Frage an Petra Sitte von Frank M. bezüglich Familie
Sehr geehrte Frau Dr. Sitte,
Frau Prof. Dr. Sünderhauf hat jede Menge Studien für das Wechselmodell zusammen getragen, die weltweit seit Jahrzehnten bestehen. Ihr Buch ist also wissenschaftlich äußerst fundiert. Auch hat sie die gängigen Gegen-Argumente von Laien widerlegt.
Könnten Sie bitte Ihre Quellen (=wissenschaftliche Studien) angeben, zu Ihren folgenden Aussagen die Sie an Herrn Steinhaus gerichtet hatten:
1) "Dafür ist u. a. notwendig, dass es zwischen den Eltern keinerlei Konflikte gibt"
2) "Auch muss das Kind im entsprechenden Alter sein."
3) "Vor allem Kleinkinder benötigen Rituale in ihrem Alltag - ein wöchentlicher Wechsel sorgt jedoch für Stress."
4) "Der Erziehungsstil der Eltern muss abgestimmt sein"
5) "Wichtig ist es auch zu ermitteln, wer die Hauptperson für das Kind ist."
Vielen Dank vorab für Ihre wissenschaftlich fundierten Antworten hierauf.
Mit freundlichen Grüßen
Frank Möhle
Sehr geehrter Herr Möhle,
zunächst einmal möchte ich klarstellen, dass DIE LINKE das sogenannte Wechselmodell nicht ablehnt, sondern es wie Frau Prof. Dr. Sünderhauf als eine mögliche Alternative zum Residenzmodell ansieht. Welches Betreuungsmodell das richtige ist, hängt unserer Meinung nach zuallererst am Wohl und den Interessen des Kindes. So war die Antwort an Herrn Steinhaus an diesem Punkt gemeint. Wenn dies missverständlich war, tut es mir leid.
In diesem Sinne zu Ihren konkreten Fragen: Die mit der Sorgerechtsfrage befassten Politikerinnen und Politiker der LINKEN haben unsere Position in vielen Jahren durch die Befassung mit Fachliteratur (selbstverständlich auch das Buch von Frau Sünderhauf), durch die Teilnahme und Organisation von Fachgesprächen, im Austausch mit Juristinnen und Juristen, Pädagoginnen und Pädagogen, Psychologinnen und Psychologen und natürlich auch Müttern und Vätern entwickelt und aktualisieren diese ständig. Ich habe in meiner Antwort an Herrn Steinhaus versucht, diese Positionen in Bezug auf das Wechselmodell auf einer knappen halben Seite zusammenzufassen. Es versteht sich von selbst, dass ich deshalb nicht zu allen fünf von Ihnen aus meiner Antwort an Herrn Steinhaus herausgetrennten Teilsätze eine eindeutige wissenschaftliche Referenz liefern kann.
Dem ersten von Ihnen zitierten Satz fehlt der entscheidende zweite Teil: "...Konflikte gibt, DIE DAS KIND BELASTEN KÖNNTEN." Sprich: Da wir das Kindeswohl und -interesse in den Vordergrund stellen, sollte bei der Suche nach dem geeigneten Modell möglichst ein Konsens erzielt werden. Dies ist im Sinne des Kindes hoffentlich unstrittig.
Zum zweiten von Ihnen zitierten Satzteil: Insbesondere Schulkinder haben idealerweise einen Wohnort in Schulnähe. Bei Schulkindern kann ein Wechselmodell zwischen relativ weit entfernten Wohnorten, von denen einer noch erhebliche Entfernung zur Schule mit sich bringt ein großes Problem darstellen. Das finden Sie übrigens genau so bei Frau Sünderhauf, die für das Gelingen des Wechselmodells die dafür notwendige Wohnortnähe und Schulnähe feststellt.
Satz drei, Rituale und Stress: Dass Regelmäßigkeiten und Rituale enorm wichtig sind, um Stress zu reduzieren, gilt für Menschen jeglichen Alters. Ein jüngerer Beleg für diesen Zusammenhang finden sie in einer Studie von Wissenschaftlern um David Eilam aus Tel Aviv aus dem Jahre 2011 (in Neuroscience and Biobehavioral Reviews 35,4/2011). Dass dies in besonderem Maße für Kinder gilt, werden Ihnen beispielsweise die Expertinnen und Experten vom Staatsinstitut für Frühpädagogik aus Bayern bestätigen.
Satz vier, Erziehungsstil: Dieser Satz war wahrscheinlich etwas missverständlich formuliert, ist sich doch die pädagogische Forschung weitgehend einig, dass es das Beste für die Kinder ist, wenn Eltern und Erzieherinnen und Erzieher Ihre Erziehungsmethoden situationsabhängig anpassen und so einen gesunden Methodenmix anwenden. Aber auch hier ist der von Ihnen weggelassene Teilsatz meiner Antwort an Herrn Steinhaus entscheidend: Wenn das Wechselmodell gelingen soll, und es nicht dazu führen soll, dass das Kind zwischen den Konflikten der Eltern zerrieben wird, müssen die Grundsätze der Erziehung abgestimmt sein.
Satz fünf, Hauptbezugsperson: Auch die Ermittlung der Hauptbezugsperson, wie sie in Deutschland bei gerichtlicher Auseinandersetzung um die elterliche Kinderbetreuung üblich ist, spricht nicht gegen das Wechselmodell, sondern war als Bedingung für das Gelingen gemeint. Denn eine der notwendigen Fähigkeiten dieser Hauptbezugsperson ist es, die Beibehaltung der Beziehungen des Kindes zu anderen wichtigen Bezugspersonen (also auch dem anderen Elternteil) sicherzustellen. Das Wechselmodell kann im Sinne des Kindeswohls also nur gelingen, wenn die Beziehung des Kindes zu dieser Person dadurch nicht erschüttert wird. Dazu lässt sich bspw. Unzner: Bindungstheorie und Wechselmodell (in FPR 2006 Heft 7 275) heranziehen. Unzner beschreibt dort Bedingungen für das Gelingen des Wechselmodells. Er betont dabei die Wichtigkeit des regelmäßigen Kontakts des Kindes zu beiden Elternteilen, macht aber auch klar, dass das Wechselmodell gerade für Kleinkinder auch Risiken birgt.
Mit freundlichen Grüßen
Petra Sitte