Frage an Petra Pau von Christian W. bezüglich Recht
Sehr geehrte Frau Pau,
ich habe einige Fragen an Sie bezüglich Ihrer Kommentierung der Äußerungen des Bundesinnenministers zu angeblich bevorstehenden atomaren Anschlägen durch Terroristen in Deutschland (20.09.2007).
Sie äußerten den Verdacht der Bundesinnenminister plane den Umbau des demokratischen Rechtsstaates zum präventiven Überwachungsstaat.
Wie steht es mit Ihren Erfahrungen bezüglich eines Überwachungsstaates (namentlich die Ex – DDR)?
Heute verdächtigten Sie den Bundesinnenminister, obwohl Sie in Ihrer eigenen Vergangenheit Mitglied in der SED gewesen sind, einer Partei die den Überwachungsorganen der DDR als Rekrutierungsgrund für ihre Mitarbeiter lange Zeit und erfolgreich zur Verfügung gestanden hat.
Ich will Sie nicht beschuldigen jemals bei der staatlichen Überwachung mitgewirkt zu haben, jedoch wäre ich erfreut, wenn Sie genauere Angaben über Ihre parteiliche Vergangenheit in der SED machen würden, ansonsten könnte sich mir der Gedanke „Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen“ aufzwingen.
MFG
Christian Web
Sehr geehrter Christian Web,
egal, wie Sie wirklich heißen, antworte ich Ihnen spät aber gern. Und ich fange bei Ihrem Schluss an. Im Evangelium nach Johannes wird folgende Geschichte erzählt:
“Jesus aber ging zum Ölberg. Und frühmorgens kam er wieder in den Tempel, und alles Volk kam zu ihm, und er setzte sich und lehrte sie. Aber die Schriftgelehrten und Pharisäer brachten eine Frau zu ihm, beim Ehebruch ergriffen, und stellten sie in die Mitte und sprachen zu ihm: Meister, diese Frau ist auf frischer Tat beim Ehebruch ergriffen worden. Mose aber hat uns im Gesetz geboten, solche Frauen zu steinigen. Was sagst du? Das sagten sie aber, ihn zu versuchen, damit sie ihn verklagen könnten. Aber Jesus bückte sich und schrieb mit dem Finger auf die Erde. Als sie nun fortfuhren, ihn zu fragen, richtete er sich auf und sprach zu ihnen: Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein auf sie. Und er bückte sich wieder und schrieb auf die Erde. Als sie aber das hörten, gingen sie weg, einer nach dem andern, die Ältesten zuerst; und Jesus blieb allein mit der Frau, die in der Mitte stand. Jesus aber richtete sich auf und fragte sie: Wo sind sie, Frau? Hat dich niemand verdammt? Sie antwortete: Niemand, Herr. Und Jesus sprach: So verdamme ich dich auch nicht; geh hin und sündige hinfort nicht mehr.“
Sie schreiben, sie wollen mich nicht beschuldigen. Ich vermute: Sie sind aus der Bundesrepublik-alt.
Ich bin aus der Bundesrepublik-neu. Die DDR war meine Heimat und ich war Mitglied der SED. Aber 1989/90 starb in mir eine Hoffnung. Nicht, weil es die so genannte Wende gab, und nicht, weil beide deutschen Staaten vereinigt wurden, sondern weil damals überdeutlich wurde: Der real-existierenden Sozialismus sowjetischer Prägung bietet keine Zukunft und er hat deswegen auch keine. Unter anderem, weil Bürger- und Freiheitsrechte gering geschätzt und häufig auch massiv ausgesetzt wurden. Das ist meine Lehre. Und diese Lehre sitzt tief.
Nun erlebe ich, dass im real-existierenden Kapitalismus erneut Bürger- und Freiheitsrechte gering geschätzt und immer öfter massiv ausgesetzt werden. Die Begründungen dafür ähneln sich übrigens unglaublich. Zu DDR-Zeiten damals war es der Klassenfeind im Westen, zu BRD-Zeiten heute ist es der Terrorist aus dem Osten.
Immer haben die anderen schuld, wenn der eigene Staat „missrät“ und „aus dem Ruder läuft“. Und immer will der Staat nur das Beste. Das Überwachungs-Aufgebot in der DDR war unglaublich groß, viel größer, als ich damals wahrhaben wollte. Aber noch nie war das Überwachungs-Potential so groß, wie heute. Man braucht heute keine IMs mehr, um Sie auf Schritt und Tritt verfolgen zu können. Es reicht, wenn sie ein Handy haben, sich auf der Autobahn bewegen oder im Internet surfen. Sie werden gläsern. Und die Begehrlichkeiten wachsen.
Um auf Ihre Frage zurück zu kommen: Ich habe erlebt, wie es ausgeht, wenn in einer Gesellschaft, die sich sozial definiert, Bürger- und Freiheitsrechte klein geschrieben werden. Und mit dieser Lebenserfahrung mische ich mich politisch ein. Ich schmeiße nicht mit Steinen aus dem Glashaus. Ich warne vielmehr vor Steinewerfern auf ein Glashaus, in dem auch Sie sitzen.
Mit freundlichen Grüßen
Petra Pau