Petra Selg
Bündnis 90/Die Grünen
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Frage von Wolfgang B. •

Frage an Petra Selg von Wolfgang B. bezüglich Umwelt

Sehr geehrte Frau Selg,

immer mehr Menschen, die in der Umgebung von Mobilfunk-Sendern leben, werden von der Strahlung krank. Auch in der Region Bodensee / Oberschwaben gibt es Menschen, denen es so geht. Einige davon sind mir persönlich bekannt. Ich halte ihre Berichte für durchaus glaubwürdig. Auch bestätigen immer mehr Mediziner, dass es gesundheitliche Probleme durch Mobilfunkstrahlung gibt. Diese Thematik ist Ihnen sehr gut bekannt.

Ehrlich gesagt, bin ich von Ihnen enttäuscht. Vor drei Jahren haben Sie unseren Mobilfunk-Intitativen in Ravensburg Ihre volle Unterstützung in dieser Angelegenheit zugesagt. Wir haben aber leider in den letzten Jahren nichts von Ihnen gehört, nicht einmal auf unsere Nachfragen.

Frau Selg, können Sie uns bitte sagen, was haben Sie in den letzten Jahren getan, um den Schutz der Bevölkerung vor Mobilfunk-Strahlung zu verbessern?
Und was wollen Sie, wenn Sie wieder gewählt werden, tun, um den Schutz der Bevölkerung vor Mobilfunk-Strahlung zu verbessern?

Für Ihre Antwort danke ich Ihnen.

Wolfgang Blüher, Ravensburg

Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Blüher,

auch wenn Sie - was ich sehr bedauere - den Eindruck gewonnen haben, dass ich mich nicht um den Schutz vor Mobilfunkstrahlung gekümmert habe, möchte ich Ihnen zunächst versichern, dass ich mit Ihnen die Sorge vieler Menschen teile, ob und in welcher Art und Weise die von den unübersehbaren Sendemasten und unzähligen Handys ausgehende elektromagnetische Strahlung unsere Gesundheit beeinträchtigt.

Im Folgenden werde ich versuchen deutlich zu machen, dass das Thema sowohl von mir, als auch in der gesamten bündnisgrünen Bundestagsfraktion sehr ernst genommen wird und wir uns aus genau diesem Grund in der Regierungskoalition für verschiedene Maßnahmen stark gemacht haben.

Wie ist die Situation?
Immer mehr Menschen nutzen das Mobiltelefon als ganz selbstverständliches Kommunikationsmittel. Mittlerweile sind in Deutschland Handys mehr verkauft worden als Festnetzanschlüsse existieren. Waren Mitte der 90er Jahre etwa fünf Prozent der Bevölkerung per Funktelefon erreichbar, ist es heute nahezu jeder. Die Kehrseite: Um einen möglichst flächendeckenden Empfang zu gewährleisten, sind im Bundesgebiet derzeit schon ca. 50.000 Sendeanlagen errichtet worden. Mobilfunkmasten in Wohngebieten oder nahe Kindergärten verunsichern viele Menschen. Der fortschreitende Ausbau des UMTS-Netzes verschärft die Situation: Die neue Technologie erfordert zwischen 40-60.000 zusätzliche Mobilfunksender.
Tatsache ist, dass die gepulste Hochfrequenzstrahlung des Mobilfunks verschiedene physiologische Effekte hervorruft. Uneinig ist sich die Wissenschaft aber darüber, inwieweit diese beobachtbaren Effekte auch Gesundheitsschäden verursachen. Dies bestätigte auch ein Bericht des Büros für Technikfolgenabschätzung beim Deutschen Bundestag. Einige Studien legen mögliche gesundheitliche Gefahren seit Jahren nahe: Es gibt Hinweise auf Schlaf- und Konzentrationsstörungen, Störungen des Immunsystems oder auch auf eine krebsfördernde Wirkung. Bürgerinnen und Bürger schließen sich daher zu Bürgerinitiativen gegen Mobilfunksender oder gegen einzelne Standorte für Sender zusammen. Der Präsident des Bundesamtes für Strahlenschutz (BfS), Wolfram König, hat bereits im Jahr 2001 empfohlen, dass sich Kinder möglichst von Handys fern halten sollten.

Den endgültigen Beweis einer Unschädlichkeit kann die Wissenschaft möglicherweise nie erbringen. Für die Politik heißt das, vorsorgeorientiert zu handeln. Politik hat sich mit allen Aspekten des Gesundheitsschutzes vor Mobilfunkstrahlung zu beschäftigen von der Höhe der Grenzwerte bis hin zur Auswahl der Senderstandorte.

Was haben wir in der rot-grünen Koalition bisher erreicht?
Eine Verschärfung der Grenzwerte war mangels eindeutiger wissenschaftlicher Ergebnisse bisher nicht durchsetzbar. Dennoch gibt es im Vergleich zu früheren Jahren erkennbare Fortschritte: Wir haben den Aufbau des Mobilfunknetzes transparenter gemacht und die kommunalen Beteiligungsrechte bei der Standortwahl wesentlich verbessert. Alle Senderdaten sind seit dem 23. Januar 2004 über eine zentrale Datenbank verfügbar (emf.regtp.de). Im Vergleich zu früher werden Daten wie der Name des Senderbetreibers, über die Senderleistung etc. von den Behörden nicht mehr wie Betriebsgeheimnisse behandelt. Heute kann jeder Betroffene erfahren, wer hinter der Aufstellung eines Sendemastes steckt.
Im Dezember 2001 wurde eine Vereinbarung der Mobilfunkbetreiber mit der Bundesregierung geschlossen. Sie beinhaltet regelmäßige Absprachen zwischen Kommunen und Mobilfunkbetreibern über Standortalternativen insbesondere im Umkreis von sensiblen Standorten wie Kindergärten, Kliniken und Schulen. Dort sollen möglichst keine Sender mehr installiert werden. Die Betreiber sollen außerdem die Bevölkerung über konkrete Vorhaben sofort informieren. Diese Absprache ergänzt eine Vereinbarung der Betreiber mit den kommunalen Spitzenverbänden vom Sommer 2001 über einen verbesserten Informationsaustausch und über eine kommunale Beteiligung bei der Standortsuche. Insgesamt konnte im Rahmen der Selbstverpflichtung ein breites Paket an Maßnahmen eingeleitet werden: über ein Standortkataster wird die Verteilung von Sendemasten öffentlich transparent gemacht. Dieses Kataster ist über die Internetseiten der Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post (RegTP) für jedermann zugänglich (emf.regtp.de). Im Rahmen eines mehrstufigen Informationskonzepts sollen in den Kommunen halbjährliche Erörterungen der Netzplanungen stattfinden. Die Kommunen werden verbindlich in die Standortsuche einbezogen und können eigene Alternativen vorschlagen. Im Umkreis von Kindergärten und Schulen sollen verstärkt alternative Standorte gesucht werden. Die elektromagnetische Strahlung, wie sie von Mobilfunksendern ausgeht, wird durch ein Netz fester und mobiler Messstationen laufend durch die Regulierungsbehörde und andere zuständige Behörden überwacht. Verbraucher und Verbraucherinnen können sich vor dem Kauf über die Strahlungsintensität eines Handys, den SAR-Wert informieren. Handys mit geringer Strahlung sollen durch ein Label strahlungsarm gekennzeichnet werden. Die Einhaltung der Selbstverpflichtung wird durch jährliche, unabhängige Gutachten überwacht. Mittlerweile liegt das dritte Jahresgutachten vor.

Forschung intensivieren Transparenz herstellen In der politischen Diskussion um die Notwendigkeit einer Grenzwertesenkung soll sich künftig niemand mehr auf fehlende, wissenschaftliche Erkenntnisse zurückziehen können. Deshalb haben wir trotz der angespannten Haushaltslage die Forschungsmittel für die Auswirkung des Mobilfunks auf die Gesundheit mehr als verdoppelt. Bis 2005 hat das Umweltministerium mehr als 8,5 Millionen € für die Wirkungsforschung zur Verfügung. Das Forschungsministerium verfügt im gleichen Zeitraum über mehr als 7 Millionen € für die Förderung emissionsmindernder Technologien. Hier gilt das Hauptaugenmerk der Strahlenbelastung durch das Handy-Endgerät selbst. Künftig sollten diese deutlich auf der Verpackung sichtbar Daten über ihre jeweilige Strahlungsintensität tragen. Sollte die laufende Forschung neue Erkenntnisse über gesundheitliche Gefahren elektromagnetischer Strahlen ergeben, müssen diese zu entsprechenden gesetzliche Regelungen führen. æ#339;ber die Ergebnisse der wissenschaftlichen Untersuchungen informieren wir uns laufend. Informationen zum laufenden Sonderforschungsprogramm Mobilfunk können seit kurzem über eine Website des Bundesamtes für Strahlenschutz unter der Internet-Adresse www.emf-forschungsprogramm.de abgerufen werden. Hier besteht auch die Möglichkeit für interessierte Wissenschaftler aber auch für Bürgerinnen und Bürger, Kommentare und eigene Vorstellungen zum Forschungsprogramm einzugeben.

Kennzeichnung strahlungsarmer Handys endlich umsetzen Strahlungsarme Handys sollen mit einem entsprechenden Label gekennzeichnet werden. Auch dieser Aspekt ist Inhalt der Vereinbarung zwischen Bundesregierung und Mobilfunkbetreibern. Auf diesem Weg können Sie als Verbraucherin oder Verbraucher strahlungsarme Geräte sofort beim Kauf und nicht erst durch Lesen der Bedienungsanleitung erkennen. Ein solches Label soll die Entwicklung von Handys mit immer niedrigeren SAR-Werten voran bringen. Bisher sträuben sich Handyhersteller jedoch noch gegen die Einführung eines solchen Labels. Die Jury Umweltzeichen hat bereits im Jahr 2002 für strahlungsarme Handys das Umweltzeichen Blauer Engel vergeben. Handyhersteller, deren Geräte eine Strahlungsintensität von höchstens 0,6 SAR aufweisen, könnten sich also schon heute um das Umweltzeichen bewerben. Leider weigern sich die Hersteller bislang den Blauen Engel für ihre Geräte einzusetzen. Wir werden den Druck auf die Hersteller weiter intensivieren. Das Label für strahlungsarme Mobilfunkgeräte muss im Sinne der Verbraucherinnen und Verbraucher endlich genutzt werden.

Was wir noch erreichen wollen
Wir haben bereits vor dem Verkauf der UMTS-Lizenzen Einfluss auf die Novellierung der 26. Bundes-Immissionsschutzverordnung genommen, mit dem Ziel die Grenzwerte zu verschärfen. Wir forderten für die Strahlungsintensität an sensiblen Standorten eine Senkung um den Faktor 1.000 (bezogen auf die Leistungsflussdichte) und für Handy-Endgeräte einen Warnhinweis für Kinder und Jugendliche unter 16 Jahren. Aber letztlich konnten wir für eine allgemein gültige Grenzwerteverschärfung keine Mehrheiten gewinnen, weder innerhalb der Koalition, noch im Bundestag oder im Bundesrat. Auch die Bayerische Staatsregierung, die am schnellsten mit dem Finger nach Berlin zeigt, hat erkennen lassen, dass sie einer derartigen Verordnung nicht zustimmen würde. Darüber hinaus haben wir die Länder aufgefordert, die in ihrer Kompetenz liegenden, baurechtlichen Vorschriften zu ändern, um sensible Standortbereiche auszuweisen. Auch wenn einzelne Abgeordnete der CDU/CSU in Briefen an die Bürgerinnen und Bürger ihres Wahlkreises etwas anderes behaupten oder die kleine Anfrage der CDU/CSU Fraktion vom 21.09.2004 etwas anders vermuten lässt: In Berlin hat sich die Opposition nie für schärfere Grenzwerte eingesetzt, auch kein union-regiertes Bundesland hat über eine Änderung des Landesbaurechts die Aufstellung von Sendeanlagen in reinen Wohngebieten, auf Schulen, Kindergärten oder Kliniken erschwert oder verhindert. Kein unions-regiertes Bundesland hat dem grünen Umweltminister Unterstützung für eine Grenzwertesenkung signalisiert. Auch in Bundesländern mit PDS-Regierungsbeteiligung gehören Sendemasten auf Kindergärten ebenso zum Alltagsbild wie in Bayern oder Baden-Württemberg.
Die FDP beschäftigt neben den gesundheitlichen Folgen elektromagnetischer Strahlung vor allem die ausreichende Planungssicherheit für die Betreiber beim Aufstellen der ca. 40.000 zusätzlichen Sendemasten zur UMTS-Einführung. Die FDP spricht sich deutlich gegen die von uns vorgeschlagene Eingriffsmöglichkeit in die Entscheidung zu Mobilfunk-Standorten im Rahmen baurechtlicher Genehmigungsverfahren aus. Ähnlich wie die CDU/CSU äußert sich die FDP dezidiert nicht zum Thema Grenzwerte.

Wir fordern die Landesregierungen weiterhin auf, bestehende gesetzliche Regelungen, die Eingriffsrechte der Kommunen beim Mobilfunknetzausbau gewährleisten, nicht abzubauen. Das derzeitige Verfahren über die Bescheinigung der Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post ist in dieser Hinsicht bei weitem nicht ausreichend. Die Überprüfung der Selbstverpflichtung der Mobilfunkbetreiber durch die mittlerweile vorliegenden Jahresberichte zeigt, dass bei der Einbindung der Kommunen in die Netzplanung der Betreiber zwar insgesamt Verbesserungen erreicht wurden, die Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger aber bei weitem nicht zufrieden stellend ist. Dies geht auch aus den vielen Zuschriften hervor, die uns in den letzten Wochen und Monaten erreicht haben. An dieser Stelle fordern wir weitere Anstrengungen und Maßnahmen der Mobilfunkbetreiber ein. Die Verbesserungen in diesem Bereich waren Teil der Selbstverpflichtung aus dem Jahr 2001 und müssen klar erfüllt werden, wenn der Weg der Selbstverpflichtung weiter beschritten werden soll. Andernfalls werden wir geeignete gesetzgeberische Maßnamen ergreifen. Auch haben bislang vor allem kleine Gemeinden oft Probleme, eigene Standortvorschläge vorzulegen. Hier gilt es, gemeinsam mit Betreibern und Kommunen Wege zu finden, diese Planungsprozesse zu optimieren. Gemeinsam mit der Bundesregierung setzen wir uns daher für die Erarbeitung eines Leitfadens für die Kommunen ein. Dieser soll dabei helfen, bei der Errichtung von Sendeanlagen die Beteiligung der Kommunen effektiver und effizienter zu gestalten.

Wir setzen uns auch weiterhin für einen zusätzlichen Warnhinweis für Kinder und Jugendliche ein und wollen die Verbreitung des Blauen Engels für strahlungsarme Handys vorantreiben. Die Handyhersteller müssen gerade vor diesem Hintergrund endlich ihren Widerstand gegen ein solches Label aufgeben und im Sinne eines vorsorgenden Verbraucherschutzes die Kennzeichnung ihrer strahlungsarmen Mobiltelefone anbieten. Gemeinsam mit dem Bundesumweltministerium werden wir weiterhin Maßnamen zur Verbesserung der Informationen über einen vorsorgeorientierten Umgang mit der Mobilfunktechnologie einleiten. Uns liegt dabei die Situation von Kindern und Jugendlichen ganz besonders am Herzen. Auf unsere Anregung hat das Bundesamt für Strahlenschutz eine spezielle Broschüren für Kinder und Jugendliche an Schulen herausgebracht, um in diesem sensiblen Bereich auf mögliche Risiken und entsprechende Verhaltensweisen hinzuweisen (Mobilfunk: Wie funktioniert das eigentlich?). Nicht jede Technik-Regulierung ist technologiefeindlich. Im Gegenteil: Die Gewährleistung von Gesundheits- und Verbraucherschutz fördert innovative Forschungs- und Entwicklungsleistungen der Telekommunikationsbranche. Dafür stehen Bündnis 90/DIE GRÜNEN.

Sehr geehrter Herr Blüher,

ich hoffe, dass ich Ihren Eindruck von meinem vermeintlich politischen
Desinteresse an der Problematik ausräumen konnte.

Mit freundlichen Grüßen

Petra Selg