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Peter Meiwald
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Frage von Erich-Günter K. •

Frage an Peter Meiwald von Erich-Günter K.

Sehr geehrter Herr Meiwald,

jüngst angeregt durch die Äußerungen des Herrn Bundesministers Schmidt zur Gefährdung von Standards bei den TTIP-Verhandlungen, möchte ich Sie um Ihre Meinung bitten zu der Frage „Was wäre, wenn wir vor zehn oder zwanzig Jahren bereits ein Freihandelsabkommen mit den USA u.a. abgeschlossen hätten?“

Wären diese politischen Entscheidungen dann durchsetzbar gewesen?(Beispiele):
Staatliche Förderung
• Alternativer Energien (bis hin zum Atomausstieg und zur Energiewende)
• Biologischer Landwirtschaft
• ÖPNV
• Gesundheits- u. Bildungswesen, Forschung, Sport, Kultur, Parteien, Kirchen, ÖRR

• Auflagen an den Handel zur Müllvermeidung (Verpackung, Recycling)
• Auflagen an die Industrie zum Umweltschutz (Grundwasser, Emission, Baustandards, Werkstoffe, Chemikalieneinsatz)
• Verbot von Steuerfluchtmodellen (Finanzsektor und internationale Konzerne)

Die Prozesse auf diesen Feldern waren und sind politisch mühsam genug. Hätten sie z.B. mit TTIP erreicht werden können?

Ein Blick nach vorn:

Unterstellt, Politik u. Gesellschaft engagierten sich weiter für ambitionierte Zukunftsprojekte, wären Entscheidungen unter TTIP-Bedingungen künftig denbar?

Staatliche Förderung
• Alternativer (Umwelt-)Technologien
• Alternativer Medizin (weniger Pharma- dafür mehr Naturheilprodukte, wo sinnvoll)
• Alternativer Geld- und Finanzwirtschaft

• Auflagen an die Internetwirtschaft (z.B. Einhaltung nationaler Standards und Regeln)
• Auflagen an die private Werbe- und Medienindustrie (Einschränkungen, Normen)

Diese Fragen stellen sich Bürger über den "Chlorhuhnhorizont“ hinaus. Außerdem meine ich, dass es sowohl Politik wie auch den Medien oft schwerfällt, die Komplexität dieses Vorhabens und deren massive Auswirkungen auf die Gesellschaft in Zukunft umfassend und zugleich verständlich darzustellen. Da fiel mir die Frage „Was wäre, wenn…“ in diesem Kontext ein.

Über Ihre Gedanken dazu würde sich sehr freuen

Erich-Günter Kerschke

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Antwort von
Bündnis 90/Die Grünen

Sehr geehrter Herr Kerschke,

zunächst möchte ich Ihnen sehr herzlich für die Zusendung ihrer Anfrage zum geplanten Freihandelsabkommen TTIP recht herzlich danken. Auch ich verfolge die Verhandlungen, nicht nur zu TTIP, sondern auch zu CETA (mit Kanada) und erst recht zum Dienstleistungsabkommen TISA, mit großer Sorge.

Unsere Fraktion hat sich im vergangenen Jahr grundsätzlich zum geplanten Investorenschutz in TTIP geäußert. Den Link zum entsprechenden Fraktionsbeschluss vom 20.05.2014 finden Sie hier:
< http://www.gruene-bundestag.de/fileadmin/media/gruenebundestag_de/fraktion/beschluesse/Beschluss_TTIP_Investitionsschutz.pdf >
Auch parlamentarische Initiativen haben wir diverse auf den Weg gebracht:
TTIP: < http://www.gruene-bundestag.de/suche_ID_2000103.html?tx_solr%5Bq%5D=TTIP&tx_solr%5Bfilter%5D%5B0%5D=bereich%253AInitiativen >
CETA: < http://www.gruene-bundestag.de/suche_ID_2000103.html?tx_solr%5Bq%5D=CETA&tx_solr%5Bfilter%5D%5B0%5D=bereich%253AInitiativen >

Über die im Moment im Zusammenhang mit den Freihandelsabkommen öffentlich besonders diskutierten Themen „Investorenschutz“ und „Chlorhühnchen“ hinaus, treibt mich und uns als Fraktion insbesondere die Frage der „regulatorischen Kooperation“ um. Hier liegen genau die Fallstricke für zukünftige Regelungen und Gesetzgebungsverfahren, vor denen Sie mit den von Ihnen aufgeworfenen Beispielen warnen.

Es stellt sich bisher so dar, dass über die Freihandelsabkommen bestehende Normen und Schutzvorschriften der EU oder ihrer Mitgliedsstaaten nicht abgesenkt werden sollen. Jedoch bleibt zu befürchten, dass für zukünftige Gesetzgebungen unter einem TTIP-Regime zunächst ein Beratungsgremium unter Beteiligung möglicherweise betroffener Unternehmen einzubeziehen ist, welches prüft, ob Unternehmen durch die geplante Rechtssetzung möglicherweise Gewinne entgehen oder Nachteile drohen könnten. Unsere Parlamente würden dadurch einen weiteren Teil ihrer Souveränität einbüßen.

Auch die von Ihnen angesprochenen Förderprogramme für Umwelt- oder Energiespartechnologien müssten in diesem Kontext zukünftig nicht mehr nur auf ihre Europarechtskonformität, sondern auch hinsichtlich (behaupteter oder möglicher) Diskriminierungseffekte gegenüber Wettbewerbern aus den USA abgestimmt werden. Das Prinzip „Science based“ könnte andere Abwägungskriterien bei Verboten wie Förderprogrammen nicht nur im medizinischen Bereich vollständig überlagern. In wieweit es dann langfristig gelingen würde, auch den Kultur- und Medienbereich oder auch die Fragen der Dienstleistungen zu Daseinsvorsorge (Wasser, medizinische Versorgung, Bildung,…) aus dem Einflussbereich der Freihandelsabkommens herauszuhalten ist aus meiner Sicht zumindest fragwürdig.

Ein weiteres Problem liegt in der völlig unterschiedlichen Rechtssystematik der beiden Wirtschaftsräume. Wie Sie wissen, gibt es in der EU und im US-amerikanischen Rechtssystem zwei grundsätzlich verschiedene Herangehensweisen an die Frage des Verbraucher- und Umweltschutzes. In Europa vertrauen wir auf das Vorsorgeprinzip, d.h. ein Produzent oder Inverkehrbringer muss darlegen, dass von seiner Ware oder seinem Verfahren keine Gefährdung für Mensch und Umwelt ausgeht. Währenddessen basiert das US-amerikanische System auf dem Haftungsprinzip, d.h. Produzent und Inverkehrbringer tragen über nahezu unbegrenzte Haftungsverpflichtungen die Risiken, die möglicherweise von ihren Produkten ausgehen, wenn die Ursache nachgewiesen werden kann. Das europäische Vorsorgeprinzip ist die Basis für eine Gesetzgebung, die vorsorgenden Verbraucher- und Umweltschutz ermöglicht. Politik kann bisher unter Zuhilfenahme wissenschaftlicher Erkenntnisse, aber auch gesellschaftspolitischer Debatten eine Risikoabwägung vornehmen und dann zum Beispiel gentechnisch veränderte Organismen vom Markt fernhalten. Wenn man nun innerhalb eines großen liberalisierten Marktes zwar nicht seine eigenen Normen und Standards absenkt, jedoch gleichzeitig Produkte einführen darf, die auf der anderen Seite des Atlantiks einen Marktzugang nach US-Recht bekommen haben, wird das faktisch dazu führen, dass hiesige Vorsorge- und Schutzmechanismen unterlaufen werden können. Wer seine Ware in Europa nicht zugelassen bekommt, nutzt einfach den Marktzutritt auf der anderen Seite und ist dann trotzdem im Binnenmarkt. Schadensersatzprozesse sind dann nach eingetretener Schädigung zwar selbstverständlich möglich, es steht jedoch zu befürchten, dass diese sehr langwierig und wegen der Umkehrung der Beweislast für einzelne Bürger oder auch Staaten gegen große internationale Konzerne mit großen Rechtsabteilungen und viel Geld für Gutachter nur sehr schwer zu bestreiten, erst recht zu gewinnen wären.

Sie sehen, es gibt viele gute Gründe, die gegen CETA, TTIP, TISA und Co sprechen. Als Grüner halte ich es durchaus für sinnvoll, den internationalen Handel und seine Rahmenbedingungen weiter zu entwickeln. Allerdings zumindest unter drei Prämissen:

1. Es geht um FairHandel, d.h. eine Entwicklung internationaler Handelsbeziehungen mit klaren ökologischen, sozialen, gesundheits- und verbraucherschützenden Spielregeln.
2. Geheimverhandlungen zwischen Bürokraten und Lobbyisten ohne durchgehende Transparenz und Beteiligung der betroffenen Bürgerinnen und Bürger sowie derer Parlamente lehnen wir ab. Wir brauchen eine breite zivilgesellschaftliche Beteiligung, die zum Beispiel über Konsultationsprozesse im Vorfeld von Verhandlungen und einzelner Verhandlungsrunden realisiert werden könnte.
3. Um die globale Spaltung nicht immer stärker werden zu lassen, muss der Ort weitergehender Handelsabkommen die Welthandelsorganisation WTO sein, auch wenn die Verhandlungen dort möglicherweise ungleich komplizierter sind.

Mit freundlichen Grüßen

Peter Meiwald