Frage an Petra Weis von Markus L. bezüglich Innere Sicherheit
Sehr geehrte Frau Weis
wie ich jetzt hörte, stimmen Sie am 8. oder 9. November über die so genannte Vorratsdatenspeicherung ab. Hierüber bin ich zutiefst besorgt. Da Sie den Wahlbezirk, in dem ich wohne, vertreten, bitte ich Sie um eine Stellungnahme.
Wie wollen Sie rechtfertigen, dass zukünftig alle Verbindungsdaten meiner Telefonate und E-Mails sechs Monate lang gespeichert werden? Ich kann nicht akzeptieren, erst einmal verdächtigt und daher überwacht zu werden.
Wie soll ich vertrauensvoll mit einem beruflichen Geheimnisträger Kontakt aufnehmen (Arzt, Heilpraktiker, Rechtsanwalt)?
Sind die Daten einmal vorhanden, gibt es keine wirkliche Garantie mehr gegen eine missbräuchliche Nutzung und anderweitige Verwendung.
Wie sollen die immensen Kosten gerechtfertigt werden, die für die Telefon- und Internetanbieter anfallen, um die Speicherung und den Zugriff ab 2008 zu ermöglichen?
Mit Sicherheit werden die Kosten auf mich als Kunden abgewälzt. Ich soll also für meine eigene Überwachung zahlen!
Ich möchte Sie daher dringend an Ihre Pflicht erinnern, das Grundgesetz und damit meine Persönlichkeitsrechte zu achten und zu schützen! Noch im Juli 2007 hat das Verfassungsgericht in einer Urteilsbegründung festgestellt: "Daher wäre eine Sammlung der dem Grundrechtsschutz unterliegenden personenbezogenen Daten auf Vorrat zu unbestimmten oder noch nicht bestimmbaren Zwecken mit dem Grundgesetz nicht vereinbar."
Ich rufe Sie daher eindringlich dazu auf, kein Gesetz zu beschließen, dass dem freiheitlichen Geist unseres Grundgesetzes widerspricht.
Falls Sie nicht gegen die Vorratsdatenspeicherung stimmen, können Sie mir erläutern, warum Sie trotz der Bedenken vieler Bürger und Fachleute für die Vorratsdatenspeicherung abstimmen.
Ich rufe Sie daher eindringlich dazu auf, kein Gesetz zu beschließen, dass dem freiheitlichen Geist unseres Grundgesetzes widerspricht!!
Mit freundlichen Grüßen
Markus Leist
Sehr geehrter Herr Leist,
sehr geehrter Herr Barten,
vielen Dank für Ihr Schreiben zur Novellierung des Telekommunikationsüberwachungsrechtes. Mit dem Gesetz werden die geltenden Vorschriften der StPO zur Telekommunikationsüberwachung und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen geändert, die EU-Richtlinie zur sogenannten „Vorratsdatenspeicherung“ in deutsches Recht umgesetzt und eine grundrechtswahrende Verfahrenssicherungen bei heimlichen Ermittlungsmaßnahmen gewährleistet.
Ziel ist es, die verfassungrechtlich gebotene effektive Strafverfolgung so grundrechtsschonend wie möglich zu gewährleisten. Deshalb wird eine Telefonüberwachung künftig nur noch bei schweren Straftaten zulässig sein, die im Höchstmaß mit mindestens fünf Jahren Haft bedroht sind. Ist der Kernbereich privater Lebensgestaltung betroffen, ist eine Telefonüberwachung von vornherein verboten. Insbesondere bei den Berufsgeheimnisträgern wird der nach geltendem Recht vorhandene Schutz nicht nur vollumfänglich erhalten, sondern ausgebaut. Zudem sorgen verfahrenssichernde Regelungen wie Benachrichtigungspflichten, einheitliche Löschungregelungen und ein umfassender nachträglicher Rechtsschutz für so viel Grundrechtsschutz wie noch nie zuvor in diesem Bereich.
Der Katalog der Straftaten, zu deren Aufklärung eine Telekommunikationsüberwachung nach § 100a StPO angeordnet werden kann, wird auf schwere Straftaten begrenzt: Alle Straftaten, die im Höchstmaß mit weniger als fünf Jahren Freiheitsstrafe bedroht sind, werden gestrichen (z.B. fahrtlässige Verstöße gegen das Waffenrecht, Verstöße gegen das Vereinsgesetz).
Neu in den Katalog aufgenommen wurden schwere Straftaten aus dem Bereich der Wirtschaftskriminalität (Korruptionsdelikte, gewerbs- oder bandenmäßiger Betrug, gewerbs- oder bandenmäßige Urkundenfälschung, schwere Steuerdelikte, wie etwa der gewerbs- oder bandenmäßige Schmuggel sowie alle Verbrechen nach dem Völkerstrafgesetzbuch (Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen), alle Menschenhandelsdelikte sowie jede Form der Verbreitung von Kinderpornographie. Selbst wenn es um die Aufklärung schwerster Straftaten geht, darf in den Kernbereich privater Lebensgestaltung nicht eingegriffen werden. Das Gesetz enthält deshalb bei der Telekommunikationsüberwachung ein ausdrückliches Erhebungs- und Verwertungsverbot für Kommunikationsinhalte aus diesem intimsten Bereich. Wenn also in einem Telefonat über innerste Gefühle oder höchstpersönliche Überlegungen gesprochen wird, ist die Überwachung des Telefonats unzulässig. Wird es gleichwohl abgehört, dürfen daraus gewonnene Informationen keinesfalls in einem Strafverfahren verwertet werden. Damit werden die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts aus der Entscheidung vom 27. Juli 2005 umgesetzt.
Seelsorger, Strafverteidiger und Abgeordnete werden durch umfassende Erhebungs- und Verwertungsverbote bei allen Ermittlungsmaßnahmen besonders geschützt. Aufgrund ihrer verfassungsrechtlich besonderen Stellung werden sie von allen strafprozessualen Ermittlungsmaßnahmen ausgenommen, die sich auf die ihnen in dieser Eigenschaft anvertrauten Informationen und die Umstände der Informationsübermittlung beziehen. Das Bundesverfassungsgericht hat das unter Hinweis auf die Menschenwürde und den in ihr begründeten Kernbereich privater Lebensgestaltung für Gespräche mit dem Seelsorger und mit dem Verteidiger gefordert. Für Abgeordnete ist dieser absolute Schutz ebenfalls notwendig, denn sie werden um der Funktionsfähigkeit des Parlaments willen schon durch das Grundgesetz besonders geschützt (Immunität, Zeugnisverweigerungsrecht, Beschlagnahmeschutz).
Aber auch der besondere Schutz aller anderen Berufsgeheimnisträger (z.B. Ärzte, Rechtsanwälte, Journalisten) wird nicht nur erhalten, sondern ausgebaut. So wird ausdrücklich klargestellt, dass sie in Ermittlungsmaßnahmen nur nach einer sorgfältigen Abwägung im Einzelfall einbezogen werden dürfen.
Es werden künftig nur Verbindungsdaten gespeichert, keine Telekommunkationsinhalte. Telekommunikationsverbindungsdaten sind Daten aus denen sich ergibt, von welchem Anschluss aus zu welchem Anschluss hin wann und wie lange telekommuniziert wurde; also die genutzten Rufnummern und Kennungen, die Uhrzeit und das Datum der Verbindungen. Viele TK-Unternehmen speichern diese Daten schon heute zu geschäftlichen Zwecken.
Neu hinzu kommt nur, dass bei der Mobilfunktelefonie auch der Standort (angewählte Funkzelle) bei Beginn der Mobilfunkverbindung gespeichert wird. Daten, die Aufschluss über den Inhalt der Kommunikation geben, dürfen dagegen nicht gespeichert werden. Zu den Telekommunikationsverbindungsdaten gehören neben Telefonverbindungen auch solche Verbindungsdaten, die bei der Kommunikation über das Internet anfallen. Diese müssen nach der EU-Richtlinie künftig ebenfalls gespeichert werden. Auch in diesem Bereich werden nur Daten über den Internetzugang und die E-Mail-Kommunikation gespeichert. Dabei speichert das TK-Unternehmen lediglich, dass eine bestimmte Internetprotokoll-Adresse (IP) zu einem bestimmten Zeitpunkt online war, nicht dagegen, welche Seiten besucht wurden oder welchen Inhalt eine E-Mail hat. Gleiches gilt auch bei der Internettelefonie. Viele der beschriebenen Daten können (und werden in vielen Fällen) schon nach geltendem Recht von den Telekommunikationsunternehmen für geschäftliche Zwecke zwischen drei und sechs Monaten gespeichert. Neu ist, dass die Unternehmen künftig nicht nur speichern dürfen, sondern entsprechend der EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung für sechs Monate speichern müssen, damit eine effektive Strafverfolgung gewährleistet ist.
Die Daten werden - wie bisher – nur beim TK-Unternehmen gespeichert. Wie bisher schon können Polizei und Staatsanwaltschaft grundsätzlich nur dann auf die Daten zugreifen, wenn dies zuvor durch einen richterlichen Beschluss erlaubt wurde. In diesem Beschluss legt der Richter genau fest, welche Daten das Unternehmen aus seinem Bestand herausfiltern und den Strafverfolgungsbehörden übermitteln muss.
Die EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung (2006/24/EG) muss in deutsches Recht umgesetzt werden. Ihrer Verabschiedung sind lange, zähe Verhandlungen auf europäischer Ebene vorausgegangen, in deren Verlauf es Deutschland gegen den Widerstand vieler anderer Mitgliedstaaten gelungen ist, möglichst grundrechtsschonende Regelungen zu vereinbaren. So ist die Mindestspeicherdauer auf 6 Monate (statt der ursprünglich auf EU-Ebene diskutierten 36 Monate) beschränkt worden. Auch bei der Frage, welche Daten gespeichert werden, hat sich Deutschland mit seiner restriktiven Linie durchgesetzt. So sind zum Beispiel keine Angaben über aufgerufene Internetseiten zu speichern.
Ich hoffe, Sie mit diesen Fakten von der Notwendigkeit einer Novellierung des Telekommunikationsüberwachungsrechtes überzeugt zu haben. Ziel der SPD-Bundestagsfraktion in dem Gesetzgebungsverfahren, auch teilweise gegen Widerstände aus den Reihen des Koalitionspartners, dabei war immer: Die Informationsfreiheit und die Persönlichkeitsrechte der Bürgerinnen und Bürger dürfen durch die Novellierung des Gesetzes nicht eingeschränkt werden. Dies haben wir auch erreicht.
Mit freundlichen Grüßen
Petra Weis, MdB