Frage an Philipp Murmann von Max G. H. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Erklären Sie mir bitte, wie Sie heute nachmittag (29.06.2012) als Volksvertreter eines demokratischen Rechtsstaates "guten Gewissens" über ein Gesetz (Fiskalpakt und ESM) abstimmen können, das erst heute nacht in Brüssel von Ihrer Vorsitzenden entscheidend verhandelt und gravierend modifiziert wurde.
m.f.g.
m.g.horn
Sehr geehrter Herr Horn,
leider komme ich erst heute dazu, Ihnen zu antworten. Gerne möchte ich zu Ihrer Mail Stellung beziehen und Ihnen deutlich machen, warum ich im Bundestag für den ESM und den Fiskalpakt gestimmt habe.
1) Die Vertragswerke des ESM und des Fiskalpaktes standen bereits vor dem des Euro-Gipfel in Brüssel am 29. Juni 2012 fest. Sie waren auch - entgegen einiger falscher Presse-Meldungen - nicht Gegenstand der Abstimmungen im Bundestag. Diese Vertragswerke wurden in den letzten Wochen und Monaten in allen Details besprochen und diskutiert, in unserer Fraktion und den Arbeitsgruppen, in der EU, in der Bundesregierung, mit den Oppositionsfraktionen und mit den Ländern. Sonst hätte es auch keine so breite Mehrheit gegeben.
2) Die Sorgen und die Skepsis vieler Bürger gegenüber dem Euro-Rettungsschirm ESM und dem Fiskalpakt kann ich gut verstehen und nehme sie sehr ernst. Die Milliardenbeträge, um die es geht, sind der Bevölkerung kaum noch kommunizierbar. Aber: Die Euro-Staaten haben durch die gemeinsame Währung auch eine gemeinsame Verantwortung füreinander. Und aus dieser Verantwortung heraus, ist es ein Gebot aller Euro-Staaten die Schuldenkrise gemeinsam anzugehen. Diese Herausforderung ist in der Tat immens und der Fiskalpakt ist dabei ein wichtiger Baustein um die Krise in den Griff zu bekommen. Er setzt den Startpunkt für eine verstärkte gemeinsame Fiskalpolitik aller Euro-Staaten und eine bessere Koordinierung der nationalen Finanzpolitik durch die Europäische Union. Viele Bürgerinnen und Bürger wollen Europa und erkennen seine Vorzüge: Es bringt ein „Mehr an Freiheit“, aber dadurch auch ein „Mehr an Verantwortung“.
3) Ich bin der Überzeugung, dass nur eine solche bessere gemeinsame Fiskalpolitik die Schuldenkrise in den Griff bekommen kann. Daher habe ich am vergangenen Freitag für den Euro-Rettungsschirm und den Fiskalpakt gestimmt:
Wichtigster Baustein des Fiskalpakts ist die Schuldenbremse (übrigens nach deutschem Vorbild), die nach ihrer Ratifizierung in den Euro-Staaten für die langfristige finanzielle Stabilität in der Euro-Zone sorgen soll. Das ist eine wichtige Leistung unserer Bundeskanzlerin in den vorausgegangenen Verhandlungen. Dem Schuldenmachen wird dadurch eine Grenze gesetzt. Das ist ein wichtiger Punkt, um die hoch verschuldeten Länder der Euro-Zone zu mehr Haushaltsdisziplin zu zwingen. Durch die Zustimmung zum Fiskalpakt verliert Deutschland darüber hinaus nicht seine staatlichen Hoheitsrecht in der Finanzpolitik. Nach wie vor obliegt dem Nationalstaat und somit dem Parlament das Haushaltsrecht. Die EU kontrolliert den Haushalt jedoch auf Einhaltung der Vereinbarungen des Fiskalpakts. Dadurch machen wir uns noch lange nicht zu "Sklaven" der Brüsseler Bürokratie.
Ich bin der Überzeugung, dass auch wir Deutschen zu unserer Verantwortung für Europa stehen müssen und sehe die Zustimmung zum ESM und zum Fiskalpakt nicht als "Gesichtsverlust" oder Verlust der Souveränität sondern als Zeichen der Verantwortung. Eine gesamtschuldnerische Haftung wird es weiterhin nicht geben. Unser Prinzip "Hilfen gegen Konditionen" bleibt ebenfalls gültig.
4) Bezüglich der weiteren Entwicklung bin ich mir aber sicher, dass wir auch zu weitergehenden Überlegungen und Veränderungen in Europa bereit sein müssen - man könnte es auch ein "Europa 2.0" nennen. Dazu müssen wir im Übergang auch Alternativverfahren entwickeln, die Mechanismen eines temporären Sonderstatus ermöglichen können, z.B. bei zeitweiser Nichterfüllung vereinbarter Kriterien. Mit dem ESM haben wir quasi ein erstes solches Instrument geschaffen, dem aber weitere folgen müssen. Auch kontrollierte Insolvenzverfahren für einzelne Staaten müssen entwickelt werden, denen dann aber ein ebenso kontrollierter "Neustartprozess" folgen muss. Bei all diesen Überlegungen müssen immer die nachhaltige Stabilität und langfristige Stärke Deutschlands und Europas im Vordergrund stehen. Der Ausgleich von Subsidiarität und Solidarität muss ebenfalls immer im Auge behalten werden. Natürlich werden dazu intensive Diskussionen notwendig sein, die Zeit brauchen. Aber, wir stehen im Wettbewerb mit anderen starken Regionen in dieser Welt, die sich ebenfalls ständig weiter entwickeln.
Ich hoffe, Ihnen meinen Standpunkt deutlich gemacht zu haben und verbleibe mit den besten Grüßen
Ihr
Philipp Murmann