Frage an Philipp Gliesing von Stanislav S. bezüglich Wirtschaft
Sehr geehrter Herr Gliesing.
Weit über 90 % aller Unternehmen in der Bundesrepublik Deutschland zählen zu den klein und mittleren Unternehmen, sie schaffen in unserer Volkswirtschaft 70% der Arbeitsplätze und der Mehrzahl der Ausbildungsplätze.
Seit Jahren ist insbesondere unter den kleinen Unternehmern die soziale Absicherung bei Krankheit, Insolvenz sowie die Altersvorsorge ein ungelöstes Problem.
Dies betrifft sowohl Gewerbetreibende und Freiberufler, Einzelunternehmer und Mitunternehmer, Solo-Selbständige und Unternehmer mit Mitarbeitern sowie Gesellschafter-Geschäftsführer von GmbH, die sozialrechtlich als Selbständige eingestuft werden.
Was muss die Politik tun um diese Probleme zu lösen?
Mit freundlichen Grüßen
Stanislav Sedlacik
Sehr geehrter Herr Stanislav Sedlacik,
die Beantwortung Ihrer Frage dauerte etwas länger, da ich sehr viel unterwegs bin und gerade auch mit kleinen und mittleren Unternehmern das Gespräch suche. Wie steht DIE LINKE zur Absicherung Selbständiger für den Fall des wirtschaftlichen Scheiterns mit welchen Maßnahmen und Instrumenten?
DIE LINKE: Will die bestehenden Grundsicherungssysteme durch eine armutsfeste und sanktionsfreie Mindestsicherung ablösen. Auf dem Weg dahin soll umgehend der Regelsatz auf 500 Euro angehoben werden und die Grundsicherung sanktionsfrei gestellt werden. Denn das staatlich zu garantierende menschenwürdige Existenzminimum darf nicht gekürzt werden. DIE LINKE betont, dass selbstverständlich auch Selbstständige Anspruch auf SGB II Leistungen haben, wenn ihr menschenwürdiges Existenzminimum unterschritten wird.
Statt Selbstständige aus dem Leistungsbezug zu drängen, sollten Agentur für Arbeit und JobCenter Selbstständige in der Existenzgründung und -konsolidierung durch Beratungs- und Qualifizierungsmaßnahmen (etwa:Gründungszuschuss) unterstützen.
Leider ist ausgerechnet der Gründungszuschuss von der Bundesregierung zusammen gestrichen worden. In Zusammenhang mit der Neuregelung der Restschuldenbefreiung hat sich DIE LINKE außerdem für kürzere Fristen und niedrigere Befriedigungsquoten eingesetzt. Auch dies sind Instrumente, um gescheiterte Selbständige zu entlasten Ihre Frage nach der sozialen Absicherung Selbständiger musste ich erst mit meinen Kollegen beraten und wir sind zu folgendem Ansatz gekommen, welchen wir gern mit selbstständigen Unternehmern weiter diskutieren und verwirklichen wollen:
Alle Menschen bedürfen des Schutzes vor den sozialen Risiken. Nur öffentliche und umfassende Sozialversicherungen können zuverlässig soziale Sicherheit garantieren – nicht Banken oder Versicherungskonzerne. Nur öffentliche Sozialversicherungen können sozialen Ausgleich organisieren. Auch weil die Erwerbsbiografien immer häufiger durch Wechsel zwischen abhängiger Beschäftigung und Selbständigkeit gekennzeichnet sind, ist eine durchgehende Absicherung in den öffentlichen Sozialversicherungssystemen die bessere Lösung. Wir wollen deshalb Selbständige und Freiberuflerinnen und Freiberufler in diese Systeme einbeziehen. Diese Einbindung eröffnet ihnen den Zugang zu den Leistungen der Sozialversicherungen, organisiert Solidarität zwischen den verschiedenen gesellschaftlichen Gruppen und stärkt die finanzielle Basis der Sozialversicherungen. Die Bedingungen für diese Einbeziehung müssen aber für die Selbständigen tragbar sein. Die Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung sollen deshalb einkommensabhängig erhoben und bis zu einer bestimmten Einkommenshöhe teilweise vom Staat übernommen werden. Zur Refinanzierung dieses Steuerzuschusses wird beim Öffentlichen Dienst, bei Unternehmen und Organisationen, die als Auftraggeberinnen und Auftraggeber agieren, eine abzuführende Sonderabgabe auf die Honorare erhoben. Außerdem wollen wir das Rentenniveau anheben, damit die gesetzliche Rente den Lebensstandard im Alter wieder sichern und langjährigen Beitragszahlenden Armutsfeste Renten gewährleisten kann. Mit einer einkommens- und vermögensgeprüften solidarischen Mindestrente von 1.050 Euro netto sollen geringe Renten auf dieses Niveau angehoben und so sicher gestellt werden, dass jede/r im Alter frei von Armut und in Würde leben kann. In der Gesundheit und Pflege wollen wir Selbstständige mit geringen Einkommen durch die deutliche Reduzierung der Mindestbeiträge kurzfristig entlasten.
Langfristig will DIE LINKE eine solidarische Neuorganisation der Gesundheits- und Pflegepolitik durch die Einführung einer solidarischen Bürgerinnen- und Bürgerversicherung. Jeder in Deutschland lebende Mensch wird in einer gesetzlichen Kasse versichert. Alle entrichten den gleichen Prozentsatz ihres gesamten Einkommens für die Gesundheits- und Pflegeversorgung. Die Private Krankenversicherung als Vollversicherung wird abgeschafft. Selbstständige erlangen Zugang zu einer umfassenden und solidarischen Gesundheitsversorgung für alle und einer Pflege, die sich am Bedarf orientiert. Durch die Einbeziehung aller Bürgerinnen und Bürger und aller Einkommensarten reduziert sich der zu leistende Beitragssatz nach Modellrechnungen von 15,5% auf 10,5%.
Ein Mindestbeitrag für Selbstständige entfällt, die Beiträge werden zeitnah nach dem tatsächlichen Einkommen entrichtet. Selbstständige müssen auch gegen Erwerbslosigkeit abgesichert werden. Alle Personen, die eine selbstständige Erwerbstätigkeit aufnehmen, werden in der Arbeitslosenversicherung pflichtversichert. Für langjährig Selbstständige wird die Mitgliedschaft auf Antrag eröffnet. Die Beitragsregeln – insbesondere die Beitragshöhe - und die Leistungsansprüche sollen sich zunächst an den Regeln der aktuellen Mitgliedschaft, die auf Antrag erfolgt, orientieren. So schaffen wir einen verlässlichen Sozialstaat für Selbständige, der in allen Lebenslagen umfassend gegen die Risiken des Erwerbslebens absichert.
Ich danke Ihnen für die Fragestellung, die mich selbst dazu anregte mich sachkundiger zu machen.
Mit freundlichen Grüßen
Philipp Gliesing