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Rainder Steenblock
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Frage von Guido S. •

Frage an Rainder Steenblock von Guido S. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Steenblock,

ich wende mich an Sie als Mitglied des Ausschusses für die Angelegenheiten der Europäischen Union und wüsste gerne ob Sie und der Ausschuss sich schon einmal mit dem Rechtsschutzstandard vor den europäischen Gerichten und insbesondere mit dem Rechtsschutz in Beamtensachen befasst haben.

Deren Praxis widerspricht meinen Rechtsstaatsempfinden völlig und ich denke es wäre lohnend, die allgemeinen Verfahrensrechte und die Gerichtspraxis im deutschen (national europäischen) Verwaltungs(Beamten)Recht einmal mit der Praxis auf europäischer Ebene zu vergleichen:

Defizitie auf europäischer Ebene sind m.E.:
- das Fehlen einer Verpflichtungsklage;
- das Fehlen des Amtsermittlungsgrundsatzes gepaart mit:
o weitgehendem Verzicht auf Beweisaufnahmen;
o massiven Präklusionsregeln;
o Beschränkungen z.B. bzgl. Anzahl und Volumen der Schriftsätze;
o hohen Formalanforderungen an Schriftsätze und deren Vollständigkeit;
o dem Informationsmonopol der Institutionen;
o hohen Beweisanforderungen (z.B. hinsichtlich der Entscheidungserheblichkeit von Formverstößen)

- die Tatsache, dass die Rechtsprechung nicht in allen Gemeinschaftssprachen sondern fast ausschließlich in Französisch vorliegt und der daraus resultierenden Ungleichgewichte;

- ein Befangenheitsrisiko der Richter, die ja selbst Dienstherrenaufgaben wahrnehmen;

- die Aussichtslosigkeit einstweiligen Rechtsschutzes;

- die langen Verfahrensdauern;

- das obligatorische Vorverfahren;

- die fehlende öffentliche Kontrolle der Rechtsprechung;

- …

Ich würde mich freuen wenn Sie sich das Thema einmal ansehen könnten und kann Ihnen gerne weitere Hinweise z.B. auf besonders interessante Urteile und Beschlüsse der Gerichte geben.

Sind Sie der Meinung dass dieser Rechtsschutz den Standards des Grundgesetzes und den Vorgaben des BVerfG entspricht?

Mit freundlichem Gruß
G. Strack

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Strack,

vielen Dank für Ihre Anfrage, mit der Sie mich auf ein für mich völlig neues Problem - den Rechtsschutz vom EU-Beamten - hingewiesen haben. Damit habe ich ihre erste Frage bereits beantwortet: dieser Punkt hat nach meiner Erinnerung auch meinen Ausschuss bisher nicht beschäftigt. Darüber hinaus gilt sogar, dass sich auch in der deutschen juristischen Fachliteratur hierzu meines Wissens keine Kritik findet und insgesamt der Satus der EU-Bematen in Deutschland eher unter dem Gesichtspunkt vergleichsweise hoher Gehälter debattiert wird.

Ich will daher gestehen, dass ich vor dem geschilderten Hintergrund im ersten Moment gedacht habe, an Ihrer Kritik sei - um es flapsig zu sagen - wenig dran. Dieser Eindruck speiste sich zusätzlich daraus, dass Sie auch einige Punkte am Rechsschutz der EU-Beamten kritisieren, die sich auch in der deutschen Rechtsordnung finden. Dies gilt etwa für ein "obligatorisches Vorverfahren" (vgl. §§ 68 ff VwGO und § 126 Abs. 3 BRRG).

Diese erste Einschätzung habe ich jedoch nach einer etwas vertieften Beschäftigung mit dem Rechtsschutz der EU-Beamten korrigiert. Tatsächlich habe ich durchaus Anzeichen dafür finden können, dass das Gericht für den öffentlichen Dienst der Europäischen Union die Artikel 90 ff. des Statuts restriktiv interpretiert. Insbesondere legt es sehr strenge Maßstäbe an den Begriff der "beschwerenden Maßnahme" an und interpretiert den Begriff der "Streitsache vermögensrechtlicher Art" eng. Damit hat auch - wie von Ihnen kritisiert - der grundsätzliche Ausschluss der Verpflichtungsklage erhebliche Bedeutung. Am ehesten ließe sich - so mein erster Gesamteindruck - der gewährte Rechtsschutz noch mit dem in einem deutschen Revisionsverfahren vergleichen, in dem der Revisionskläger sowohl in tatsächlicher wie in rechtlicher Hinsicht selbst nur ganz spezifische Rügen vortragen kann und diese besonders begründen muss. Dies ist natürlich für den Rechtsschutz der Kläger eine große Beschränkung, wenn diese Restriktionen schon umittelbar - wie hier - in der ersten Instanz greifen.

Allerdings kann man die genannten Beschränkungen - danach fragen Sie ja auch - aus meiner Sicht nicht unmittelbar am Standard des Grundgesetzes messen. Denn es geht hier um den Rechtsschutz innerhalb einer supranationalen Organisation. Eine Rolle bei dem hier anzulegenden Maßstab spielen daher bisher nur die gemeinsamen Verfassungstraditionen aller Mitgliedstaaten und die vom EuGH oft herangezogene EMRK. Ich gehe daher davon aus, dass ein Umsteuern nicht ganz einfach zu erreichen sein wird, zumal auf der europäischen Ebene gegenwärtig - soweit mir bekannt - keine Revision des Beamtenstatuts zur Debatte steht. Eine gewisse Hoffnung auf Verbesserung würde ich jedoch auf die - im Entwurf der Europäischen Verfassung enthaltene - Charta der Grundrechte der Union setzen, für deren Verankerung im EU-Recht meine Partei nach wie vor streitet. Denn die Charta enthält (siehe Artikel II-107) ein Grundrecht auf einen wirksamen Rechtsbehelf. Ein Inkraftreten der Charta sollte daher aus meiner Sicht auch Folgen für die Interpretation der Rechtsschutzbestimmungen des Satuts haben.

Zum Schluss eine Bemerkung zur von Ihnen ja auch angesprochenen Sprachenfrage: Ich teile generell - und gerade in Hinblick auf für den Rechtsschutz erhebliche Urteile - Ihre Einschätzung, dass die EU grundsätzlich einen Zugang zu allen Dokumenten auch auf Deutsch ermöglichen sollte. Allerdings ist dies auch ein finanzielles Problem. So beschäftigt bereits jetzt der EuGH allein eine sehr große Zahl von Dolmetschern (soweit mir bekannt in der Größenordnung von 800 - 1000). Überdies wird gerade beim Gericht für Beamtensachen häufig auch von nicht frankophonen Klägern das Französische als Verhandlungssprache gewählt, weil die in Brüssel auf diese Rechtsstreitigkeit spezialisierten Anwälte diese Sprache bevorzugen. Mit Blick auf die finanziellen Beschränkungen ist daher im Ansatz nachvollziehbar, dass sich das Gericht darauf konzentriert, alle Entscheidungen zumindest in französischer Sprache zur Verfügung zu halten. Ich stimme Ihnen - wie gesagt - jedoch zu, dass es zwingend erforderlich ist, dass wir hier mehr Mittel einsetzen, damit EU-Dokumente und insbesondere Gerichtsentscheidungen vollständig auch auf Deutsch verfügbar sind. Daraus würden sich vermutlich auch Impulse für die von Ihnen gewünschte öffentliche Debatte ergeben.

Mit freundlichen Grüßen
Rainder Steenblock