Frage an Peter Danckert von Jens I. bezüglich Gesundheit
Sehr geehrter Herr Dr. Danckert,
Werden Sie dem geplanten GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz zustimmen?
Es ist vorgesehen die Bezahlung der ambulanten Kassenärzte nach der Wirtschaftlichkeit der Region abzustaffeln. Dies bedeutet für die Ostländer niedrigste Arztlöhne für weitere Jahre und dies bei einer älter und kränker werdenden Bevölkerung. Ich kenne keinen niedergelassenen Kollegen, der nicht schon über Ausstieg, Abwanderung oder vorzeitigen Ruhestand nachgedacht hätte. Das Land Brandenburg würde durch das Gesetz weiterhin Ärzte verlieren.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Jens Iffländer
Hautarzt
Schützenstraße 8
14943 Luckenwalde
Sehr geehrter Herr Dr. Iffländer,
ich bedanke mich für Ihre Frage und freue mich, dass Sie die Gelegenheit genutzt und mir über diese Internetseite Ihre Befürchtungen hinsichtlich der Ärzteversorgung im Land Brandenburg mitgeteilt haben. Wie Sie auch der öffentlichen Berichterstattung entnehmen können sind wir nach der Einbringung des Reformgesetzes in Bundestag und Bundesrat noch immer mitten in der Beratung. Erst in ungefähr vier Wochen dürfte ein endgültiger Gesetzentwurf vorliegen, zu dem man sich als Abgeordneter abschließend seine Meinung bilden muss.
Ich möchte Ihnen zunächst kurz die grundsätzliche Notwendigkeit struktureller Reformen im Gesundheitswesen erläutern. Das Gesundheitswesen in Deutschland ist modern und leistungsfähig. Es bietet allen Bürgerinnen und Bürgern Zugang zu einer hochwertigen Gesundheitsversorgung und beschäftigt zugleich rund 4,2 Millionen Angestellte und Selbständige. Das Gesundheitswesen ist damit eine dynamische Wirtschaftsbranche mit Innovationskraft und erheblicher ökonomischer Bedeutung für den Standort Deutschland.
Im internationalen Vergleich ist das deutsche Gesundheitswesen wettbewerbsfähig, und die Qualität der Gesundheitsversorgung wird hierzulande als hoch eingeschätzt. Allerdings belegen nationale Studien und internationale Vergleiche auch, dass die Mittel zur Gesundheitsversorgung nicht überall effizient eingesetzt werden, so dass es auch zu Über- und Unterversorgung kommt, die Qualität der Versorgung erheblich variiert und Ressourcen nicht nur an den Schnittstellen suboptimal eingesetzt werden.
Wegen der großen Herausforderungen, insbesondere des demografischen Wandels und des medizinischen und medizinisch-technischen Fortschritts, muss das Gesundheitswesen jedoch ständig weiterentwickelt werden. Das gilt sowohl für die Finanzierungs- wie für die Versorgungsseite. Wie Sie bereits festgestellt haben, wird in den nächsten zwei Jahrzehnten die Zahl älterer Menschen in Deutschland deutlich zunehmen. Damit werden voraussichtlich auch die Kosten für die medizinische Versorgung steigen. Eine grundlegende Reform der (Finanzierungs-)Strukturen und damit der Einnahmeseite im Gesundheitswesen muss verbunden sein mit einer Reform auf der Ausgabenseite, die sicherstellt, dass die Mittel effizient und effektiv eingesetzt werden. Wie Sie sicherlich nachvollziehen können, ist dies keine einfache Aufgabe, da in der öffentlichen Diskussion von der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV), der Privaten Krankenversicherung (PKV), von Ärzten und Apothekern, von den Ländern und den einzelnen Parteien sehr unterschiedliche Interessen mit jeweils eigennützigen Motiven geäußert werden.
Angesichts der Fülle von Themen bei der anstehenden Gesundheitsreform gehe ich in erster Linie auf die Sie als Arzt betreffenden Punkte ein. Sie werden sicherlich verstehen, dass ich mich bei diesem komplexen Thema mit meiner Kollegin Frau Dr. Margrit Spielmann, die darüber hinaus die Gesundheitsexpertin der Landesgruppe Brandenburg in der SPD-Bundestagsfraktion ist, verständigt habe. Ich kann Ihnen versichern, dass auch für uns der Erhalt unserer solidarischen Krankenversicherung und der Erhalt von medizinischen Versorgungsstrukturen für alle, auch für die kommenden Generationen, oberste Priorität hat.
Die ambulante ärztliche Versorgung stützt sich weiterhin auf freiberuflich tätige Hausärzte und Fachärzte sowie in besonderen Fällen auf die Behandlung im Krankenhaus. Im Interesse einer kontinuierlichen Behandlung der Patienten müssen die Zusammenarbeit der verschiedenen Arztgruppen und die Zusammenarbeit des ambulanten und stationären Sektors verbessert, die Übergänge erleichtert und die Qualität optimiert werden. Die Vergütungsregelungen sind deshalb so zu gestalten, dass diese Versorgungsziele erreicht werden. Damit Geld der Leistung folgen kann, müssen sektorale Budgets überwunden werden.
Das ärztliche Vergütungssystem wird vereinfacht und hoffentlich auch entbürokratisiert. Die von Budgets und floatenden Punktwerten geprägte Honorarsystematik wird durch eine Euro-Gebührenordnung abgelöst, die für den fachärztlichen und den hausärztlichen Versorgungsbereich jeweils nach unterschiedlichen Systematiken ausgestaltete Pauschalvergütungen in überschaubarer Zahl kombiniert mit wenigen erforderlichen Einzelleistungsvergütungen sowie Abstaffelungsregelungen vorsieht. Dadurch gewinnt das Vergütungssystem erheblich an Transparenz und Sie als Ärzte erhalten weitgehende Kalkulationssicherheit. Hierdurch wird zudem dem heute systemimmanenten Anreiz zur Erbringung und Abrechnung medizinisch nicht notwendiger Leistungen entgegengewirkt; die Leistungssteuerung wird dadurch verbessert.
Die bisherige Budgetierung durch Anknüpfung der Finanzvolumina der vertragsärztlichen Versorgung an die Grundlohnsumme wird beendet, d.h. Ihnen als Ärzte ist für zusätzliche Leistungen, die aus einem Anstieg der Morbidität der Versicherten herrühren, mehr Honorar zur Verfügung zu stellen. Die Kosten- und Mengensteuerung erfolgt durch entsprechende vertragliche Vereinbarungen im künftigen Vergütungssystem.
Auf Bundesebene werden künftig die Rahmenvorgaben für die Ausgestaltung einer Euro- Gebührenordnung festgesetzt: Dazu werden auf Grundlage sachgerechter Stichproben bei Arztpraxen auf betriebswirtschaftlicher Basis bundeseinheitliche Bewertungsgrundlagen für vertragsärztliche Leistungen sowie bundeseinheitliche Orientierungswerte (in Euro) ermittelt. Die Bewertungsgrundlagen sind in regelmäßigen Abständen, die bundeseinheitlichen Orientierungswerte sind jährlich unter Berücksichtigung bestimmter Indikatoren (z.B. allgemeine Kostenentwicklung) anzupassen. Aus den jeweils aktuellen Größen wird ein Bundes-Preisniveau (in Euro) ermittelt.
Die Vertragspartner auf der Landesebene (KVen, Krankenkassen) können in jährlich stattfindenden kassenartenübergreifenden Verhandlungen Zu- oder Abschläge von diesem Preisniveau vereinbaren, um insbesondere landesbezogenen Besonderheiten bei der Kosten- und Versorgungsstruktur Rechnung zu tragen. Diese Zu- und Abschläge dürfen nicht nach Arztgruppen differenziert werden, d.h. die bundeseinheitlichen Bewertungsgrundlagen können auf der Landesebene nicht unterlaufen werden. Das Ergebnis dieser regionalen Vereinbarungen ist eine Euro-Gebührenordnung, die Ihnen als Ärzte vorab bekannt zu geben ist und auf deren Grundlage die vertragsärztlichen Leistungen in der Region grundsätzlich zu vergüten sind.
Auf Bundesebene sind unter Berücksichtigung von Grenzkostenaspekten darüber hinaus Regelungen vorzugeben, nach denen die Leistungen einer Praxis ab einer bestimmten Leistungsmenge (Break-even-point), ab welcher die Fixkosten einer Standardpraxis gedeckt sind, mit abgestaffelten Preisen zu vergüten sind. Das heißt die Leistungen, die ein Arzt nach diesem "break-even-point" erbringt, werden ihm mit abgestaffelten Preisen vergütet, die seine Grenzkosten decken. Diese Abstaffelungsregelungen beziehen sich auf das von einer Arztpraxis insgesamt erbrachte Leistungsvolumen. In jedem Fall sind sie auf betriebswirtschaftlicher Grundlage zu ermitteln und auf regionaler Ebene zwingend umzusetzen, d.h. die regionalen (sehr stark unterschiedlich ausgestalteten) Honorarverteilungsregelungen (HVV) entfallen. Zudem sind die Abstaffelungen Bestandteil der dem Arzt vorab bekannt zu machenden Euro-Gebührenordnung.
Das neue Vergütungssystem wird in ein vorab auf der Landesebene zu vereinbarendes Finanzvolumen (Gesamtvergütung) eingebettet. Es muss grundsätzlich gewährleistet bleiben, dass morbiditätsbedingter Mehrbedarf durch die Krankenkassen zu den vorab bekannten Preisen vergütet wird. Das vertraglich vereinbarte Finanzvolumen müsste dann sowohl die Leistungen, die zu Festpreisen vergütet werden als auch die Leistungen, die abgestaffelt vergütet werden, umfassen und morbiditätsbedingte Mehrleistungen müssten von den Kassen zusätzlich arztindividuell vergütet werden. Wie dies im Einzelnen zu gewährleisten ist (sich dadurch ergebende Preisabschläge etc.), ergibt sich durch die Konkretisierung der Systemausgestaltung. Leistungen und Vergütungen bei Einzelverträgen sind mit der Gesamtvergütung zu verrechnen. Zusätzliche Leistungen und Vergütungen sind außerhalb der Gesamtvergütung zu finanzieren. Unstrittig ist, dass das Finanzvolumen auf der Grundlage sachgerechter und mit dem RSA kompatibler Morbiditätskriterien (z.B. Alter, Geschlecht, Anzahl der Versicherten) jährlich angemessen fortentwickelt werden muss. Bei der Fortschreibung des Finanzvolumens sind auch die Verlagerung stationärer Leistungen in den ambulanten Sektor und die Aufnahme neuer Leistungen in den Leistungskatalog hinreichend zu berücksichtigen. Bei dieser Regelung handelt es sich somit um kein Praxisbudget.
Für die hausärztlichen Leistungen sind gegebenenfalls nach Alter und Geschlecht differenzierte Versichertenpauschalen (pro Quartal) vorzusehen, gegebenenfalls ergänzt um Einzelleistungen für besonders förderungswürdige Leistungen (z.B. Hausbesuche, Präventionsleistungen). Die fachärztlichen Leistungen werden nach Arztgruppen differenziert vergütet. Dies erfolgt auf der Grundlage von Grund- und Zusatzpauschalen, wobei die Zusatzpauschalen anhand besonderer Leistungs-, Struktur- und/ oder Qualitätsmerkmale der Praxen (Praxisbesonderheiten von einer Arztpraxis nachgewiesene besondere Zusatzqualifikation etc.) differenziert werden können. Ergänzt wird dies um bis zu 20 diagnosebezogene Pauschalen je Facharztgruppe bei Diagnosen, die einen erheblichen therapeutischen Aufwand bedeuten. Sofern man sich auf andere Risikostrukturausgleich-Kriterien einigt, sind diese analog bei der Fortentwicklung des Finanzvolumens zu berücksichtigen. Die Abrechnung der diagnosebezogenen Pauschalen ersetzt die Zusatzpauschale in diesen Fällen. Zusatzpauschalen und diagnosebezogene Pauschalen werden ab einer bestimmten gesamten Leistungsmenge einer Praxis abgestaffelt. In jedem Falle sind sowohl im hausärztlichen als auch im fachärztlichen Bereich Einzelleistungsvergütungen nur noch in streng einzugrenzenden Ausnahmefällen (sehr seltene, auf jeden Fall zu fördernde und/oder sehr teure Leistungen) vorzusehen. Bei der Ausgestaltung der Komplexgebühren sind auch Regelungen zu treffen, die einer Abschiebung von ?zu teuren? Patienten entgegenwirken (z.B. Honorarabschläge bei Überweisungen innerhalb der gleichen Arztgruppe). Für ambulante Leistungen unabhängig vom Ort der Erbringung (niedergelassene Praxis oder Krankenhaus) gelten gleiche Preise.
Im neuen Vergütungssystem zahlt jede Krankenkasse unabhängig von ihrer Kassenart grundsätzlich den gleichen Preis für die ärztliche Leistung. Dadurch wird sichergestellt, dass das Finanzvolumen, welches eine Krankenkasse zur Versorgung ihrer Versicherten aufwenden muss, umso höher ist, je mehr Leistungen anfallen bzw. je aufwendiger die einzelnen Leistungen sind. Die Preisdifferenzierungen, die bei den regionalen Vereinbarungen bestimmt werden können, gelten jeweils gleichermaßen für alle Krankenkassen, deren Versicherte von Ärzten in dieser Region betreut werden. Auch hier ist also die Gleichbehandlung der Kassen gewährleistet. Diese Bedingung muss grundsätzlich auch dann gewährleistet sein, wenn das neue Vergütungssystem mit einer Steuerung über ein vorab zu vereinbarendes regionales Finanzvolumen arbeitet. In diesem Fall muss das jeweilige Finanzvolumen auf der Grundlage gleicher und sachgerechter Kriterien weiterentwickelt werden.
Die Zuschläge bei besonderer Qualität sind in den bundeseinheitlichen Rahmenvorgaben der Euro-Gebührenordnung zu definieren, um auch hier eine einheitliche und transparente Vorgehensweise zu gewährleisten. Für die hausärztlichen Versicherten- bzw. fachärztlichen Komplexpauschalen könnten jeweils Grundpauschalen (z.B. Konsultationspauschalen) definiert werden, die in jedem Behandlungsfall zu zahlen sind und die bei Einhaltung bestimmter Qualitätskriterien durch Zuschläge ergänzt werden. Die Überprüfung, ob eine Arztpraxis die Kriterien zur Abrechnung dieser Qualitätszuschläge im Einzelfall erfüllt, erfolgt im Rahmen des Abrechnungsverfahrens durch die Krankenversicherung.
Darüber hinaus sieht das von der Großen Koalition beschlossene Vertragsarztrechtsänderungsgesetz (VÄndG), das am 27. Oktober 2006 vom Deutschen Bundestag in 2./3. Lesung beschlossen wurde und dem am 24. November der Deutsche Bundesrat zugestimmt hat, zahlreiche Erleichterungen der vertragsärztlichen Leistungserbringung vor. So haben Ärztinnen und Ärzte in Zukunft mehr Möglichkeiten, zu entscheiden, wo und wie sie ihre ärztliche Tätigkeit ausüben. Zudem enthält das Gesetz Neuregelungen, die dazu dienen, regionalen Versorgungsproblemen, wie Sie sie für Ostdeutschland und insbesondere Brandenburg befürchten, entgegenzuwirken.
Im Einzelnen enthält das Gesetz folgende Regelungen: Der Versorgungsauftrag, der aus der Zulassung resultiert, kann auf die Hälfte einer hauptberuflichen Tätigkeit beschränkt werden (sog. Teilzulassung). Vertragsärzte haben die Möglichkeit, gleichzeitig auch als angestellte Ärzte in Krankenhäusern zu arbeiten und die Anstellungsmöglichkeiten von Ärzten und Zahnärzten werden verbessert. Die Altersgrenze für den Zugang zur vertragsärztlichen Tätigkeit von 55 Jahren wird ganz aufgehoben und die Altersgrenze für das Ende der vertragsärztlichen Tätigkeit von 68 Jahren wird in unterversorgten Gebieten aufgehoben. Die vertragsärztliche Tätigkeit an weiteren Orten ? auch den Bezirk einer Kassenärztlichen Vereinigung überschreitend ? wird erleichtert (sog. Zweigpraxen) und örtliche und überörtliche Berufsausübungsgemeinschaften zwischen allen zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassenen Leistungserbringern ? auch den Bezirk einer Kassenärztlichen Vereinigung überschreitend ? sind in Zukunft zulässig.
Mit den bisherigen Regelungen in den Eckpunkten zur Gesundheitsreform soll sichergestellt werden, dass die verschiedenen Einnahmesituationen der GKVen in den unterschiedlich leistungsstarken Bundesländern ausgeglichen werden. Dies scheint meiner Ansicht nach auch einer der Gründe zu sein, warum insbesondere die süddeutschen Bundesländer an dieser Stelle Protest anmelden. Auch hier wird sich in den Diskussionen der nächsten Wochen ergeben, ob das Prinzip einer solidarischen Regelung für alle Versicherten erhalten bleibt. Davon könnten insbesondere die neuen Bundesländer profitieren. Sehr geehrter Herr Dr. Iffländer, in der SPD-Bundestagsfraktion werden wir im weiteren Verlauf der Gesetzgebung mit großer Aufmerksamkeit die Folgen der Gesundheitsreform für die wirtschaftliche Situation der Ärzte beobachten. Auch mit der Kassenärztlichen Vereinigung Brandenburg erörtern wir diese Problematik. Für Ihren Hinweis danke ich Ihnen herzlich.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Peter Danckert