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Frage von Annette R. •

Frage an Petra Crone von Annette R. bezüglich Jugend

Sehr geehrte Frau Crone,

Es geht um den Gesetzesentwurf zur Legalisierung der Vorhautamputation bei minderjährigen Jungen. Ich lebe seit Jahrzenten in einer interkulturellen, muslimisch-christlichen Ehe mit Kindern und wir denken, dass sich in einer Gesellschaft religiöse und kulturelle Vielfalt am besten auf der Basis von einigen unteilbaren Grundrechten entfaltet.

Wie ist es mit dem Gleichheitsgrundsatz zu vereinbaren, dass die Vorhautamputation auf Elternwunsch bei minderjährigen Jungen legalisiert werden soll, während die Abtrennung der äquivalenten Gewebe bei Mädchen, was nach der Embryonalentwicklung die Klitorisvorhaut inklusive der kleinen Schamlippen wäre, weiterhin verboten sein soll?

Keine Missverständnisse: FGM ist mit einer Vorhautamputation natürlich nicht zu vergleichen. Denn FGM schließt in über 90% der Fälle die Klitorisamputation mit ein, was mindestens einer Eichelamputation beim Jungen entsprechen würde, die, von einzelnen tragischen unbeabsichtigten Einzelfällen einmal abgesehen, natürlich nicht Bestandteil der Jungenbeschneidung ist.

Bis in die 10. Entwicklungswoche sehen wir alle gleich aus zwischen den Beinen. Danach differenziert sich die Spitze des Genitalhügels zur Klitoris bzw. Glans, andere Teile der Urogenitalplatte werden zur Klitorisvorhaut inkl. kleiner Schamlippen bzw der männlichen Vorhaut. Alle Teile sind integrale Bestandteile der erogensten Zone eines menschlichen Körpers.

Vor diesem Hintergrund möchte ich Sie fragen, wie Sie den derzeitigen Gesetzesentwurf zur Legalisierung der Beschneidung minderjähriger Jungen im Hinblick auf den Gleichheitsgrundsatz beurteilen.

Mit freundlichen Grüßen, Annette Ryll

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Antwort von
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Sehr geehrte Frau Ryll,

vielen Dank für Ihre Anfrage vom 22.10., in der Sie nach meiner Beurteilung der Beschneidung von minderjährigen Jungen fragen.

Das Urteil des Landgerichts Köln zur Beschneidung eines minderjährigen Jungen, das über den konkreten Fall hinaus zwar keine rechtliche Bindungswirkung hat, hat trotzdem zu einer erheblichen Verunsicherung unter Juden und Muslimen in Deutschland geführt und eine breite öffentliche Diskussion herbeigeführt, in der auch kritische Stimmen gegenüber dem Ritual der Beschneidung an sich unüberhörbar sind. Wir sollten die Debatte mit der gebotenen Sachlichkeit und dem Respekt vor den verschiedenen Argumenten führen.

Die Zulässigkeit religiös motivierter Beschneidungen minderjähriger Jungen ist seit jeher unklar. Die Entscheidung des Landgerichts Köln vom 07.05.2012 hat die Rechtsunsicherheit noch vertieft. Das Gericht hat die nicht medizinisch indizierte - also einzig religiös motivierte - Beschneidung als rechtswidrige Körperverletzung qualifiziert. Der die Beschneidung durchführende Arzt wurde jedoch frei gesprochen, weil er, so das Gericht, davon ausging - und aufgrund der unklaren Rechtslage auch davon ausgehen durfte - die Beschneidung sei gestattet (unvermeidbarer Verbotsirrtum). Das Urteil hat zwar, wie oben betont, keine bindende Wirkung für andere Gerichte, jedoch wird sich zukünftig wohl niemand mehr auf einen unvermeidbaren Verbotsirrtum berufen können. Folge: Religiös motivierte Beschneidungen werden wohl zukünftig nicht mehr von Ärzten durchgeführt werden.

Strafrechtlich betrachtet stellt die Beschneidung - egal ob medizinisch oder religiös motiviert - eine Körperverletzung gemäß § 223 StGB dar. Erfolgt die Beschneidung eines Minderjährigen aus medizinischen Gründen (z.B. bei Verengung der Vorhaut - Phimose), ist sie über die Einwilligung der Eltern gerechtfertigt. Die Einwilligung ist wirksam, da sie bei medizinischer Indikation im Interesse des Kindes erfolgt.

Erfolgt der Eingriff aus rein religiösen Gründen, ist die Wirksamkeit der Einwilligung fraglich. Hier sind zwei grundrechtlich geschützte Rechtsgüter abzuwägen: das Recht des Kindes auf körperliche Unversehrtheit und das Recht der Eltern auf Ausübung ihrer Religion. Das Landgericht Köln hat dem Recht auf körperliche Unversehrtheit im Ergebnis Vorrang gegeben.

Da das Gericht aber insgesamt zu einem Freispruch kam, ist eine Anfechtung des Urteils und daher ein Gang zu einer höheren Instanz, z.B. vor das Bundesverfassungsgericht, nicht möglich.

Die daraufhin entbrannte gesellschaftliche Diskussion ist vielschichtig und macht die Kompliziertheit dieses Themas deutlich. Menschen jüdischen und muslimischen Glaubens fürchten um die Möglichkeit, ihren Glauben in Deutschland leben zu können. Auch fürchtet man, dass Beschneidungen zukünftig vermehrt in „Hinterzimmern“ stattfinden und von Menschen ohne jegliche Qualifikation ausgeübt werden könnten. Auch befürchtet man einen „Beschneidungstourismus“.

Für mich als Sozialdemokratin ist klar, dass jüdisches und muslimisches Leben und deren Kultur fester Bestandteil der Gesellschaft in Deutschland ist. Das Grundgesetz garantiert das Recht auf freie Religionsausübung und macht keinen Unterschied zwischen den Glaubensgemeinschaften. Allerdings muss sich die Ausübung der Religionsfreiheit im Rahmen der geltenden Gesetze bewegen. Die derzeitige politische Diskussion richtet den Fokus meines Erachtens zu stark auf das Recht der freien Religionsausübung. Natürlich sollen unsere jüdischen und muslimischen Mitbürger die Beschneidung auch in Zukunft frei von Sanktionen ausüben können. Es muss sichergestellt sein, dass eine Beschneidung von minderjährigen Jungen unter medizinischen Bedingungen und ohne unnötige Schmerzen durchzuführen ist. Eine Grenze zur sittenwidrigen und nachhaltig schädlichen Verstümmelung der Genitalien von Mädchen muss unmissverständlich und kompromisslos gezogen werden.

Von Kritikern der Beschneidung wird u.a. auch zu Bedenken gegeben, dass die Beschneidung das Recht des Kindes auf freie Religionswahl verletzt, für das durch die Beschneidung irreversible Fakten geschaffen werden. Grundsätzlich umfasst das Recht der elterlichen Sorge auch die Bestimmung der Religionszugehörigkeit des Kindes bis zu dessen Religionsmündigkeit. Darüberhinaus ist keine eindeutige Zuordnung zu einer Religionszugehörigkeit möglich, da die Beschneidung sowohl zum jüdischen als auch muslimischen Glauben gehört, sowie auch aus medizinischen Gründen erfolgen kann.**

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Die Vorsitzenden der Fraktionen von SPD, CDU/CSU und FDP sind übereingekommen, die Frage der Beschneidung minderjähriger Jungen aus religiösen Gründen gesetzlich eindeutig zu regeln. Ein entsprechender Gesetzentwurf wird dies konkret umsetzen.

Diesem Gesetzentwurf werde ich mich anschließen.

Mit freundlichen Grüßen
Petra Crone, MdB