Frage an Peter Hintze von Gundhardt L. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Dr. Hintze,
heute ist der 03. Oktober, der Tag der Deutschen Einheit, und Millionen Deutsche sahen den ARD-Zweiteiler "Die Frau am Checkpoint Charlie". Immer an diesem Gedenktag wird in den Medien über die Opfer des DDR-Regimes und die vielen Flüchtlingsgeschichten erinnert. Ich habe die Diskussion in der ARD-Sendung "Anne Will" sehr aufmerksam verfolgt. Ich würde Ihnen gerne die Frage stellen, wie es geschehen konnte, dass die Rentenanwartschaften von Bundesbürgern, die seit 59 bis 89 aus der DDR geflohen oder ausgereist sind und die seitdem in der Bundesrepublik Deutschland wohnen, gelöscht wurden. Diese Anwartschaften waren Ergebnis eines Eingliederungsverfahrens nach Fremdrentengesetz. Hier in Kurzform mein Beispiel. Ich bin anerkannter DDR-Flüchtling (C-Ausweis) und vor dem Fall der Mauer in die alte Bundesrepublik mit meiner Frau und zwei Kindern gekommen. Weiterhin bin ich seit 06.07.2005 nach dem Rehabilitierungsgesetz (BerRehaG) politisch Verfolgter im Sinne des § 1 Abs. 1. Ich hatte in der DDR nach Ausreiseantragstellung als Dipl.-Ing. drei Jahre Berufsverbot. Seit nun mehr als fünf Jahren gibt es Widerspruch gegen Bescheide der BfA bzw. DRV Bund. Halten Sie es für verfassungsrechtlich, rechtspolitisch und sozialpolitisch vertretbar, dass durch die Manipulation des Sozialministeriums die DDR-Flüchtlinge und Übersiedler schlechter gestellt werden, als die Stasi-Mitarbeiter, denen ein Mindestanspruch zugebilligt wird, weil sonst deren Rente, Zitat BVerfG vom 21.07.98 "... nicht mehr mit dem Wert der in den unterschiedlichsten Berufen und Positionen verrichten Arbeit in Zusammenhang gebracht werden. Es sei denn, man hielte die Angehörigen dieses Sonderversorgungssystems oder die hauptberuflichen Mitarbeiter des MfS/AfNS durchweg für deutlich unterdurchschnittlich qualifiziert." (BSG; 1 BvL 33/95 und BvL 11/94)?.
Wussten Sie am 21.06.91, dass mit dem RÜG in naher Zukunft alle Zonenflüchtlinge und DDR-Übersiedler enteignet werden sollten?
mfg
Sehr geehrter Herr Lässig,
vielen Dank für Ihre Anfrage. Sie betrifft Regelungen des allgemeinen Rentenüberleitungsgesetzes vom 24. Juni 1993 (RÜG), mit dem die rentenversicherungsrechtliche Behandlung von Bürgern, die vor dem 18. Mai 1990 aus der ehemaligen DDR übersiedelten und zunächst unter das Fremdrentengesetz (FRG) fielen, auf eine neue Rechtsgrundlage gestellt wurde.
Mir ist bewusst, dass die Neuregelung teilweise zu einer Absenkung der Rentenanwartschaften führte. Insofern habe ich Verständnis für die Enttäuschung der von dieser Regelung betroffenen Übersiedler. Gleichwohl bin ich der Auffassung, dass die seinerzeitige Rechtsänderung im wesentlichen sachlich vernünftig war und insbesondere unter den wichtigen verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten des Vertrauensschutzes und des Eigentumsschutzes auch rechtlich im Kern richtig ist.
Der Grund für die Neuregelung, von der lediglich die rentennahen Jahrgänge bis einschließlich 1936 ausgeschlossen sind, war die Tatsache, dass die Rentenberechnung nach dem FRG ohne genauere Kenntnis der tatsächlichen wirtschaftlichen und rentenrechtlichen Verhältnisse in der DDR erfolgte. So wurden den Übersiedlern fiktive Bruttoarbeitsentgelte zugeordnet, für die dann - wie für originäre Versicherungszeiten in der Bundesrepublik Deutschland - Entgeltpunkte ermittelt wurden. Nachdem man nach der Wiedervereinigung über eine verlässliche Datenbasis im Hinblick auf die tatsächlichen einkommens- und rentenrechtlichen Verhältnisse verfügte, entschied sich der Gesetzgeber, die zunächst relativ großzügige Rentenberechnung an die neuen Daten anzupassen und die rentenrechtlichen Positionen der Betroffenen insoweit realitätsnäher zu bestimmen. Im Zuge dessen wurden bei der Berechnung der Renten die auf der Grundlage des FRG ermittelten Entgeltpunkte entsprechend reduziert. Dabei gilt es zu berücksichtigen, dass die Gruppe der Übersiedler im Verhältnis zu anderen Betroffenen insoweit bessergestellt ist, als für ihre in der DDR geleisteten Beitragszahlungen weiterhin der Entgeltpunkt West (26,13) und nicht der niedrigere Entgeltpunkt Ost (22,97) gutgeschrieben wird. Überdies haben Personen, die in der DDR vom Zusatzversorgungssystem FZR aus politischen Gründen abgeschnitten wurden und daher keine Gelegenheit hatten, entsprechend höhere Rentenanwartschaften zu begründen, bis zum 31.12.2007 die Möglichkeit, dies als Unrechtsmaßnahme über die Regelungen für berufliche Rehabilitierung geltend zu machen und Entschädigungen zu erhalten.
Die Reduzierung der Entgeltpunkte war nicht nur Gegenstand von Petitionen und der von parlamentarischen Anfragen, sondern auch von diversen Gerichtsverfahren. Das Bundesverfassungsgericht hat im Juni vergangenen Jahres letztinstanzlich entschieden, dass die Reduzierung der Entgeltpunkte grundsätzlich mit dem Grundgesetz vereinbar ist. So hat das Gericht ausdrücklich klargestellt, dass die durch das FRG begründete Rentenanwartschaft gerade nicht dem Eigentumsschutz aus Artikel 14 Absatz 1 des Grundgesetzes unterliege, wenn ihr ausschließlich Beitrags- und Beschäftigungszeiten zugrunde liegen, die in den Herkunftsgebieten erbracht oder zurückgelegt wurden, da es insoweit an einer an einen Versicherungsträger in der Bundesrepublik erbrachten Eigenleistung fehle. Unabhängig davon sei die Regelung durch Gründe des Allgemeinwohls gerechtfertigt und auch verhältnismäßig, da der Gesetzgeber in Abwägung zwischen Leistungen an Versicherte und Belastungen der Solidargemeinschaft vor allem jene Positionen verkürzen dürfe, die Ausdruck besonderer Vergünstigungen seien. Eine derartige Vergünstigung bestehe nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts in Bezug auf die Anwartschaftsteile, denen keine Beitragsleistungen zugunsten der versicherungsrechtlichen Solidargemeinschaft, mithin zugunsten eines bundesdeutschen Rentenversicherungsträgers gegenüberstehen.
Vor diesem Hintergrund sehe ich keine Veranlassung, von den grundsätzlichen Wertungen des Bundesverfassungsgerichts abzuweichen und die mit dem RÜG im Jahre 1993 erfolgte Korrektur nachträglich insgesamt infrage zu stellen.
Das Bundesverfassungsgericht hat dem Gesetzgeber unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes lediglich aufgetragen, auf die legitimen Interessen der rentennahen Jahrgänge im Wege einer noch zu treffenden Übergangsregelung Rücksicht zu nehmen, die bei den Rentenzugängen ab dem 1.10.1996 eine sofortige Reduzierung verhindert. Noch nicht rechts- oder bestandskräftig abgeschlossene Verfahren, in denen sich Berechtigte, die vor dem 1. Januar 1991 in die Bundesrepublik zugezogen sind und deren Rente nach dem 30. September 1996 begonnen hat, gegen die Absenkung der ihrer Rente zugrunde liegenden Entgeltpunkte wenden, bleiben nach dem Urteil des Gerichts ausgesetzt oder sind auszusetzen, um den Betroffenen die Möglichkeit zu erhalten, aus den vom Gesetzgeber zu treffenden Regelungen Nutzen zu ziehen. Dies könnte der Grund sein, weshalb Ihr Widerspruch bislang noch nicht beschieden wurde.
Mit freundlichen Grüßen
Ihr Peter Hintze