Frage an Rainder Steenblock von Silke F. bezüglich Finanzen
Sehr geehrter Rainder Steenblock,
ich möchte von Ihnen gerne wissen, wie Sie zum Ehegattensplitting stehen.
Mit freundlichen Grüßen!
SILKE FABER
Hallo Silke Faber,
herzlichen Dank für die Frage zum Ehegattensplitting und zu den Reformideen hinsichtlich eines Familiensplittings. Gerne lege ich die Position der bündnisgrünen Bundestagsfraktion und das grüne Modell einer Individualbesteuerung mit übertragbarem Höchstbetrag dar. Das 1958 eingeführte Ehegattensplitting kommt aus einer Zeit, in der Ehe und Familie zumeist „eins“ waren. Zwar ist es bis heute überwiegend so, dass die Frauen wegen der Kinder beruflich zurückstehen, die Männer die Hauptverdiener sind und sich daraus die verschieden hohen Erwerbseinkommen begründen. Trotzdem hat sich unsere Gesellschaft seit 1958 wesentlich verändert. Frauen sind heute u.a. durch ihre besseren Bildungsabschlüsse und Berufsqualifikationen häufiger erwerbstätig. Immer mehr Paare leben ohne Trauschein zusammen. Die Anzahl alternativer Familienformen hat zugenommen. Viele Eltern sind nicht verheiratet. Die Scheidungsraten sind rasant gestiegen und auch die Zahl der „Zweit-Ehen“ hat zugenommen. Durch veränderte Lebensstile ist auch der Anteil der gewollt oder ungewollt kinderlos lebenden Ehepaare größer geworden.
Tatsache ist, dass viele Ehepaare aufgrund unterschiedlich hoher Einkommen stark vom Ehegattensplitting profitieren. Der Splittingvorteil ist nämlich umso größer, je höher das Haushaltseinkommen und je größer die Differenz zwischen den individuellen Einkommen der PartnerInnen ist. Und das ist ungerecht – egal ob mit oder ohne Kinder. Das Ehegattensplitting fördert auch nicht einmal die Ehe selbst, sondern nur den Unterschied in den Einkommensverhältnissen beider Eheleute.
Seit Jahren führt dies immer wieder zu öffentlichen Diskussionen darüber, ob das gegenwärtige Ehegattensplitting noch zeitgemäß ist. Unsere Kritik setzt vor allem an der fehlerhaften Zielorientierung an. Die Förderung von Kindern steht nicht im Mittelpunkt. Problematisch sind vor allem seine verteilungspolitischen Auswirkungen sowie gleichstellungspolitischen Konsequenzen.
Auch wenn gut die Hälfte der verheirateten Eltern davon profitieren, ist das Ehegattensplitting keine Familienförderung! Das Splitting knüpft nicht an das Vorhandensein von Kindern an. Auch nach der Rechtsprechung des BVerfG ist das Ehegattensplitting rechtlich von der Familienförderung zu trennen. Die eigentliche Familienförderung sind alle Transferleistungen wie der „Förderanteil“ des Kindergeldes, das Erziehungsgeld, künftig Elterngeld, und die Ausbildungsförderung.
Kurz gesagt: Das Ehegattensplitting begünstigt unverhältnismäßig Alleinverdiener-Ehen mit hohem Einkommen. Es gibt vor allem Frauen einen Anreiz, aus dem Erwerbsleben auszuscheiden bzw. so spät ins Erwerbsleben zurückzukehren, dass ihre Chancen auf dem Arbeitsmarkt gegen Null sinken. Und betrachtet man das Ehegattensplitting in der Verteilung zwischen alten und neuen Bundesländern, so zeigt sich, dass es ein Steuermodell ist, dessen finanzielle Vorteile sich vor allem zu Gunsten der privaten Haushalte in den alten Bundesländern auswirken.
Immer wieder werden Rufe zur Umgestaltung des Splittings laut: Auch die Union will im Rahmen ihres Grundsatzprogramms vom Ehegatten- zum Familiensplittings wechseln.
Auf den ersten Blick scheint der Name „Familiensplitting“ zu überzeugen. Natürlich sollen Kinder bei der Steuererklärung „zählen“; auch klingt es überzeugend, die mit ihnen verbundenen Kosten steuerlich einfach und transparent berücksichtigen zu können.
Das Familiensplitting würde aber praktisch die Ausdehnung der ungerechten Auswirkungen des Ehegattensplittings auf die Kinder bedeuten. D.h. das Gesamteinkommen würde fiktiv auf die Zahl der Familienmitglieder verteilt und dann besteuert. Die Steuer fiele damit abhängig von der Einkommenshöhe und der Zahl der Familienmitglieder geringer aus, als wenn das Einkommen nicht geteilt würde. Mit anderen Worten: Je höher das Einkommen, desto größer der Steuervorteil – bei gleicher Kinderzahl.
Bei genauerer Betrachtung stellen wir deshalb Folgendes fest:
Das Familiensplitting käme vor allem Familien im obersten Fünftel der Einkommensverteilung zugute.
Beim „französischen Splitting“ würde sich für Familien mit ein oder zwei Kindern kaum etwas ändern, weil das Kindergeld in Deutschland für diese Kinder deutlich höher ist als in Frankreich.
Nur Familien mit drei oder mehr Kindern und sehr hohem Einkommen würden bei dieser Reformvariante steuerlich stärker entlastet als im derzeitigen Ehegattensplitting.
Anreize zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit für die nicht oder weniger
verdienende EhepartnerIn ergäben sich (wie auch beim Ehegattensplitting)
nicht.
Das Familiensplitting würde den Staat hohe Steuermindereinnahmen kosten, seine Kinder fördernde Wirkung wäre weiterhin nicht zielgenau und auch nicht verteilungsgerechter – ganz im Gegenteil!
Bündnis 90/Die Grünen lehnen deshalb das Familiensplitting grundsätzlich ab. Familienförderung in Deutschland muss aus unserer Sicht konsequent auf die Förderung von Kindern orientiert werden. Dabei muss uns schon aus Gründen der Chancengleichheit jedes Kind gleich viel wert sein. Und wir müssen uns angesichts leerer Kassen gut überlegen, wie wir gezielt in Kinder investieren.
Der grüne Vorschlag für eine Umwandlung des Ehegattensplittings in eine Individualbesteuerung ist einfach: Jeder, der arbeitet, wird separat besteuert. Es gibt keine Zusammenveranlagung der Ehegatten mehr. Die Steuerklassen III, IV und V können aufgehoben werden. Das ist ein kleiner Beitrag zur Vereinfachung des Steuersystems.
Da das Bundesverfassungsgericht verlangt, dass das gemeinsame Existenzminimum von EhepartnerInnen steuerfrei bleiben muss, sieht der grüne Vorschlag einen bestimmten Höchstbetrag vor, der von dem Einkommen des besser verdienenden Partners auf der geringer verdienenden PartnerIn übertragen werden kann. Dieser muss den übertragenen Betrag dann bei sich versteuern. Diese Übertragung wird pauschal unterstellt und sie muss nicht nachgewiesen werden. Es entsteht weiterhin ein Steuervorteil, weil die progressive Besteuerung höherer Einkommen abgemildert wird. Dieser Vorteil ist aber bei höheren Einkommen deutlich kleiner als heute. Bei kleinen Einkommen entstehen keine finanziellen Nachteile gegenüber heute.
Die daraus zu erwartenden Steuermehreinnahmen müssen zielgenau, wirkungsvoll und gerecht in Kinder investiert werden. Großen Handlungsbedarf sehen wir beim quantitativen und qualitativen Ausbau der Betreuungsinfrastruktur, insbesondere für Kinder unter drei Jahren. Mütter und Väter sollen in allen Bundesländern verbesserte Möglichkeiten erhalten, Familie und Beruf miteinander zu vereinbaren. Auch die beitragsfreie Kita soll auf diese Weise realisiert werden.
Bei der Gestaltung der finanziellen Transfers und der Steuerprivilegien für Familien waren wir in den vergangenen Jahren so erfolgreich, dass wir heute die kinderpolitischen Schwerpunkte an anderer Stelle sehen. So ist in den vergangenen Jahren mit grüner Beteiligung die direkte materielle Förderung für Familien deutlich erhöht worden. Leistungen wie das Kindergeld und steuerliche Freibeträge, die rentenrechtliche Anerkennung von Erziehungsleistungen oder das BaföG haben wir beträchtlich angehoben. Deutschland liegt hier im europäischen Vergleich im oberen Drittel. Schlusslicht sind wir dagegen bei der Kindertagesbetreuung.
Die Umwandlung des Ehegattensplittings in eine Individualbesteuerung mit übertragbarem Höchstbetrag würde die Möglichkeit schaffen, auch bei der Kinderbetreuung aufzuholen. Wir legen damit unseren Schwerpunkt auf Ausbau und Angebot einer qualitativ hochwertigen Kindertagesbetreuung für alle Kinder. Zugleich wollen wir den Rechtsanspruch auf bedarfsgerechte Kinderbetreuung für Kinder ab einem Jahr durchsetzen und verwirklichen.
Die Vereinbarungen der schwarz-roten Koalition zur Kinderpolitik lassen diese klare Prioritätensetzung leider vermissen. Die Umsetzung bleibt weiterhin vage, über die Finanzierung wird weiter heftig gestritten. Wir dagegen machen konstruktive Vorschläge für eine bessere Förderung von Kindern.
Mit freundlichen Grüßen
Rainder Steenblock