Frage an Rainer Fornahl von Michael W. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Fornahl,
ich möchte mich meiner Vorrednerin anschließen und ebenfalls meine Enttäuschung über Ihre Unterstützung des Gesetzes zur Vorratsdatenspeicherung ausdrücken.
Natürlich gibt es immer Bürger, denen bestimmte Änderungen nicht recht sind. Aber wie oft kommt es vor, dass Verfassungsklagen schon fertig in der Schublade liegen, um im Falle einer Verabschiedung eines Gesetzes sofort eingereicht zu werden? Müsste man da als Regierung nicht hellhörig werden und sich die Argumente der Gegner wenigstens einmal anhören und versuchen das geplante Gesetz mit stichhaltigen Argumenten zu verteidigen? Und wieso ignorieren Sie und alle anderen zustimmenden Abgeordneten sowohl den Willen des Volkes als auch eine bereits existierende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes?
Ich habe schon seit Langem den Eindruck, dass die Regierung in Deutschland für den Großteil der beschlossenen Gesetze, vor allem im Bereich des Inneren, überhaupt nicht versucht, Argumente zu liefern, sondern sich in einem Aktionismus verfängt und Regelungen beschließt, die weder vollständig durchdacht sind, noch in irgendeiner Weise zur Verbesserung der Situation beitragen.
Zu dem letzten Punkt möchte ich gleich noch eine allgemeine Frage anschließen: Soweit mir bekannt ist, gibt es ein Gesetz/eine Regelung, dass Gesetze, die beschlossen wurden, nach einigen Jahren auf ihre Zweckdienlichkeit hin überprüft werden sollen. Falls sich das Gesetz als nicht wirksam erweist, muss es überarbeitet oder wieder abgeschafft werden. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass eine solche Überprüfung je stattgefunden hat. Meiner Meinung nach würde dadurch die Unwirksamkeit/Sinnlosigkeit vieler Gesetze, die in den vergangenen Jahren verabschiedet wurden, sicherlich deutlich. Zugegebenermaßen würde das teilweise die Arbeit vergangener Regierungen in Misskredit bringen, aber bekanntlich lernt man als Mensch aus seinen Fehlern. Das sollte bei einer Regierung auch funktionieren.
Sehr geehrter Herr Weinrich,
vielen Dank für Ihre Nachricht vom 09.11.2007. Meine Haltung zum Gesetz zur Novelle der Telekommunikationsüberwachung und zur Umsetzung der europäischen Richtlinie zur sogenannten Vorratsdatenspeicherung entspricht uneingeschränkt der Haltung der großen Mehrheit der SPD-Bundestagsfraktion, die ich Ihnen durch die nachstehende ausführliche Stellungnahme zur Kenntnis.
Wie alle Gesetz unterliegt auch dieses Gesetz bestimmten Formen der Kontrolle. Die Bundesregierung ist durch Parlamentsbeschluss oder auf Ersuchen des Bundestages in vielen Fällen verpflichtet, über die Entwicklung der Gesetzespraxis zu berichten. Auch in Ausschüssen kann es zu Beratungen über bestehende Gesetze kommen, insbesondere wenn einzelne Abgeordnete von besonderen Erfahrungen in ihren Wahlkreisen berichten können. Zudem werden unabhängige Sachverständigenkommissionen eingesetzt. Abgesehen davon befasst sich im Regelfall das jeweils zuständige Bundesministerium, welches die notwendige Erfahrung und Fachkenntnis aufweist, mit der Thematik, wodurch via Bundesregierung ein neuer Gesetzesantrag ins Parlament gelangen kann.
Mit freundlichen Grüßen
Rainer Fornahl, MdB
Stellungnahme:
Das Gesetz
- novelliert die geltenden Vorschriften der Strafprozessordnung zur Telekommunikations-überwachung und anderen verdeckten Ermittlungsmaßnahmen,
- setzt die EU-Richtlinie zur sogenannten Vorratsdatenspeicherung in deutsches Recht um
- und sorgt für grundrechtswahrende Verfahrenssicherungen bei heimlichen Ermittlungsmaßnahmen.
Bereits unter der rot-grünen Bundesregierung hatte die Gesetzesnovelle ihren Anfang genommen. Der vom Bundesjustizministerium erarbeitete Entwurf konnte aufgrund des vorzeitigen Endes der 15. Legislaturperiode zunächst nicht weiterverfolgt werden. Das nun vorliegende Gesetz hat diese Arbeiten weitergeführt. Zwischenzeitliche Entwicklungen sind in ihm berücksichtigt. Zum einen sind es Anpassungen wegen der Notwendigkeit, die eingangs erwähnte EU-Richtlinie umzusetzen, zum anderen waren Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts unter anderem zum einfachgesetzlichen Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung zu beachten.
Wir haben bei dem Gesetz einerseits im Auge behalten, dass der Staat für unsere Sicherheit zu sorgen hat und daher die berechtigten Strafverfolgungsinteressen des Staates angemessen berücksichtigt werden müssen.
Andererseits greifen verdeckte Ermittlungsmaßnahmen aber regelmäßig in die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger ein, so dass für ihre Anordnung strenge Voraussetzungen gelten und der Rechtsschutz wirksam ausgestaltet sein müssen. Deshalb haben wir das Telekommunikationsüberwachungsrecht weiter rechtsstaatlich eingegrenzt. Dadurch liegen die Hürden für die Durchführung einer Telekommunikationsüberwachung in Zukunft noch höher als jetzt. Dabei gilt künftig wie bisher, dass sie – wie künftig bei jeder eingriffsintensiven verdeckten Ermittlungsmaßnahme auch – grundsätzlich nur durch einen Richter angeordnet werden darf.
Hürde Nummer 1: Vorliegen einer schweren Straftat
Neu ist dabei, dass Straftaten grundsätzlich nicht in Frage kommen, die im Höchstmaß mit weniger als fünf Jahren Freiheitsstrafe bedroht sind. Die Tat muss – auch diese ausdrückliche Regelung ist neu – auch im konkreten Einzelfall schwer wiegen.
Hürde Nummer 2: Kernbereichsschutz
Eine Telekommunikationsüberwachung ist unzulässig und hat zu unterbleiben, wenn tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen, dass durch die Überwachung allein Erkenntnisse aus dem Kernbereich der privaten Lebensgestaltung erlangt würden.
Hürde Nummer 3: Berufsgeheimnisträgerschutz
Soll ein Berufsgeheimnisträger wegen des Ermittlungsverfahrens gegen einen Dritten, an dem er selbst in keiner Weise beteiligt ist, überwacht werden, gilt Folgendes:
Das Vertrauensverhältnis zu Seelsorgern, Strafverteidigern und Abgeordneten wird absolut geschützt. Sie haben eine besondere verfassungsrechtliche Stellung. Deshalb sind sie von allen Ermittlungsmaßnahmen ausgenommen, die sich auf die Informationen beziehen, die ihnen in ihrer Eigenschaft als Berufsgeheimnisträger anvertraut wurden.
Bei Ärzten, Rechtsanwälten, Journalisten und allen anderen zeugnisverweigerungsberechtig-ten Berufsgeheimnisträgern wird ausdrücklich klargestellt, dass sie in Ermittlungsmaßnahmen künftig nur nach einer sehr sorgfältigen Verhältnismäßigkeitsabwägung im Einzelfall in Ermittlungsmaßnahmen einbezogen werden dürfen. Für die Abwägung wird es zudem einen ausdrücklichen Maßstab im Gesetz geben: Betrifft das Verfahren keine Straftat von erheblicher Bedeutung, ist in der Regel nicht vom Überwiegen des Strafverfolgungsinteresses auszugehen. Eine Straftat ist nur dann von erheblicher Bedeutung, wenn sie
- mindestens dem Bereich der mittleren Kriminalität zugerechnet werden kann,
- den Rechtsfrieden empfindlich stört und
- dazu geeignet ist, das Gefühl der Rechtssicherheit der Bevölkerung erheblich zu beeinträchtigen.
Ergibt die Prüfung also, dass es bei der Ermittlung nicht um eine erhebliche Straftat geht, sind jegliche Ermittlungsmaßnahmen gegen den Berufsgeheimnisträger regelmäßig unzulässig, weil unverhältnismäßig.
Hürde Nummer 4: Berufsgeheimnisträgerschutz bei Verstrickung
Besteht gegen den Berufsgeheimnisträger, etwa einen Journalisten, selbst ein Beteiligungs- oder Begünstigungsverdacht, so können nach geltendem Recht zum Beispiel Unterlagen bei ihm beschlagnahmt werden, wenn diese für die Aufklärung einer Straftat relevant sind. Künftig muss sich die Annahme des Verstrickungsverdachts auf bestimmte Tatsachen gründen, so dass eine sorgfältige, sich auf konkrete Tatsachen stützende Prüfung
erforderlich werden wird.
Hürde Nummer 5: Beweisverwertungsverbot bei Zufallsfunden
Ein Zufallsfund ist Material, das auf eine Straftat hindeutet, aber nichts mit der Untersuchung zu tun hat, wegen derer eine Durchsuchung angeordnet wurde. Bei Journalisten dürfen solche Zufallsfunde künftig nicht als Beweise in einem Verfahren wegen Geheimnisverrats oder wegen sonstiger Straftaten, die mit einem Höchstmaß von unter fünf Jahren Freiheitsstrafe bedroht sind, verwertet werden.
Das neue Gesetz enthält darüber hinaus Anpassungen wegen der Notwendigkeit, die EU-Richtlinie zur sogenannten Vorratsdatenspeicherung (2006/24/EG) in deutsches Recht umzusetzen. Auch hier haben wir im Bewusstsein der Verantwortung für eine wirksame Kriminalitätsbekämpfung unsere Verpflichtung für Bürgerrechte ernst genommen und dafür Sorge getragen, dass die EU-Vorgaben so grundrechtsschonend wie möglich gestaltet wurden. So ist es Deutschland gegen den Widerstand vieler anderer Mitgliedstaaten gelungen, dass die Mindestspeicherungsdauer auf sechs Monate (statt der ursprünglich auf EU-Ebene diskutierten 36 Monate) beschränkt wurde. Dies ist ein vom Deutschen Bundestag wirksam unterstützter Verhandlungserfolg der Bundesregierung auf EU-Ebene.
Die wegen der Umsetzung künftig zu speichernden Daten sind im Wesentlichen die Verkehrsdaten, die von den Telekommunikationsunternehmen schon heute üblicherweise zu Abrechnungszwecken gespeichert werden. Das sind insbesondere die genutzten Rufnummern und Kennungen sowie Uhrzeit und Datum der Verbindungen. Neu hinzu kommt nur, dass bei der Mobilfunktelefonie auch der Standort (Funkzelle) bei Beginn der Mobilfunkverbindung gespeichert wird. Daten, die Aufschluss über den Inhalt der Kommunikation geben, dürfen dagegen nicht gespeichert werden.
Zu den Telekommunikationsverkehrsdaten gehören neben den Daten über Telefonverbindungen auch solche Daten, die bei der Kommunikation über das Internet anfallen. Diese müssen nach der EU-Richtlinie künftig ebenfalls gespeichert werden. Auch in diesem Bereich werden nur Daten über den Internetzugang und die E-Mail-Kommunikation gespeichert. Dabei speichert das TK-Unternehmen lediglich, welchem Teilnehmeranschluss eine bestimmte Internetprotokoll-Adresse (IP-Adresse) zu einem bestimmten Zeitpunkt zugewiesen war sowie die Daten über die E-Mail-Versendung, nicht dagegen, welche Internetseiten besucht wurden oder welchen Inhalt eine E-Mail hatte.
Die Daten werden – wie bisher – nur bei den TK-Unternehmen gespeichert. Wie bisher schon können Polizei und Staatsanwaltschaft grundsätzlich nur dann auf die Daten zugreifen, wenn dies zuvor durch einen richterlichen Beschluss erlaubt wurde. In diesem Beschluss legt der Richter genau fest, welche Daten das Unternehmen aus seinem Bestand herausfiltern und den Strafverfolgungsbehörden übermitteln muss.
Für alle verdeckten Ermittlungsmaßnahmen gilt darüber hinaus eine Reihe von Verfahrensregelungen. Sie verbessern den Grundrechtsschutz aller, die von verdeckten Ermittlungsmaßnahmen betroffen sind:
- Richtervorbehalt bei allen eingriffsintensiven verdeckten Ermittlungsmaßnahmen.
- Konzentration der Zuständigkeit für die Anordnung einer Maßnahme beim Ermittlungsgericht am Sitz der Staatsanwaltschaft, um dessen größere Spezialisierung zu erreichen.
- Umfassende, gerichtlich kontrollierte Benachrichtigungspflichten.
- Einführung eines nachträglichen Rechtsschutzes bei allen verdeckten Ermittlungsmaßnahmen.
- Einführung von einheitlichen Kennzeichnungs-, Verwendungs- und Löschungsregelungen.
Die SPD-Bundestagsfraktion hat in den parlamentarischen Beratungen zu diesem Gesetz dafür Sorge getragen, dass der Einsatz verdeckter Ermittlungsmaßnahmen zum Zweck der Kriminalitätsbekämpfung und dem Schutz vor schweren Straftaten mit hohen, grundrechtssichernden Schwellen verknüpft ist, so dass das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit gewahrt bleibt.