Frage an Petra Hinz von Udo L. bezüglich Finanzen
Sehr geehrte Frau Hinz,
heute, am 6.11., wurde in einer (warum eigentlich?) nicht-öffentlichen Sitzung des Haushaltsausschusses über "einen umfassenden Ansatz beim Umgang mit den Folgen des Contergan Medizinskandals" und über die "Sicherstellung angemessener und zukunftsorientierter finanzieller Unterstützung der Contergangeschädigten" beraten.
Als Betroffener möchte ich Sie, die Sie als Berichterstatterin bzw. Mitberichterstatterin bei beiden Themen anwesend waren, fragen, was bei diesen Beratungen denn nun herausgekommen ist?
Leider wurde im "hib" nur über "Elterngeld lässt Familienetat steigen" berichtet.
Mit sonnigen Grüßen
Udo Leukam
Sehr geehrter Herr Leukam,
ich danke vor allem Ihnen, dass Sie als Betroffener bezüglich dieser Thematik den Kontakt zu mir gesucht haben.
Die Erinnerung an 50 Jahre Contergan Ende 2007 hat der Öffentlichkeit vor Augen geführt, wie schwer es für die contergangeschädigten Menschen ist, ihr tägliches Leben zu meistern und dass sie mit zunehmenden Schwierigkeiten zu kämpfen haben. Die Kehrseite des unermüdlichen Einsatzes macht sich jetzt nach der jahrelangen Fehlbelastung von Wirbelsäule, Gelenken und Muskulatur bemerkbar. Schmerzhafte Spät- und Folgeschäden schränken die Lebensqualität der Betroffenen zusätzlich erheblich ein.
Unter maßgeblichem Einfluss der Sozialdemokratie wurden in der nun endenden Legislaturperiode Änderungen am Conterganstiftunggesetz vorgenommen. Zuallererst ist hier jedoch den vielen Betroffenen zu danken, die in unzähligen Gesprächen und Schreiben, wie dem Ihrigen, Antrieb waren und ihre Verbesserungsvorschläge der Politik unterbreitet haben. Unser leitendes Ziel bei der Gesetzesänderung wurde, mit einem Maßnahmenmix die Lebenssituation der contergangeschädigten Menschen zu verbessern.
Mit dem Ersten Gesetz zur Änderung des Conterganstiftungsgesetzes haben wir die bisherigen Entschädigungsleistungen für Contergan-Geschädigte verdoppelt. Seit dem 1. Juli 2008 beträgt der Höchstsatz statt bisher 545 nunmehr 1.090 Euro. Das bedeutet für die am schwersten Geschädigten zusätzliche Leistungen in Höhe von 6.540 Euro jährlich.
Im Mittelpunkt des im Mai 2009 verabschiedeten Zweiten Gesetz zur Änderung des Conterganstiftungsgesetzes steht eine neue jährliche Sonderzahlung, die noch 2009 zum ersten Mal und dann für 25 Jahre an die Betroffenen fließen soll. In ihrer Höhe wird sie sich am Grad der Behinderung orientieren. Das Zweite Gesetz sieht vor, dass die Grünenthal GmbH 50 Millionen Euro in die Conterganstiftung freiwillig einbringt und zusätzlich weitere Mittel in gleicher Höhe aus dem Kapitalstock der Stiftung an die Betroffenen ausgezahlt werden. Insgesamt werden also 100 Millionen Euro ab diesem Jahr als jährliche Sonderzahlungen zur Verfügung stehen.
Wir haben des Weiteren das Straßenverkehrsgesetz geändert, so dass es jetzt für die Geschädigten einen - längst überfälligen - Anspruch auf einen Behindertenparkplatz gibt. Auch haben wir mit einem Rundschreiben zur Verordnung und Bewilligung von Leistungen der gesetzlichen Krankenkassen deutlich gemacht, dass im Sinne der contergangeschädigten Menschen bei der Verordnung von medizinischen Heil- und Hilfsmitteln der Rahmen voll ausgeschöpft und Ausnahmetatbestände genutzt werden sollten.
Außerdem wird den geschädigten Menschen, die bisher von der Ausschlussfrist betroffen waren, ermöglicht, Leistungsansprüche nach dem Conterganstiftungsgesetz noch geltend zu machen. Die Frist für Anträge galt bisher bis zum 31. Dezember 1983. Zu einem späteren Zeitpunkt gestellte Anträge mussten wegen Fristversäumnis abgelehnt werden. Für alle davon Betroffenen haben wir nun die Möglichkeit geschaffen, künftig Leistungen zu erhalten. Das sehen wir als dringend notwendig und als ein Gebot der Gerechtigkeit an. Denn einige Betroffene konnten keinen fristgerechten Antrag auf Leistungen nach dem Conterganstiftungsgesetz stellen, sei es, dass sie bzw. ihre Eltern gar nichts von der Möglichkeit der Leistungsbeantragung wussten, sei es dass der Antrag zu spät gestellt wurde oder dass die contergangeschädigten Menschen nicht wussten, dass ihre eigene Behinderung auf die Einnahme von Contergan der Firma Grünenthal durch ihre Mütter während der Schwangerschaft zurückzuführen ist. Das insgesamt zur Verfügung gestellte Geld wird auf die bisher Leistungsberechtigten und die bis Ende 2010 anerkannten contergangeschädigten Menschen aufgeteilt.
Auch wird der Stiftungszweck geändert, so dass künftig ausschließlich contergangeschädigte Menschen aus den Erträgen des restlichen Stiftungsvermögens begünstigt werden. Durch eine Änderung des Begriffs "Rente" in "Conterganrente" wird die Unterscheidung zur sonstigen "Rente" verdeutlicht. Die regulären monatlichen Leistungen nach dem Conterganstiftungsgesetz werden damit gegenüber Leistungen nach anderen Gesetzen deutlich abgegrenzt und sind nicht auf andere Sozialleistungen anzurechnen. Auf ausdrücklichen Wunsch der Betroffenen haben wir dafür gesorgt, dass die "Conterganrente" künftig dynamisiert und somit automatisch an die Steigerung der gesetzlichen Renten angepasst wird.
Für die Ausschüttung der jährlichen Sonderzahlung, genauso wie für die Öffnung der Ausschlussfrist war die Änderung des Conterganstiftungsgesetzes notwendig. Aber auch in anderer Hinsicht haben wir den Stiftungszweck stärker auf die Bedürfnisse der contergangeschädigten Menschen zugeschnitten. Es werden künftig nur noch Projekte gefördert, die ausschließlich ihnen zu gute kommen.
Dieser neue Aufgabenzuschnitt hat auch eine Umstrukturierung der Stiftung selbst notwendig gemacht. Wir sorgen damit für effizientere Strukturen. Deshalb gibt es eine klare Trennung der Zuständigkeiten zwischen Stiftungsrat und Vorstand. Der Stiftungsrat hat die Kontroll- und Aufsichtsfunktion und kann über grundsätzliche Fragen beschließen, während der Vorstand das ausführende Entscheidungsorgan ist. So kann zukünftig der Stiftungsvorstand zur Erfüllung seiner Aufgaben im Einvernehmen mit dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend auch bis zu zwei Geschäftsführer bzw. Geschäftsführerinnen anstellen. Ein Mitglied des Stiftungsvorstandes muss selbst leistungsberechtigt sein. Darüber hinaus ist der Stiftungsrat verkleinert worden. Er soll künftig aus höchstens sieben Mitgliedern bestehen. Davon werden zwei Mitglieder aus dem Kreis der Betroffenen stammen und durch eine Abstimmung von den Betroffenen selbst bestimmt werden.
Wir rechnen durch die mögliche Antragstellung von bisher von der Ausschlussfrist Betroffenen mit mehr Verfahren für die Medizinische Kommission. Deshalb heben wir die Beschränkung von maximal acht Kommissionsmitgliedern auf. So ist eine personelle Aufstockung möglich.
Auch wird der Bund künftig für alle anfallenden Verwaltungskosten der Stiftung aufkommen. Damit gehen die Verwaltungskosten nicht zu Lasten des Stiftungsvermögens, so dass die jährlichen Sonderzahlungen ungeschmälert an die Betroffenen ausgezahlt werden können. Außerdem soll durch eine Verkleinerung des Stiftungsrates die Stiftung in ihrer Effizienz gestärkt werden. Mit diesen Gesetzesänderungen und den bereits beschlossenen Maßnahmen wird ein Beitrag geleistet, die Lebenssituation der contergangeschädigten Menschen zu verbessern.
Ich hoffe, dass ich Ihre Frage beantworten konnte und stehe für Rückfragen bzw. weitere Anfragen und Anregungen auch unter meiner Berliner Büronummer 030 -- 227 79 000 oder per Email an petra.hinz@bundestag.de jederzeit gerne zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüßen
Petra Hinz, MdB