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Philipp Murmann
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Frage von Gerhard W. •

Frage an Philipp Murmann von Gerhard W. bezüglich Soziale Sicherung

Sehr geehrter Herr Dr. Murmann,

als Vater einer erwachsenen schwerstbehinderten Tochter bitte ich Sie um eine Stellungnahme zu der aktuell geplanten Regelbedarfsstufe 3, welche laut Gesetzentwurf der Bundesregierung für Menschen mit Behinderung lediglich 80 % des Bedarfs von erwachsenen Leistungsberechtigten ohne Behinderung vorsieht. Eine 100%-Anhebung für den oben genannten Personenkreis soll in den nächsten Wochen entschieden werden.

Warum wurde dieser Teil abgekoppelt????

Das BSG hat in seinem Urteil B 8 SO 8/08 R vom 19.05.2009 bereits festgestellt: "Dies wäre jedoch mit dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs 1 GG nicht vereinbar, weil bezogen auf die Minderung des Regelsatzes bzw der Regelleistung wegen Annahme einer Haushaltsersparnis zwischen der Personengruppe der SGB-XII- und SGB-II-Leistungsempfänger keine sachlichen Gründe für eine unterschiedliche Behandlung erkennbar sind."
Diese geplante Kürzung des Regelsatzes ist also diskriminierend und somit verfassungswidrig.
Mit welchen Argumenten wollen Sie rechtfertigen, dass Eltern von erwachsenen Kindern mit Behinderung jetzt gezwungen werden sollen, die Sozialgerichte mit Massenklagen zu überschütten?

Mit freundlichen Grüßen

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Antwort von
CDU

Sehr geehrter Herr Wahnfried,

ich danke Ihnen für Ihre Anfrage.

Im Zuge der Einigung zur Hartz-IV-Reform wird jetzt auch der Regelsatz für die Regelbedarfsstufe 3 überprüft mit dem Ziel, Menschen mit Behinderungen ab dem 25. Lebensjahr den vollen Regelsatz zu ermöglichen.

Warum es bei der Regelbedarfsstufe 3 bisher Unterschiede gibt, möchte ich an dieser Stelle noch etwas eingehender erläutern:

Wie Sie sicherlich wissen, soll die Regelbedarfsstufe 3 für erwachsene Leistungsberechtigte gelten, die keinen eigenen Haushalt führen, weil sie im Haushalt anderer Personen leben. Sie gilt unmittelbar nur für das SGB XII. Der Hauptanwendungsfall dieser Regelbedarfsstufe sind nicht erwerbsfähige Personen, die Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem 4. Kapitel des SGB XII beziehen und die im Haushalt ihrer Eltern oder ihrer Kinder leben. Deshalb ist zwar davon auszugehen, dass ein erheblicher Teil der Personen, bei denen diese Regelbedarfsstufe berücksichtigt wird, behindert sind. Aber, es handelt sich nicht um eine speziell auf behinderte Menschen ausgerichtete Sonderregelung. Die Regelbedarfsstufe 3 berücksichtigt vielmehr, dass Personen, die mit anderen in einem gemeinsamen Haushalt leben, einen geringeren Bedarf haben als Alleinstehende.

Mit Vollendung des 25. Lebensjahrs bilden erwerbsfähige Leistungsberechtigte im SGB II auch wie im bisherigen Recht eine eigenständige Bedarfsgemeinschaft; unabhängig von der Haushaltszugehörigkeit wird bei ihnen damit ein Regelbedarf von 364 Euro berücksichtigt. Dieser Unterschied ergibt sich aus dem Systemunterschied zwischen dem SGB II und dem SGB XII. Von den Erwerbsfähigen im SGB II ergeben sich ganz besondere Pflichten zur Aufnahme einer Erwerbsfähigkeit. Dies gilt insbesondere auch für im Haushalt der Eltern lebende Erwachsene ab 25 Jahre. Von ihnen ist deshalb ein erhöhtes Maß an Eigenverantwortung und wirtschaftlicher Beweglichkeit einzufordern, woraus sich auch die Anerkennung wirtschaftlicher Eigenständigkeit durch einen Regelbedarf entsprechend Regelbedarfsstufe 1 ableitet.

Die daraus resultierende ungleiche Behandlung zwischen erwachsenen haushaltsangehörigen Leistungsberechtigten im SGB XII und im SGB II rechtfertigt sich durch Systemunterschiede zwischen der Grundsicherung für Arbeitsuchende und der Sozialhilfe. Das SGB II wendet sich seiner Zielrichtung nach vornehmlich an einen erwerbsfähigen Personenkreis, der nur vorübergehend der Unterstützung durch steuerfinanzierte Sozialleistungen bedarf; es handelt sich um ein eher dynamisches System.

Dagegen richten sich die existenzsichernden Leistungen der Sozialhilfe, insbesondere die Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem 4. Kapitel des SGB XII an einen Personenkreis, der tendenziell dauerhaft auf die Unterstützung durch steuerfinanzierte Sozialleistungen angewiesen ist; es handelt sich um ein eher statisches System.

Angesichts dieser Systemunterschiede werden haushaltsangehörige Leistungsberechtigte, die Grundsicherungsleistungen nach dem 4. Kapitel des SGB XII erhalten, nicht generell schlechter, sondern anders gestellt als entsprechende erwerbsfähige Leistungsberechtigte nach dem SGB II. Die Regelbedarfshöhe ist dabei nicht isoliert zu sehen. Besser stehen haushaltsangehörige Leistungsberechtigte etwa bei Berücksichtigung von Unterhaltsansprüchen und -erwartungen gegenüber den Eltern. Während hier Unterhaltsansprüche insbesondere gegenüber den Eltern grundsätzlich unberücksichtigt bleiben (vgl. § 43 Absatz 2 SGB XII), sind sie im SGB II zu berücksichtigen. Besteht dort eine Haushaltsgemeinschaft zwischen erwerbsfähigen Leistungsberechtigten und ihren Eltern, wird unter den Voraussetzungen des § 9 Absatz 5 SGB II der tatsächliche Unterhalt vermutet.

Nicht erwerbsfähige erwachsene Kinder von erwerbsfähigen Hilfebedürftigen, die mit diesen eine Bedarfsgemeinschaft bilden, erhalten dagegen schon im bestehenden System des SGB II ebenfalls nur eine Regelleistung von 80% des Eckregelsatzes.

Ich hoffe, ich konnte Ihnen, lieber Herr Wahnfried, die Hintergründe und den aktuellen Sachstand zu dieser Thematik näher bringen
und verbleibe mit freundlichen Grüßen

Ihr
Dr. Philipp Murmann, MdB