schonmal auf die abgeordnetenwatch-Seite stellen lassen und mich aus Zeitgründen erstmal mit der mir zum Verkehr gestellten Frage beschäftigen. Vielleicht kehre ich später nochmal hierhin zurück. Dann ginge es darum, was konkreter an Maßnahmen insbesondere in den Bereichen Energie, Verkehr und Agrar erforderlich wäre. Aber dies Grundsätzliche – die konkreteren Maßnahmen kann man sich einfacher zusammensammeln – war mir sehr wichtig, weil es eigentlich nie thematisiert wird.