Frage an Peter Alberts von Veronika W. bezüglich Europapolitik und Europäische Union
Sehr geehrter Herr Alberts,
einer vorhergegangenen Frage entnehme ich, dass sie sich schon mit der Flüchtlingsproblematik im Mittelmeer beschäftigt haben. Die angelaufenen Staaten wie Italien oder Malta sind von der Menge ankommender Menschen verständlicherweise überfordert. Die Staaten ohne Mittelmeerküste halten sich vornehm zurück. Nun träumen die Flüchtlinge aber von Europa im allgemeinen und nicht ausschließlich von Südeuropa. Wie würden Sie mit diesen notleidenden Menschen verfahren? Wie sähe ihrer Ansicht nach ein Angemessenes europäisches Handeln zu Gunsten aller Beteiligten aus?
Sehr geehrte Frau Wehner,
vielen Dank für Ihre Frage. Sie sprechen ein sehr wichtiges und sehr komplexes Thema an, das sich hier nur unzureichend und nicht komplett behandeln lässt. Ich will versuchen, die in meinen Augen wichtigsten Punkte anzusprechen.
Ganz grundsätzlich gilt natürlich, dass ohne eine wirksame Bekämpfung der Fluchtursachen das Flüchtlingselend nicht zu stoppen sein wird. Deswegen muss Europa Vorreiterin für fairen und gerechten Welthandel werden; muss die "Länder des Südens" im Wege der Entwicklungszusammenarbeit (die quantitativ deutlich verstärkt werden muss) dabei unterstützen, eine nachhaltige Entwicklung für eigenen wirtschaftlichen Wohlstand zu erfahren: muss aufhören, Raubbau an den Rohstoff- und Nahrungs-Ressourcen beispielsweise Afrikas zu betreiben; und mus sich mit ziviler Konfliktprävention dort vor Ort engagieren, wo Interessenskonflikte - vielfach angeheizt von lokalen Warlords, die in mafiös-kriminellen Strukturen die örtliche Rohstoffe ausbeuten und auf den europäischen Markt bringen - in Gewalt umzuschlagen drohen. Das ist natürlich eine langfristige Perspektive, die nicht die Probleme von heute löst. Trotzdem müssen wir sie weiter verfolgen, wenn wir die Verhältnisse tatsächlich dauerhaft und nachhaltig verbessern wollen.
Mittelfristig denke ich, dass Europa nicht ohne Einwanderung auskommen wird, allein schon, um unseren demographsichen Wandel zu begegnen. Deswegen glaube ich, dass großzügige Aufnahmequoten geschaffen werden müssen, die Menschen aus anderen Teilen der Welt eine legale Möglichkeit zur Einwanderung, aber auch zur Ketten- und temporären Migration eröffnet.
Kurzfristig brauchen wir sofort drei Maßnahmen:
Frontex, die Grenzagentur der EU, muss damit aufhören, im Meer aufgegriffene Flüchtlinge wieder in afrikanische Länder außerhalb der EU zurückzubringen. Diese Menschen setzen sich dann nur auf den nächsten Seelenverkäufer und ertrinken vielleicht beim zweiten oder dritten Versuch. Davor die Augen zu verschließen, oder schlimmer noch: hinzusehen und den Tod dieser Menschen in Kauf zu nehmen, ist unmenschlich und unerträglich. Diese Menschen müssen nach Europa gebracht werden und müssen dort auch bleiben dürfen, sonst schicken wir sie in den Tod.
Wir brauchen deswegen ebenfalls schnell eine neue Definition von Fluchtursachen, die Menschen einen legalen Bleibestatus in der Europäischen Union ermöglicht. Für mich ist es selbstverständlich völlig nachvollziehbar und sollte deswegen auch legal anerkannt sein, dass Menschen, die vor bedrohlicher Armut aus Regionen, die von Naturkatastrophen (z. B. Dürre) betroffen sind, den gleichen Status haben sollten, wie Kriegs- oder Bürgerkriegsflüchtlinge. Wenn ein Mensch in seiner Heimat keine Lebensperspektive mehr hat, dann ist sie oder er ein Flüchtling und sollte bei uns legal Aufnahme finden. Der Klimawandel wird dieses Problem noch einmal erehblich verstärken, deswegen ist aktive Klimaschutzpolitik auch ein Teil zur Lösung des Flüchtlingselends. Und selbstverständlich haben Sie recht, dass wir die südlichen EU-Länder nicht mit der Aufnahme der Flüchtlinge alleine lassen dürfen. Auch Deutschland und andere Länder in der Mitte oder im Norden der EU müssen ihren solidarischen Teil erfüllen und Menschen Aufnahme gewähren.
Mit freundlichen Grüßen
Peter Alberts