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Petra Pau
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Frage von Mathias L. •

Frage an Petra Pau von Mathias L. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Bezug zur Frage von Heinz Tischner. Die Mitarbeiter des MfS haben viel Unrecht getan und Leid verbreitet. Ich bin wahrlich kein Freund dieses Systems gewesen. Wo bleibt jedoch die heute so viel gepriesene Demokratie mit der ich auch Gerechtigkeit verbinde. In Zeiten, wo sicherlich bedingt durch den Zerfall des Ostblocks, sich an fast jeder Ecke unseres Landes die hässlichen Züge des Frühkapitalismus wieder zeigen, wo sich viel Politiker ungeniert über die Begriffe Ehre, Ehrlichkeit, Menschlichkeit schamlos hinwegsetzen, wo deutsche Soldaten wieder im Ausland stehen, wo Konjunktur proklamiert wird - obwohl es dem Volk schlechter geht, wo keine Statistik ungeschönt veröffentlicht wird (wohl eine unschöne deutsche "Tugend") - finde ich es nahezu unerträglich, diese Art von Sieg des Westens über den Osten fast täglich zu zelebrieren. Wo waren denn die bedingungslosen Aufklärer auf westdeutscher Seite als es um die Verbrechen des Dritten Reiches ging, so, wie sie es bei der Rolle der Stasi tun? Weshalb werden Kohls Akten nicht veröffentlicht? Ich erinnere nur an Fritz Kolbe. Oder die Geschichte der Familien Quandt, Thyssen, Krupp. Was unbequem ist, wird nicht veröffentlicht. Das ist heute genauso, wie zu Stasizeiten! Dafür jedoch, bin ich am 04.11.1989 nicht auf die Ostberliner Straße gegangen. Dafür habe ich nicht in der Berliner Ruschestraße gemeinsame Nachtwache mit dem Neuen Forum in der erstürmten Stasizentrale gehalten. Ich wollte Gerechtigkeit. Aber es kann doch nicht, so wie heute, richtig sein, mit einem neuem Unrecht über ein altes Unrecht richten zu wollen. Sicher, Unrecht bleibt Unrecht. Den Befehlston des Herrn Tischner finde ich unangemessen, mit Verlaub, Ihre Befehlszeiten sind vorbei, möchte aber nun dennoch die Frage an Frau Pau stellen: Warum wehren (wir) Sie (uns) sich nicht gegen solche ständigen überheblichen Anfeindungen aus dem Westen? Sind wir in den knapp 50 Jahren der politischen Differenz wirklich die schlechteren Deutschen geworden?

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DIE LINKE

Sehr geehrter Herr Linke,

erinnern Sie sich bitte an die Deutsche Einheit und deren mediale Begleitmusik. Der Kontrabass spielte immer das selbe Lied: Im Westen ist alle schön und richtig, im Osten war alles marod’ und Stasi. Es gab nie eine differenzierende Betrachtung, nur Schwarz-Weiß. Und nie wurde gefragt, ob es in der DDR vielleicht das eine oder andere gab, das auch der BRD gut zu Gesicht stände. Erst jetzt, 15 Jahre später, kommen Gemeinschaftsschulen ins Gespräch. Und erst jetzt stellt man fest, dass es in den neuen Bundesländern viel mehr Kinderkrippen gibt, als in den alten Kitas, und so weiter.

Hinzu kam eine weitere Ost-West-Teilung. Nämlich in jene, die die Wende und die Einheit leibhaftig erlebt haben, und in jene, die beides aus dem Fernseher kennen. Da die mit dem Fernseher bekanntlich historisch und moralisch ins bessere Recht gesetzt wurden, hatten die mit dem Live-Erlebnis gefälligst dankbar und demütig zu sein. Diese Kardinalfehler der Einheit wurden nie korrigiert, obwohl bereits spätestens Mitte der 90er Jahre klar wurde, dass das auf Dauer nicht gut gehen kann. Die Ostalgie, die damals keimte, war keine Sehnsucht nach der Vergangenheit. Die Würde vieler Ostler fühlte sich missbraucht und trotzte.

Ich erinnere immer gern an ein Zitat von Willi Brandt: „Jetzt wächst zusammen, was zusammen gehört!“ Bis hierhin wird es gern zitiert. Gemeint hatte er aber etwas anderes. Denn er mahnte weiter: „Die wirtschaftliche Aufforstung und die soziale Absicherung liegen nicht außerhalb unseres Leistungsvermögens. Die Überbrückung geistig-kultureller Hemmschwellen und seelischer Barrieren mag schwieriger sein. Aber mit Takt und Respekt vor dem Selbstwertgefühl der bisher von uns getrennten Landsleute wird es möglich sein, dass ohne entstellende Narben zusammen wächst, was zusammengehört!“

Jüngst beschloss der Bundestag ein „Denkmal der Freiheit und Einheit“. Das sei man der Historie schuldig, hieß es, der nationalen Freude und den mutigen Bürgerrechtlern aus der Wendezeit. Fragen Sie mal namhafte Bürgerrechtler aus der Wendezeit, was sie davon halten. Ich meine nicht jene, die inzwischen die Bundeswehr ins Ausland schicken und im Inland die Geheimdienste hochrüsten. Ich meine jene, die noch immer Bürgerrechtler sind und sich 2001 mit einem Appell „Wir haben es satt“ an die Bevölkerung wandten, siehe:
http://www.freitag.de/2001/52/01520201.php .

Damit habe ich Ihnen indirekt auch ihre Fragen beantwortet. Wobei ich nie versucht war, West-Arroganz mit Ost-Arroganz zu begegnen. Die sozialen Mauern verlaufen noch immer zwischen Oben und Unten. Und wer einen demokratischen Rechtsstaat will und keinen präventiven Sicherheitsstaat – andere sagen Überwachungsstaat – der darf nicht auf den Verfassungsschutz setzen, der muss die Verfassung schützen.

Mit freundlichen Grüßen

Petra Pau

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