Frage an Philipp Scholz von Tilman K. bezüglich Landwirtschaft und Ernährung
Bedeutet Ihre Antwort zur Gentechnik (31.12.2008), daß auch dann, wenn z.B. bei einer Genlabor-Kreuzung zweier traditionell heimischer Kulturpflanzen - nehmen wir konkret Kohl und Rübsen - etwas Nützliches herauskäme, die Freisetzung des Produkts dennoch für Ihre Partei politisch tabu wäre?
Sehr geehrter Herr Kluge,
vielen Dank für Ihre Frage. Ihre Formulierung vernebelt allerdings etwas den Hintergrund, daher möchte ich für die Nicht-Fachleute zunächst einmal die Begriffe klären:
Die Kreuzungen zwischen Kohl und Rübsen bezeichnet man gängigerweise als Raps. Diese Kulturpflanze hat in den letzten Jahren eine zunehmende Bedeutung in der Landwirtschaft erlangt, nicht zuletzt durch die politischen Entscheidungen der rot-GRÜNEN Bundesregierung im Bereich Energiegewinnung aus nachwachsenden Rohstoffen.
Schon lange gibt es Bestrebungen der Agrar-Industrie, namentlich Monsanto, aber auch andere Firmen, gentechnisch veränderte Rapssorten freizusetzen. Diese Rapssorten sind zum Beispiel resistent gegen das - ebenfalls von Monsanto produzierte - Unkrautvernichtungsmittel "Roundup".
Allerdings ist sich die Wissenschaft einig (und das sollten Sie als Agrarwissenschaftler an sich wissen), dass gentechnisch veränderter Raps nicht "koexistenzfähig" ist. Aufgrund seines Auskreuzungsverhaltens, der leichten Samenverbreitung und seines Durchwuchsverhaltens lassen sich Einkreuzung und Eintrag in benachbarte nicht-transgene Rapsbestände in der Praxis nicht verhindern, wie u.a. die Erfahrungen mit herbizidresistentem Raps in Kanada zeigen. Selbst die als Befürworterin der Gentechnik geltende Dr. Christel Happach Kasan (Gentechnik-Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion) betont, dass Raps nicht koexistenzfähig ist.
Raps produziert 30 bis 40 Tage Pollen. Während dieser Zeit beträgt die Anzahl der Pollenkörner pro Kubikmeter Luft 600-1.000 Körner, teilweise sogar bis zu 2.800 Körnern. Die Befruchtung erfolgt bei Raps über Wind und Insekten. In Freilandversuchen wurde Rapspollen noch in einer Entfernung von
26 km zur Pollenquelle nachgewiesen. Nach der Rapsernte können stellenweise
bis zu mehrere Tausend Rapssamen pro m² auf dem Feld verbleiben. Die Überdauerung von Rapssamen auf Feldern, an Feldrändern oder entlang von Transportwegen ist im Vergleich zu anderen Kulturen sehr lang. Rapssaat ist winterhart und jahrzehntelang keimfähig - mindestens 15 Jahre. Im Bescheid des Bundesamtes für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) werden sogar 20 Jahre angegeben. Ursache für die Dormanz ist, dass Raps in
Keimruhe treten kann und erst bei einem speziellen Reiz, bspw. optimale Umweltbedingungen, wieder keimt. Hinzu kommt die hohe Neigung "durchzuwachsen". In Norddeutschland ist Durchwuchs von 400
Rapspflanzen pro Quadratmeter nicht ungewöhnlich.
In Deutschland hat Raps verschiedene Verwandte (Brassicaceen - wie Kohl, Rettich, Rübsen, Radieschen und Senf aber auch Hederich und Ackersenf), die mit Raps kreuzungsfähig sind und deren Blühperioden mit Sommerraps überlappen. Kreuzungen sind generell innerhalb der Art Brassica napus (Raps im weiteren Sinne), zwischen verschiedenen Arten der Gattung Brassica und sogar zwischen verschiedenen Gattungen der Familie der Brassicaceen möglich.
Transgene können auch in Wildpflanzen gelangen. So sind spontane Verkreuzungen von Raps mit Wildem Rübsen (B. rapa), Grausenf (H. incana), Hederich (R. raphanistrum) und Ackersenf (Sinapis arvensis) beobachtet worden. Ob wilde Brassicaceen als Quelle für GMO-Kontamination - als so genannte "grüne Brücke", in Frage kommen hängt wesentlich davon ab, ob ein Selektionsvorteil durch die transgene Einkreuzung besteht und damit eine Verdrängung von nicht-transgenen Wildpflanzen erfolgen könnte. Realistisch wäre hier bspw. das Szenario von herbizidresistenten wilden Brassicaceen, die sich an mit Herbiziden behandelten Bahndämmen ausbreiten. Der Transfer von Transgenen in Wildpflanzenpopulationen kann auch in Schritten erfolgen, so ist Rübsen sowohl mit Raps als auch mit Ackersenf kreuzbar. Ernte- und Transportverluste von Raps sind allgemein hoch. Auf- und Durchwuchs auf und neben den Anbauflächen werden weithin beobachtet,
Ruderalpopulationen sind zahlreich und deren Verbreitung ist nicht auf die Nähe zu Anbauflächen oder Transportwegen beschränkt. Durchwuchs kann länger als 5 Jahre auftreten. Die Freisetzung transgener Rapspflanzen in einer Region, in der Auskreuzung auf Wildpflanzen und Verbreitung über Transportwege nicht zu verhindern ist, ist daher nicht zu verantworten.
In Kanada wird gentechnisch veränderter Raps seit 1996 angebaut. Innerhalb von wenigen Jahren entstanden Rapspflanzen, die mehrfach resistent sind: gegen Roundup und Liberty (Basta) sowie teilweise auch gegen Imidazolinon. Vor allem die pfluglose Bewirtschaftung, die die Unkrautdecke vor der Aussaat mit den genannten Totalherbiziden beseitigen wollen, bekommt immer mehr Probleme. Um auch die resistenten Durchwuchspflanzen abzutöten, müssen dann immer weitere Herbizide eingesetzt werden. Dies erhöht sowohl die Kosten als auch die Menge der ausgebrachten Mittel. Auch in Betrieben, die selber keinen Gentech-Raps anbauen, führt herbizidresistenter Durchwuchsraps zu Schwierigkeiten. Der Grund: In Kanada enthält über die Hälfte des konventionellen Saatgutes mehr als 0,25 Prozent gentechnisch verändertes Material. Derart verunreinigtes Saatgut führt selbst dort zu Durchwuchs von herbizidresistentem Raps, wo gar kein Gentech-Saatgut ausgebracht wurde. Denn bei einem Raps-Feld, auf dem 0,25 Prozent der Pflanzen herbizidresistent sind, tritt im nächsten Jahr - auch wenn nur ein Zehntel des Ausfallrapses keimt - eine herbizidresistente Rapspflanze pro Quadratmeter auf.
Der Gentech-Rapsanbau in Kanada hat inzwischen dazu geführt, dass praktisch kein gentechnikfreies Raps-Saatgut mehr angeboten werden kann. Bio-Bauern mussten, um ihre Zertifizierung nicht zu verlieren, den Rapsanbau komplett aufgeben. Der Gerichtshof des kanadischen Bundesstaates Saskatchewan hat 2004 eine Sammelklage von rund 1.000 Bio-Bauern zugelassen, die von Monsanto und Bayer CropScience Entschädigung von Einnahmeverlusten fordern, die ihnen durch die Kontamination ihrer Ernten durch gentechnisch veränderten Raps entstanden sind. Ernte- und Transportverluste von Raps sind allgemein hoch.
Nur ein Beispiel zu den negativen wirtschaftlichen Folgen, die sich durch die Freisetzung von gentechnisch verändertem Raps ergeben werden:
Honig gilt bei Verbrauchern seit jeher als der Inbegriff eines natürlichen und gesunden Lebensmittels. Es besteht die Gefahr, dass die Agro-Gentechnik dieses Image grundlegend zerstören wird. Was passieren kann, wenn GVO auch nur in kleinen Mengen im Honig gefunden wird, zeigt das Beispiel vom Juni 2002, als in konventionell erzeugten kanadischen Raps- und Klee-Honigen Raps-GVO gefunden wurde. Das Handelsunternehmen Bremke und Hörster (famila- Warenhäuser sowie Combi- und Friz Verbrauchermärkte) nahm den mit Gen-Pollen belasteten kanadischen Raps-Klee-Honig der Firma Biophar aus den Regalen (Greenpeace 10.7.02). Die Firma Langnese teilte umgehend mit, keinen kanadischen Honig mehr zu verwenden. Die Firma Allos hat Bio-Raps-Honig aus Kanada bereits Ende der 90`er komplett ausgelistet. Seit September 2003 führt Allos auch keinen kanadischen Klee-Honig mehr, da in diesem immer Rapspollen enthalten sind. Wird Raps in Deutschland freigesetzt, ist die Existenz der (Berufs-)Imker massiv bedroht.
Sehr geehrter Herr Kluge, aus all diesen Gründen sind die GRÜNEN - und da sind wir uns mit der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung einig - gegen gentechnisch veränderte Agrarpflanzen. Ergreifen Sie als Fachmann auf diesem Gebiet die Chance, auch die anderen Mitglieder Ihrer Partei (so viel ich weiß, sind sie CDU-Mitglied) davon zu überzeugen, dass gentechnisch veränderte Pflanzen auf unseren Äckern nichts verloren haben!
Mit freundlichen Grüßen
Peter Scholz