Frage an Paul Raphael Wengert von Matthias M. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Dr. Wengert,
wie stehen Sie zur Idee des bedingungslosen Grundeinkommens?
mit freundlichen Grüßen
Matthias Magg
Sehr geehrter Herr Magg,
zunächst bitte ich Sie um Nachsicht dafür, dass ich Ihnen erst heute antworte. Wir hatten im Landtag umfangreiche Beratungen zum Doppelhaushalt 2011/2012 und darüberhinaus hatte sich wegen einer dienstlichen Auslandsreise einiges an Arbeit angestaut.
Zu Ihrer Frage möchte ich Ihnen folgendes mitteilen:
1. Das bedingungslose Grundeinkommen ist eine staatliche Transferleistung ohne Gegenleistung und ohne Bedürftigkeitsprüfung. Es würde alle anderen steuerfinanzierten Abgabeleistungen wie Sozialhilfe, Arbeitslosengeld, Ausbildungsförderung oder Kindergeld ersetzen. Die am häufigsten diskutierten Modelle sehen entweder eine staatliche Transferzahlung an alle BürgerInnen oder eine "negative" Einkommenssteuer vor, von der nur Gering- oder Nichtverdiener profitieren würden.
2. Die Befürworter des bedingungslosen Grundeinkommen führen ins Treffen, dass durch eine solche Transferzahlung die Freiheit des Einzelnen gestärkt würde. Gesellschaftlich notwendige Tätigkeiten (Hausarbeit, Kindererziehung, Pflege), für die aber keine oder nur ein geringes Markteinkommen zu erzielen ist, würden so auch finanziell anerkannt. Angst vor und Stigmatisierung durch Arbeitslosigkeit würden reduziert, was Mobilität und Risikobereitschaft von ArbeitnehmerInnen erhöhen würde. Bisher unterbezahlte Tätigkeiten (Pflege) müssten besser entlohnt werden, weil sie sonst niemand mehr ausüben würde. Ein bedingungsloses Grundeinkommen würde die erforderlichen Prozesse der Sozialverwaltung erheblich reduzieren, und es würde das Steuersystem durch den Wegfall von Freibeträgen und anderen Vergünstigungen vereinfachen.
3. Gegen das bedingungslose Grundeinkommen wird angeführt, dass der Anreiz insbesondere zur Ausübung von schlechter bezahlten Tätigkeiten sinke und mehr BürgerInnen zur Untätigkeit verleitet würden. Die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens wäre ein gesellschaftliches Großexperiment, dessen Folgen man nicht abschätzen könne. Profitieren würden davon Gutverdiener, und Geringverdiener würden besser verwaltet und einfach ruhig gestellt. Die Sozialverwaltung könnte nicht einfach abgeschafft werden, da der erhöhte Finanzbedarf z.B. von behinderten oder pflegebedürftigen Personen weiterhin geprüft werden müsste. Wenn das bedingungslose Grundeinkommen nach dem Prinzip der Anwesenheit in Deutschland gezahlt würde, wäre das ein Anreiz für Armutsmigration. Wenn hingegen nur deutsche StaatsbürgerInnen davon profitierten, würde das zentrale Ziel der Armutsbekämpfung nicht erreicht.
4. Stimmen für das bedingungslose Grundeinkommen kommen vor allem von Verfechtern eines libertären Gesellschaftsmodells bei Bündnis 90 / die Grünen, in der CDU und zum Teil auch in der Partei Die Linke. SPD und Gewerkschaften sehen dieses Transfermodell kritisch als trojanisches Pferd des Neoliberalismus und "Stilllegungsprämie" mit der ganze Bevölkerungsteile als nutzlos abgestempelt und mit Geld abgefunden würden. Ein bedingungsloses Grundeinkommen würde zur weiteren Flexibilisierung von Arbeitsbedingungen missbraucht werden, und es würde das Ziel einer Erhöhung der Frauenerwerbsquote konterkarieren. Die erforderlichen riesigen Summen würden in anderen Bereichen, wie der öffentlichen Infrastruktur fehlen.
Ich teile mit meiner Partei die Kritik an einem bedingungslosen Grundeinkommen.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Paul Wengert, MdL