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Rainder Steenblock
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Frage von Marcel F. •

Frage an Rainder Steenblock von Marcel F. bezüglich Soziale Sicherung

Sehr geehrter Herr Steenblock,

nach dem Scheitern des EU-Vertrags von Lissabon ist die Ratifizierung des Vertrags und damit die Weiterentwicklung Europas faktisch zum Stillstand gekommen. Das "NO" der Iren gilt vielen nicht zuletzt als Ablehnung des europäischen Sozialmodells. Deshalb interessiert mich Ihre Meinung zu dem alternativen Sozialsystem des bedingungslosen Grundeinkommens (BGE).

Wie Sie vielleicht wissen sieht dieses Konzept vor, JEDEM Menschen ohne Bedarfsprüfung und Erwartung einer Gegenleistung eine Summe (je nach Modell) zwischen 600-1.300€ monatlich zur Verfügung zu stellen. Als Gegenmodell zur "Zwangsarbeit für Hartz-IV-Empfänger", die der Wirtschaftsminister Glos vorschlägt, setzt das BGE auf das Recht eines jeden Menschen, "NEIN" zu unzumutbaren Arbeitsbedingungen zu sagen.
Keinesfalls soll durch ein BGE die Bereitschaft zur Erwerbsarbeit verringert oder diese gar abgeschafft werden. Wer mehr Geld benötigt, soll auch weiterhin arbeiten können und so sein Einkommen erhöhen. Es geht also nicht um "Gleichmacherei" oder Kommunismus, sondern um ein Recht auf ausreichendes Einkommen, dass sich aus dem Recht auf ein würdevolles Leben ableitet.

Ohne hier in eine detaillierte Debatte über Vor- und Nachteile zu verfallen möchte ich von Ihnen wissen:

* Wie steht ihre Partei in S.-H. im Allgemeinen und Sie im speziellen zu der Idee des BGEs?
* Wie schätzen sie die Möglichkeit ein, mit diesem Konzept ein sozialeres und wirtschaftlich stabileres (durch Stärkung des Binnenmarktes) Europa auf den Weg zu bringen?
* Welche Alternativen bieten sich Ihrer Meinung nach zum status quo und zum BGE? Der Vorschlag von Herrn Glos "fragwürdiges Existenzminimum nur gegen Arbeit"?

Für weitere Informationen besuchen Sie bitte die folgenden Internetseiten:

www.buergerinitiative-grundeinkommen.de
www.unternimm-die-zu kunft.de
www.grundeinkommen-hamburg.de

mit freundlichen Grüßen

M. Fehlau

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Fehlau,

haben Sie zunächst einmal herzlichen Dank für Ihre Fragen, die ich im Folgenden gerne beantworten will.

Ihre Fragen verstehe ich dahingehend, dass Sie gerne eine Einschätzung von mir hätten, wie ich im Allgemeinen zum BGE stehe, nicht zu den teilweise stark variierenden unterschiedlichen Modellen.

Vorweg: Die visionäre Idee des bedingungslosen Grundeinkommens (BGE) hat zweifellos ihren Charme. Der hinter dem BGE stehende Gedanke, jedem Menschen einen bestimmten Betrag (je nach Modell zwischen 600 und 1500 Euro) zur Existenzsicherung ohne Gegenleistung zukommen zu lassen, wäre ein radikaler Wechsel gegenüber der bisherigen Sozialpolitik mit ihrem Konzept des "Förderns" bei gleichzeitigem "Fordern". Letztere Komponente würde - mit allen dahinterstehenden Konsequenzen - durch die Einführung eines BGE wegfallen.

Befürworter des Grundeinkommens betonen daher die Möglichkeit der Verwirklichung alternativer Lebenskonzepte sowie die Chance einer grundlegenden Vereinfachung der Steuersysteme und ein damit einhergehender Bürokratieabbau durch den Wegfall sämtlicher bisher gekannter sozialer Transferleistungen.

Wie sie vielleicht wissen, wird innerhalb meiner Partei Bündnis 90/Die Grünen das BGE intensiv diskutiert. Einige Landesverbände, so zum Beispiel Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein, sprachen sich auf ihren Parteitagen für ein Grundeinkommen-Modell aus. Bündnis 90/Die Grünen ist die einzige Partei, die der visionären Idee des Grundeinkommens auf einem Bundesparteitag diskutierte. Damals setzten sich die Befürworter einer so genannten Grünen Grundsicherung - wenn auch knapp - gegen die Befürworter eines Grundeinkommens durch. Hierdurch erklärt sich, dass in der Grünen Grundsicherung auch Elemente des BGEs, wie zum Beispiel die Einführung einer bedingungslosen Grundsicherung für Kinder, eingeflossen sind.

Der Landesverband von Bündnis 90/Die Grünen in Schleswig-Holstein hat auf seinem Parteitag vom 11. November 2007 mit knapper Mehrheit einen Beschluss zur Einführung eines Grünen Grundeinkommens gefasst. Den Beschluss mit dem Titel "Das Grüne Grundeinkommen: Individuell, Existenz sichernd, bedingungslos. Für einen neuen sozialen Zusammenhalt" finden sie hier
http://www.sh.gruene.de/cms/default/dokbin/204/204934.beschluss_vorlaeufig_das_gruene_grundein.pdf , die Rede des Landesvorsitzenden Robert Habecks, finden sie hier: http://www.sh.gruene.de/cms/default/dok/204/204938.das_gruene_grundeinkommen.htm

Der schleswig-holsteinische Landesverband von Bündnis 90/Die Grünen setzt sich nach wie vor für ein Grünes Modell des Grundeinkommens ein. So heißt es in einem Beschluss der auf dem Landesparteitag am 19.04.2008 in Schleswig gefasst wurde: "Diese Vision verfolgen wir weiter und kämpfen für innerparteiliche und gesellschaftliche Mehrheiten." Gleichzeitig, so heißt es in dem Beschluss weiter, sei man sich darüber im Klaren, dass sich dieses Modell "nicht unverzüglich umsetzen lassen wird".

Zu meiner persönlichen Meinung zum BGE: Wie bereits angesprochen, hat das BGE durchaus Charme. Meine Vorstellung von einer solidarischen Gesellschaft sieht jedoch anders aus. Während die bestehenden BGE-Modelle alle Individuen gleich behandeln wollen - was grundsätzlich ja auch sehr lobenswert ist - muss eine solidarische Gesellschaft meines Erachtens nach durchaus Partei für Einzelne, nämlich die Schwächsten der Gesellschaft, ergreifen. Ihre Förderung würde in BGE-Modellen zu kurz kommen. Darüber hinaus haben die Ermöglichung einer demokratischen gesellschaftlichen Teilhabe und die Unterstützung der Menschen bei der Entfaltung ihrer individuellen Potentiale durch den Staat aus meiner Sicht mehr Komponenten als die bloße Alimentierung von BürgerInnen. Diese allein eröffnet langfristig keinen ausreichenden Raum für alternative Lebensentwürfe. Eine Grundsicherung darf sich somit aus meiner Sicht nicht bloß auf die Komponente der Existenzsicherung beschränken, sondern muss vielmehr um eine zweite Komponente, die Teilhabegarantie, ergänzt werden.

Zu den Umsetzungsmöglichkeiten von BGE-Modellen auf europäischer Ebene:
Keine Frage: Die zunehmend wachsende soziale Ungleichheit innerhalb Europas lässt die Beantwortung der Frage, wie ein soziales Europa aussehen könnte, dringender denn je erscheinen: Meines Erachtens nach ist aber, was die Beantwortung dieser Frage und in diesem Zusammenhang die Umsetzungschancen eines BGE in einer zunehmend globalisierten Welt und einem sich weiter transnational vernetzendem Europa angeht, Skepsis angebracht. Selbst die Befürworterinnen und Befürworter eines Grundeinkommens räumen ein, dass selbst ein bundeseinheitliches Grundeinkommen nicht ausreichend durchdacht ist und sich die Umsetzung als schwierig erweisen würde. Eine Übertragung von BGE-Modellen auf die europäische Ebene ist aus meiner Sicht zum heutigen Zeitpunkt nahezu ausgeschlossen. Ein BGE kann meines Erachtens nach keine Alternative zum bestehenden europäischen Sozialmodell, das zweifellos reformiert und auf veränderte wirtschaftliche Rahmenbedingungen eingestellt werden muss, darstellen. So können, um nur ein Beispiel zu nennen, die europäischen Rentensysteme nicht über Nacht abgeschafft werden, sondern müssten noch über viele Jahrzehnte die erworbenen Ansprüche von Arbeitnehmern bedienen.
Dazu, wie ein soziales Europa aussehen könnte, macht meine Partei Bündnis 90/Die Grünen konkrete Vorschläge. Weiterführende Informationen finden Sie hier: http://www.gruene-bundestag.de/cms/europaeische_union/dok/232/232247.eine_oekologisch_und_sozial_nachhaltige.html

Ich danke Ihnen an dieser Stelle für das Interesse an meiner Arbeit und hoffe, Ihre Fragen in einem für Sie befriedigendem Maße beantwortet zu haben.

Mit freundlichen Grüßen nach Pinneberg,

Rainder Steenblock