Frage an Peter Simon von Jörn N. bezüglich Finanzen
Sehr geehrter Herr Simon,
ich habe gerade ein Vortrag von Friederike Spiecker über die Ursachen der Eurokrise und Vorschläge für Auswege aus der Krise gesehen. Der Vortrag ist im Internet zu sehen auf http://www.youtube.com/watch?v=62kQ6iKSIIw die Präsentation dazu gibt es auf http://www.ooe-topthema.at/wp-content/uploads/Wie-den-Euro-retten.pdf
Meine Frage ist nun:
Teilen Sie die Ansichten von Frau Spiecker und sehen sie auch eine Anhebung des Lohnniveaus in Deutschland über die nächsten 10 Jahre als einen entscheidenden Teil der Lösung der Eurokrise an?
Mit freundlichen Grüßen
Jörn Naber
Sehr geehrter Herr Naber,
haben Sie vielen Dank für Ihre Anfrage.
Temporäre Unterschiede bei den Inflationsraten der Mitgliedsländer sind keine Seltenheit in einer Währungsunion. Unterschiedliche ökonomische Entwicklungen und Konjunkturzyklen, wirtschaftliche Aufholungseffekte oder auch Anpassungen nach unerwarteten Ereignissen können diese Unterschiede erklären. Eine weitere Ursache ist die unterschiedliche Fiskalpolitik der Mitgliedsländer, die die Nachfrage entweder anzuregen oder zu schwächen versucht und damit die Preisentwicklung beeinflusst. Hinzukommt ein rein technisches Problem: die Inflation wird anhand eines harmonisierten Verbraucherpreisindex verglichen, der auf Basis eines einheitlichen Warenkorbs berechnet wird. Unterschiedliches Konsumverhalten in den Mitgliedsländern kann daher auch zu einem geringen Grad zu unterschiedlichen Inflationsraten beitragen. Anhaltende Abweichungen bei den Inflationsraten der Mitglieder einer Währungsunion, insbesondere andauernd höhere bzw. kontinuierlich niedrigere Raten, sind jedoch ein Grund zur Besorgnis.
Um die unterschiedlichen Entwicklungen aus- und aneinander anzugleichen, gibt es mehrere Optionen. Transferzahlungen zwischen den Mitgliedern sind eine Möglichkeit und werden z.B. im Rahmen der Strukturfonds (Sozialfonds, Kohäsionsfonds, …) in der EU umgesetzt. Eine eng koordinierte Wirtschaftspolitik durch eine europäische Wirtschaftsregierung ist aus meiner Sicht ein weiterer unabdingbarer Schritt, um dem Auseinanderdriften der Volkswirtschaften in der Eurozone entgegen zu steuern. Denn eine Währungs- ohne Wirtschaftsunion ist unvollkommen und kann ihre Wirkung nicht vollständig entfalten, da unvorhergesehene Ereignisse und Unterschiede in den Mitgliedstaaten zu asymmetrischen Entwicklungen führen und damit die Währungsunion zu zerreißen drohen. Ein Kapitel der engeren wirtschaftspolitischen Koordinierung ist - wie auch von Frau Spiecker angesprochen - eine besser abgestimmte Lohnpolitik. Das allgemeine Lohnniveau in Deutschland hat in den vergangenen Jahren zu einer Schwächung der Binnennachfrage geführt, was seinerseits wieder Exporte anderer EU-Staaten nach Deutschland erschwert hat. Jedoch hat das Auseinanderdriften von Staaten nicht nur eine Ursache, sondern ist auch abhängig von u.a. fiskalpolitischen Impulsen, unerwarteten Ereignissen, strukturellen Unterschieden und verschiedenen Ausgangspositionen in den Mitgliedsländern. Eine umfassende wirtschaftspolitische Kooperation zur Vermeidung makroökonomischer Ungleichgewichte ist daher der entscheidende Aspekt, um derartige Divergenzen in Zukunft zu vermeiden.
Um die derzeitige Krise zu überwinden und die Eurozone zurück zu einer stabilen Währungsunion zu führen bedarf es jedoch weitergehender Maßnahmen: die Einrichtung eines Europäischen Währungsfonds, um einzelnen Staaten in Krisenzeiten unter die Arme greifen und damit die Situation frühzeitig entschärfen zu können. Einen Marshallplan für angeschlagene Volkswirtschaften, damit diese nicht auf viele Jahre in die Rezession getrieben werden, sondern gezielte Ansprechungen in Bereichen wie Energieeffizienz, erneuerbare Energien, Bildung oder Ausbildung unternommen werden. Wichtig ist außerdem, dass die in der EU2020-Strategie verankerten Ziele für mehr Wachstum, mehr Beschäftigung und einen stärkeren sozialen Zusammenhalt nicht blinden Spardiktaten zum Opfer fallen. Spekulationen verstärken die aktuelle Krise immer wieder; das Ausmaß des Einflusses von Spekulanten auf dem Markt für Staatsanleihen ist politisch wie ökonomisch nicht hinnehmbar. Durch das Bündeln eines Teils der Schulden in Eurobonds würde ein größerer Markt geschaffen, der sowohl die Staatsschulden als Ganzes sowie auch der einzelnen Mitgliedstaaten unabhängiger von spekulativem Handeln machen würde. Weiterhin muss die Finanzmarktregulierung vorangetrieben werden. Denn die Krise hat ihren Ursprung auf dem Finanzmarkt und hat sich durch die letztendlich daraus resultierende Kreditklemme in die reale Wirtschaft fortgesetzt. Bereits vorhandene makroökonomische Divergenzen sind durch die Krise verstärkt worden; notwendige höhere Sozialausgaben und geringere Steuereinnahmen sowie notwendige Konjunkturprogramme führten viele Staaten überhaupt erst in eine Staatsschuldenkrise. Zur Überwindung der Krise sind daher die vielfältigen Ursachen und Schwachstellen entsprechend zu berücksichtigen. Der ausschließliche Fokus auf einen Bereich (sei dieser auch noch so wichtig) ist zu einseitig und vernachlässigt die unterschiedlichen Aspekte der Krise.
Mit freundlichen Grüßen
Peter Simon