Frage an Peter Alberts von Nora Linn S. bezüglich Wissenschaft, Forschung und Technologie
Sehr geehrter Herr Alberts,
ich bin Student in einem der ersten Bachelor-Jahrgänge meiner Uni. In der Fachschaft versuchen wir in Zusammenarbeit mit den Dozenten diesen Studiengang möglichst sinnvoll zu gestalten, jedoch herscht allgemeiner Konsens darüber, dass der Bachelor gegenüber dem Diplom erhebliche Nachteile hat.
So hat sich unter anderem der Leistungsdruck auf die Studenten stark erhöht, da sämtliche Module benotet werden und für die Abschlussnote zählen. Ein Wechsel der Universität ist schon innerhalb von NRW oft schwierig und Auslandsaufenthalte werden durch den engen Studienplan erschwert. Außerdem verlängert sich nach bisherigen Erfahrungen die Studiendauer, da im jetzigen sechsten Semester durch die größere Belastung nur noch weniger als 1/3 der Studenten innerhalb der Regelstudienzeit sind.
Mit welchen konkreten (!) Maßnahmen können die Rahmenbedingungen für den Bachelor so verbessert werden, dass die ursprünglichen Ziele erreicht werden können?
Sehr geehrte Frau Strotjohann,
vielen Dank für Ihre Frage, die mich ein wenig in die Bredouille bringt, und zwar aus drei Gründen.
Erstens habe ich hier bei kandidatenwatch.de schon an anderer Stelle geschrieben, dass ich kein Bildungspolitiker bin und auch nicht vorhabe, einer zu werden. Mit diesem wichtigen Thema beschäftigen sich in meiner Partei und auch in der zu wählenden neuen grünen Fraktion im Europäischen Parlament andere KollegInnen. Außerdem hat das Europäische Parlament in dieser Frage nicht viel zu bestimmen - die Ausgestaltung der Hochschulbildung obliegt in Deutschland den Bundesländern, und darin liegt auch ein gewichtiger Teil des Problems. Ich halte generell viel vom Föderalismus, aber die deutsche Kleinstaaterei im Bildungssektor ist nur noch kontraproduktiv. Das Ziel des Barcelona-Prozesses war es, die Bildungsabschlüsse europaweit anzugleichen und damit mehr Flexibilität für Studierende zu ermöglichen. Eine schöne Idee, die in der Umsetzung aber zumindest in Deutschland eher zu den von Ihnen zutreffend beschriebenen Verschlechterungen geführt hat. Wir haben jetzt nicht nur keine bessere europäische Flexibilität, es hapert sogar innerhalb Deutschlands an der Realisierbarkeit von Studienwechseln von einem Bundesland zum anderen, manchmal sogar zwischen Universitäten oder Hochschulen des gleichen Bundeslandes.
Zweitens bin ich mit Ihrer Frage in der Bredouille, weil ich in dieser Frage in meiner Partei eine Minderheitenposition vertrete. Ich spreche hier also ausdrücklich nur für mich selbst und nicht für die Grünen insgesamt. Ich bin nämlich wie Sie der Meinung, dass das alte Diplom bzw. M.A.-System besser war, und diese Meinung ist leider in meiner Partei nicht mehrheitsfähig. Das alte System hat den Studierenden mehr Freiheiten gelassen, ich selbst habe diese Freiheiten noch extensiv nutzen können und mich z. B. in meinem Slawistik-Studium nicht nur mit zwei slawischen Sprachen, wie es der Studiengang vorsah, beschäftigt, sondern mit vieren. Das hat mein Studium verlängert, aber geschadet hat es mir nicht, ganz im Gegenteil. Ich halte diese Fixierung auf ein möglichst schnelles Studium auch für kontraproduktiv. Damit geben wir den Humboldtschen Anspruch von der Universität als Stätte umfassender Bildung auf und degradieren die Hochschulen zu Stätten der Ausbildung für den Berufsmarkt. Gerade im geisteswissenschaftlichen Bereich (in anderen vermutlich auch, die kann ich aber nicht aus eigener Erfahrung überblicken) sind deutsche Universitäten oft noch Weltspitze (gewesen), und zwar nicht zuletzt wegen den Möglichkeiten für alle Studierende, sich auch intensiver und über Regelstudienzeiten hinaus mit Wissenschaft zu beschäftigen. Die von Ihnen zu recht kritisierte Verschulung der B.A.-Studiengänge verunmöglicht das. Außerdem hat die Verstärkung des Anspruches an die Hochschulen, ökonomisch verwertbare AbsolventInnen für den Arbeitsmarkt hervorzubringen und im Zweifel den Forschungsaspekt von den Studierenden eher fernzuhalten, dazu geführt, dass gerade in den kleinen Disziplinen, den etwas boshaft oft so genannten "Orchideenfächern", eine beängstigende Schließungswelle von Instituten und Lehrstühlen eingesetzt hat. Das habe ich nicht nur innerhalb der Grünen kritisiert (leider oft nicht mit allzu großem Erfolg), für meinen Fachbereich habe ich auch deswegen eine Art interdisziplinäre Bundesfachschaft der Osteuropa-relevanten Fächer an deutschen Hochschulen mitgegründet, um Studierenden der kleineren Fächern die Möglichkeit zur bundesweiten Vernetzung und damit effektiveren studentischen Engagement für den Erhalt ihrer Fachrichtungen und Institut zu geben. Diese Initiative habe ich 2002 gemeinsam mit einem guten Freund in Münster gegründet und sie existiert und arbeitet immer noch als bundesweiter Dachverband und Verein von Osteuropa-interessierten Studierenden: www.ostblick-deutschland.de. Diesem Verein gehöre ich immer noch als Fördermitglied an und unterstütze ihn, wo ich kann. Liebe Grüße an dieser Stelle an die aktiven OstblickerInnen - macht weiter so!
Drittens bin ich in der Bredouille, weil Sie nach konkreten Verbesserungsvorschlägen fragen. Aus den beiden anderen Gründen geht hervor, warum ich Ihnen damit nicht dienen kann. Als Europaparlamentarier - im Falle meiner Wahl - wäre ich dafür nicht zuständig, es ist nicht mein Fachgebiet (seit meinem intensiveren Engagement bei Ostblick hat sich die Hochschullandschaft mittlerweile sehr geändert und ich bin nicht mehr aktuell im Thema), und ich halte generell nicht viel vom B.A. und würde eine Rückkehr zum alten System bevorzugen. Das zu erreichen ist aber leider recht unwahrscheinlich.
Lassen Sie sich bitte trotzdem nicht unterkriegen, setzen Sie sich nicht dem Wahn aus, unbedingt so schnell wie möglich mit dem Studium fertig zu werden und engagieren Sie sich weiter in der Fachschaft oder anderen Studierendeninitiativen. Das ist alles an konkreten Ratschlägen, die ich Ihnen dazu geben kann.
Mit freundlichen Grüßen
Peter Alberts