Frage an Peter Hettlich von Nils J. bezüglich Raumordnung, Bau- und Wohnungswesen
Sehr geehrter Herr Hettlich,
halten Sie die Siedlungsstruktur in Deutschland im Hinblick auf die demographischen Veränderungen (weniger, älter, bunter) und die ökologischen Anforderungen (Ressourcenverbrauch durch Verkehr und Gebäude bei steigenden Rohstoffpreisen) für zukunftsfähig?
Sind Sie der Meinung, dass am Primat der "gleichwertigen Lebensverhältnisse" flächendeckend festzuhalten ist, oder ist in den stark schrumpfenden Regionen über eine Entsiedlung nachzudenken?
Werden Werkzeuge in Ihrem Auschuss diskutiert, die interkommunale Zusammenarbeit (statt ruinöser Konkurrenz, z.B. bei der Baulandbereitstellung) zur gesetzlichen Notwendigkeit machen?
neugierig:
Nils Jansen
Sehr geehrter Herr Jansen,
herzlichen Dank für Ihre Fragen.
Zu 1:
Ich halte unsere Siedlungsstrukturen für nicht demographiefest, und ich kann auch nicht den rechten Willen bei den Handelnden erkennen, daran etwas zu ändern. Die Erkenntnis, daß unsere Siedlungsstrukturen schon heute in vielen Regionen nicht mehr tragfähig sind, setzt sich zwar in schrumpfenden Regionen allmählich durch. Dennoch regiert das Prinzip Hoffnung, d.h. man hofft auf Zuzug, Neuansiedlungen und steigende Geburtenraten. Daher wird unsere Siedlungsstruktur wider besseren Wissens auch in schrumpfenden Regionen weiter ausgedehnt, die Folgen brauche ich hier wohl nicht beschreiben. Die ökologischen Folgen - immer weitere Wege, immer mehr Energieverbrauch, immer mehr Flächenverbrauch - werden weitgehend negiert, wenigstens das ökonomische Argument: "Wer soll das eigentlich alles bezahlen?" scheint auf fruchtbaren Boden zu fallen.
Zu 2:
Ich halte weiterhin an diesem Primat fest, denn gleichwertige bedeuten nicht gleiche Lebensverhältnisse. Es wird immer unterschiedliche Lebensentwürfe und -stile geben, die z.B. die Lebensqualität im Oderbruch höher bewerten als z.B. das Leben in einem Ballungsraum wie Stuttgart. Das kann kein Staat und keine Verfassung vorschreiben und definieren. Insofern haben wir eine Grauzone, die Interpretationen durchaus einen freien Raum läßt. Allerdings ist es die Aufgabe des Staates für Mindestbedingungen und -standards zu sorgen, z.B. für die Menschen, die sich - aus welchen Gründen auch immer - entschieden haben, in peripheren Räumen zu leben. D.h. eine Grundversorgung muß gewährleistet sein, d.h. Wasser, Energie, Telekommunikation, medizinische Versorgung etc.. Viele staatliche Serviceleistungen werden in derartigen Regionen aber nur mobil zu leisten sein, dafür benötigen wir innovative Konzepte, die z.T. in Ostdeutschland bereits diskutiert werden. Von einer staatlich gelenkten oder finanziell geförderten Entsiedlung halte ich überhaupt nichts. Wenn sich Siedlungen als lebenswert erweisen, dann es muß auch einer Handvoll Bewohner möglich sein, ihren Lebensentwurf zu verwirklichen. Dafür benötigen wir aber eine radikale Dezentralisierung der Infrastruktur, die technisch schon heute aufgrund der Erneuerbaren Energien ohne weitere möglich ist. Und es bedeutet, daß die Ansprüche z.B. an Verkehrsinfrastruktur stark zurückgefahren werden müssen.
Zu 3:
Jetzt kommen wir zum zentralen Problem dieses Themas: Die bundespolitische Kompetenz ist aufgrund der kommunalen Planungs- und Handlungshoheit verfassungsrechtlich stark eingeschränkt. Der Schlüssel liegt primär bei den kommunalpolitisch Handelnden und in Teilen bei den Ländern (z.B. Regionalplanung). Wir diskutieren natürlich im Rahmen der Stadtentwicklungspolitik aber auch der Nationalen Nachhaltigskeitsstrategie die Probleme in der interkommunalen Zusammenarbeit, unsere Handlungsmöglichkeiten sind jedoch gering. Das hat aber unsere Verfassung so gewollt, und ich halte diese Autonomie der kommunalen Ebene für ein sehr hohes Gut. Die meisten Probleme lassen sich nur vor Ort identifizieren und auch lösen, ein zentralistischer Staat kann hier nur scheitern. Ob die kommunale Ebene objektiv (personell und finanziell) überhaupt in der Lage ist, ihre Aufgaben in unserem Sinne zu erfüllen, steht auf einem anderen Blatt Papier. Hier sehe ich erhebliche Demokratiedefizite und natürlich die lausige Finanzausstattung als wesentliche Hinderungsgründe. Darüber hinaus wird die interkommunale Zusammenarbeit durch die unter 1) beschriebene Hoffnungsstrategien regelmäßig unterlaufen, denn die Maßlatte, die an eine erfolgreiche Kommunalpolitik z.B. eines Bürgermeisters gelegt wird, richtet sich nach den alten Standards, die immer noch auf unbegrenztem Wachstum beruhen. Daher sind Kannibalisierungstendenzen am Beginn von Schrumpfungsprozessen eher noch ausgeprägter..
Mit herzlichen Grüßen
Peter Hettlich