Frage an Petra Sitte von Maximilian W. bezüglich Wissenschaft, Forschung und Technologie
Sehr geehrte Frau Dr. Sitte,
Auf Spiegel-Online konnte man lesen, dass Die Linke sich gegen die bemannte Raumfahrt ausspricht, da "die Kosten in keinem Verhältnis zum wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn" stünden.
Ich finde diese Haltung äußerst weltfremd; die bemannte Raumfahrt hat eine Fülle von Erkenntnissen in Medizin, Physik, Biologie etc. gebracht ohne die wir heute nicht mehr auskämen! Ich glaube jedenfalls nicht, dass das amerikanische Shuttle-Programm ein reines Prestige-Projekt ist - dafür wäre es selbst den Amerikanern zu teuer.
Allein mit der Streichung der Kohle-Subventionen könnte Deutschland ein eigenes Programm auf die Beine stellen oder die Forschung fördern, anstatt Arbeitnehmer über Jahrzehnte um ihren Arbeitsplatz zu täuschen.
Können sie diese Haltung als forschungspolitische Sprecherin ihrer Partei wirklich vertreten? Wenn kein Geld für bemannte Raumfahrt ausgegeben wird, müsste man dann nicht auch das Geld für (Weiter-) Bildung kürzen?
"Was wäre passiert, wenn Columbus die neue Welt entdeckt hätte und niemand wäre danach mehr dorthin gegangen?"
Mit freundlichen Grüßen
Sehr geehrter Herr Wolfahrt,
zunächst einmal schicke ich Ihnen mein Statement auf die von der taz gestellten Frage. Etwa 1.000 Zeichen waren uns zur Beantwortung eigeräumt worden. Darauf geht nämlich die Meldung von Spiegel-online zurück. Frage: Ist die bemannte Raumfahrt Geldverschwendung?
Antwort: "Ja. Die exorbitanten Kosten stehen in keinem vernünftigen Verhältnis zum wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn. Die bemannte Raumfahrt begann mit dem Sputnikschock. Auch jetzt liefern sich Russland, China und USA einen Wettlauf um die Vorherrschaft im All. Sie planen bemannte Mondmissionen und -stationen. So will auch Deutschland nicht nur in der interplanetaren Kreisliga spielen. Die Bundesregierung plant eine unbemannte Mondmission für 350 Millionen Euro. Und der Mond dient als Trainingslager für eine Marsmission. Hierzulande werden 3,65 Milliarden in Raumfahrttechnologien und 2,7 Milliarden in die Europäische Weltraumagentur investiert. In Bremen wird das Wissenschaftslabor Columbus für die ISS gebaut. Der Bundesregierung geht es um die Behauptung wirtschaftlicher und technologischer Stärke, um die Behauptung als Weltraummacht. Auch wenn wir Juri Gagarin, Sigmund Jähn oder Neil Armstrong bewundert haben, lehnt DIE LINKE die bemannte Raumfahrt ab. Ins Blickfeld der Weltraumforschung müssen Erkenntnisse zu Ozeanströmen, zum Polareis, zur Landbeobachtung rücken. Dafür genügt der Ausbau satellitengestützter ziviler Erdbeobachtungssysteme."
Dieser Antwort können Sie entnehmen, dass wir die aktuelle inhaltliche Ausrichtung der bemannten Raumfahrt zum Ausgangspunkt unserer Kritik und Ablehnung machen. Es gibt neben politisch hegemonialen Bestrebungen zwischen Europa/USA, China, Indien und einzelnen anderen Nationen vor allem auch wirtschaftlich konkurrierende Interessen. Dazu zählen auch diverse deutsche Unternehmen, die mit anderen um möglichst große Stücke vom Kuchen öffentlicher Forschungsmittel und Wirtschaftsförderung konkurrieren. Und wie sie sehen, geht es dabei um Milliarden-Perspektiven auf Jahrzehnte.
Hinzu tritt das berechtigte Interesse wissenschaftlicher Grundlagenforschung, wesentliche Zusammenhänge der Entstehung und Entwicklung des Universums aufzuklären. Dazu haben wir ein grundsätzlich positives Verhältnis. So unterstützen wir beispielsweise auch Projekte, die am Teilchenbeschleuniger im Cern in der Schweiz umgesetzt werden.
Diese drei Ebenen überlagern sich aber in der Diskussion. Eine differenzierte Diskussion wird dadurch erschwert. Sie reduziert sich auf unmittelbare menschliche Beteiligung an diversen Experimenten, Ausbauarbeiten der Stationen und auf die damit verbundenen sinnlichen Erfahrungen von Astro- bzw. Kosmonauten beim Anblick der Erde aus dem All. Da wird anlässlich des 40 Jahrestages der Mondlandung vor allem die Perspektive dieser Akteure in Interviews und Kommentierungen aufgenommen. Weiter wird Raumfahrt als ein Kern der Auseinandersetzungen um Prestige der Pole des "Kalten Krieges" dargestellt. Das sind durchaus wichtige Zusammenhänge, aber nicht ausreichend für eine Gesamtbewertung.
Wir haben uns wohl auch die Frage zu stellen, welchem Ziel dienen Mondstationen zur "Eroberung" des Mars? Was sind letztlich dort die Ziele. Und da geht es wahrlich nicht nur um Grundlagenforschung, sondern eben auch um Ressourcen und strategische Ziele - neben wirtschaftlichen auch militärische! Das werden Sie in Ihrer kritischen Bewertung ganz sicher auch ins Auge gefasst haben. Vor diesem Hintergrund halten wir es für legitim, die Leistungsfähigkeit der Weltraumforschung vor allem in den Dienst der Lösung grundlegender Konflikte, Probleme und Widersprüche auf diesem Planeten und seiner Gemeinschaft zu stellen. Wir haben bei unserer Position auch Meinungen von Forschern der Raumfahrt aufgenommen, die an der aktuellen inhaltlichen Ausrichtung der bemannten Raumfahrt ebenfalls Kritik üben. Unter diesen befinden sich zudem auch Vertreter, welche die bemannte Raumfahrt in Frage stellen und ausdrücklich auf die Potentiale unbemannter Raumfahrt verweisen.
Zudem sind auch in öffentlich geförderter Forschung - wie in allen Politikbereichen - die finanziellen Mittel begrenzt. Und wir haben uns in unseren Positionen auch mit Prioritätensetzungen zu befassen. Allein die so genannte High-Tech-Strategie der Bundesregierung umfasst 17 Strategielinien. Und wie Sie dem Statement bereits entnehmen konnten, dominieren die Ausgaben dieses Ressorts alle anderen. Sie können sich davon auch gern auf den Seiten der Bundesregierung selbst überzeugen. Dass DIE LINKE daran inhaltliche Kritik übt, dürfte Sie nicht wundern. Im Übrigen wird Raumfahrt aktuell sogar doppelt bezuschusst: Aus der Forschungssicht durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung und unter dem Blickwinkel der Anwendungsorientierung - wie oben schon angedeutet - durch das Wirtschaftsministerium. Letzteres wird kaum thematisiert.
Dies haben wir in unserer politischen Verantwortung allerdings mit zu berücksichtigen und Schlussfolgerungen zu ziehen. Die Thematik ist also viel komplexer als derzeit medial kommuniziert wird.
Meine Kolleginnen, Kollegen und ich haben in der letzten Wahlperiode stets versucht, die differenzierte, inhaltlich offene Auseinandersetzung mit Forschungszielen, -ergebnissen, ihren Anwendungsperspektiven und damit kritische Begleitung der Forschungspolitik durch DIE LINKE zu betreiben. Es geht in der Tat um wichtige Fragen gesellschaftlicher Zukunft - auch in visionären galaktischen Dimensionen... Und darauf nimmt die inhaltliche Ausrichtung der heutigen Forschungspolitik maßgeblich Einfluss. In diesem Sinne überprüfen auch wir fortlaufend unsere Positionen, schließlich wächst das Wissen in allen Bereichen exorbitant schnell.
Soweit meine Antwort auf Ihre nachdenklich kritische Anmerkung.
Mit neugierigen Grüßen,
Petra Sitte