Frage an Rainer Erdel von Dr. Jürgen K. bezüglich Wirtschaft
Grüß Gott Herr Abgeordneter Erdel,
Meine Frage bezieht sich allein auf den Entwurf des Europäischen Stabiliesierungsmechanismus (ESM), den Sie sicherlich schon gelesen haben.
Meine Frage lautet: Wie können Sie diesen Vertrag mit Ihrer Verpflichtung in Einklang bringen, dem Wohl des d e u t s c h e n Volkes zu dienen und Schaden von ihm abzuwenden?
Wenn dieser Vertrag in dieser Form umgesetzt wird, werden die deutschen Steuerzahler mittels eines unwiderruflichen Automatismus zum Dauerzahlmeister für Südeuropa. Die Deutschen haben dann nichts weiter zu tun als pünktlich und unwiderruflich innerhalb von 7 Tagen zu zahlen und ansonsten ihre Klappe zu halten (entschuldigen Sie meine drastische Ausdrucksweise). Weiterhin ist der "Gouverneursrat" rechtlich unangreifbar, seine Mitglieder genießen vollkommene rechtliche Immunität, der Vertrag ist unkündbar, unbegrenzt gültig und mit keinem demokratischen Mittel rechtlich angreifbar.
Ich frage Sie: Haben Sie inIhrem bisherigen Leben als PRIVATMANN je einen solchen weitreichenden und einschneidenden Vertrag gesehen und würden Sie, wenn Ihnen jemand so einen Vertrag vorlegt, diesen jemals unterschreiben? Ich glaube, Sie würden diesen Vertrag sofort zerreissen.
Bitte denken Sie daran , dass Sie als Vertreter des deutschen Volkes gewählt worden sind und es nicht Ihre Aufgabe ist, die Interessen von Banken oder anderen Staaten zu vertreten.Ich glaube nicht, dass die Mehrheit des deutschen Volkes diesen Vertrag will.
In Erwartung einer mehr als befriedigenden Antwort verbleibe ich hochachtungsvoll
Jürgen Kohnhäuser
Sehr geehrter Herr Kohnhäuser,
haben Sie vielen Dank für Ihr Schreiben zum Europäischen Stabilisierungsmechanismus, auf das ich Ihnen gerne antworte. An dieser Stelle möchte ich mich für die verspätete Rückantwort entschuldigen, leider hat die Kommunikation mit abgeordnetenwatch.de nicht reibungslos funktioniert und Ihre Anfrage wurde mir zunächst nicht zugestellt.
Sie können mir glauben, dass die Belastung künftiger Generationen wirklich nicht in meinem Interesse liegt. Als liberaler Abgeordneter habe ich mich von Beginn an dieser besonderen Verantwortung gegenüber deutschen Steuerzahlern und der EU als Ganzes gestellt.
Das grundlegende Problem für die derzeitigen Schwierigkeiten in einigen Euroländern liegt in deren mangelnder Wettbewerbsfähigkeit, ihrer zu hohen Schulden und an lange ausgebliebenen Strukturreformen. Um diese aktuellen Probleme zu lösen, ist in bestimmten Bereichen ein Mehr an Europa geboten. Die FDP-Bundestagsfraktion begrüßt aus diesem Grund die Aussage des Europäischen Rates, eine Änderung der Europäischen Verträge anzustreben.
An der gegenwärtigen Situation zeigt sich, dass eine effektive haushaltspolitische Koordinierung auf europäischer Ebene, verbunden mit Durchgriffsrechten der EU in die Haushaltsbefugnisse der betroffenen Länder, unabdingbar ist. Denn eine gemeinsame Währung kann nur funktionieren, wenn die Spielregeln eingehalten werden. Ein erster Schritt für eine bessere Abstimmung zwischen Vertretern der Europäischen Union und finanziell angeschlagenen Euroländern ist die Einrichtung eines andauernden Überwachungsregimes vor Ort. Eine solche dauerhafte Präsenz wird beispielsweise gerade in Griechenland installiert und kann die Maßnahmen der griechischen Regierung konstruktiv und effektiv begleiten.
Der Gouverneursrat ist kein unabhängiges Gremium, das autonome Entscheidungen über europäische Steuergelder treffen kann. Er besteht aus den Finanzministern des Euro-Währungsgebiets. In Artikel 5 Absatz 1 aus dem Vertrag zur Einrichtung eines Europäischen Stabilisierungsmechanismus heißt es: „Jedes ESM-Mitglied ernennt ein Mitglied des Gouverneursrats und ein stellvertretendes Mitglied des Gouverneursrats. Die Ernennungen können jederzeit widerrufen werden. Das Mitglied des Gouverneursrats ist ein Regierungsmitglied des jeweiligen ESM-Mitglieds mit Zuständigkeit für die Finanzen.“
Die demokratische Legitimation des Gouverneursrats ergibt sich also aus der Regierungsmitgliedschaft der Beteiligten. Beispielsweise ist der deutsche Finanzminister Dr. Wolfgang Schäuble Mitglied der schwarz-gelben Bundesregierung und wurde auf Vorschlag der Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel ernannt, die ihrerseits von den Mitgliedern des Deutschen Bundestages demokratisch gewählt wurde.
Alle wesentlichen Entscheidungen des Gouverneursrats sollen einstimmig durch die Finanzminister des Euro-Währungsgebiets getroffen werden. Deutschland wird jederzeit ein Vetorecht haben. Der Gouverneursrat soll zwar beschließen können, das Stammkapital des ESM zu verändern, dieser Beschluss wird jedoch erst in Kraft treten können, wenn die ESM-Mitglieder dem zustimmen.
Der ESM als völkerrechtlicher Vertrag bedarf in Deutschland gem. Art 59 Abs. 2 unserer Verfassung eines innerstaatlichen Zustimmungsgesetzes. Im Übrigen kann der ESM nach den allgemeinen völkerrechtlichen Regeln beendet werden. Der Deutsche Bundestag soll über den ESM in der jetzt vereinbarten Gestalt entscheiden. Spätere Änderungen sollen nach dem Grundsatz vom Vorbehalt des Gesetzes und der Budgethoheit des Parlaments erneut der Zustimmung des Deutschen Bundestages bedürfen. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Griechenlandhilfe hat dies noch einmal klar dargelegt. Die Souveränität Deutschlands bleibt unangetastet.
Der Kapitalabruf nach Artikel 9 Absatz 3 des ESM-Vertrags bezieht sich übrigens auf bereits genehmigtes Kapital, welches bereits durch die nationalen Parlamente bzw. Regierungen zugesagt wurde. Wörtlich heißt es: „Die ESM-Mitglieder verpflichten sich unwiderruflich und uneingeschränkt, Kapital, das der Geschäftsführende Direktor gemäß diesem Absatz von ihnen abruft, innerhalb von sieben Tagen ab Erhalt der Aufforderung einzuzahlen.“ Es geht also nicht darum, willkürlich und ohne Ausweichmöglichkeit Unsummen zur Verfügung zu stellen. Dieser Abschnitt zielt lediglich auf die tatsächliche Funktionsfähigkeit im Ernstfall ab, so dass bereits verhandelte Finanzmittel auch wirklich zur Verfügung stehen.
Rechtliche Immunität genießen im Übrigen auch alle Mitglieder des Deutschen Bundestages. Sie schützt die Abgeordneten während ihres Mandats vor Strafverfolgung und garantiert neben der Indemnität, also dem Grundsatz, dass Abgeordnete aufgrund von Äußerungen oder Meinungsbekundungen im Rahmen ihrer Mandatsarbeit nicht verfolgt werden dürfen, die Gewissensfreiheit des einzelnen Abgeordneten und die Arbeitsfähigkeit des Parlaments. Diese Prinzipien der parlamentarischen Demokratie sind historisch gewachsen: Die Geschichte hat uns gelehrt, dass kritische Parlamentarier nicht immer vor politischen Prozessen gewahrt waren. Der Möglichkeit einer solchen Entwicklung soll Einhalt geboten werden.
Wir befinden uns augenblicklich an einer Wegscheide für die weitere Entwicklung Europas. Diese Situation ist mir voll und ganz bewusst. Ich werde mich auch weiterhin mit aller Energie dafür einsetzen, dass die der Verschuldungskrise zugrundeliegenden Probleme gelöst und nicht nur kosmetisch behandelt werden.
Mit freundlichen Grüßen
Ihr Rainer Erdel, MdB