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Paul Lehrieder
CSU
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Frage von Joachim Z. •

Frage an Paul Lehrieder von Joachim Z. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Lehrieder,

in einem Artikel von Heise-Online ist zu lesen, dass sie sagten: "Überwachungsmethoden dieser Art "sind unwürdig und mit unserem Rechtsstaat nicht vereinbar"."

Sie haben für die Vorratsdatenspeicherung gestimmt, die nichts anderes ist, als das, was die Telekom gemacht hat, bzw. zu dem führt, was die Telekom gemacht hat und nun empören Sie sich.

Wie können Sie innerhalb kürzester Zeit Ihre Ansichten der Art wechseln?

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Antwort von
CSU

Sehr geehrter Herr Zuehl,

vielen Dank für Ihr Schreiben vom 30. Mai dieses Jahres. Sie zitieren mich darin mit der Aussage zu den Vorkommnissen bei der deutschen Telekom mit den Worten "Überwachungsmethoden dieser Art sind unwürdig und mit unserem Rechtsstaat nicht vereinbar" und stellen dies meinem Votum für die Vorratsdatenspeicherung gegenüber.

Eine ähnliche E-Mail hat mir Herr Frank Taterka über abgeordnetenwatch zukommen lassen. In meiner Antwort an ihn habe ich meine Position zu beiden Problemfeldern ausführlich geschildert. Ich gebe Sie Ihnen im Folgenden zur Kenntnis:

Die Rechtspolitik bewegt sich im Bereich der Telekommunikationsüberwachung in einem Spannungsfeld. Dem Grundrechtsschutz der Bürger steht die ebenfalls verfassungsrechtlich gebotene Pflicht des Staates zu einer effektiven Strafverfolgung gegenüber. Das Bundesverfassungsgericht hat immer wieder das öffentliche Interesse an einer möglichst vollständigen Wahrheitsermittlung im Strafverfahren betont und die wirksame Aufklärung gerade schwerer Straftaten als einen wesentlichen Auftrag des staatlichen Gemeinwesens hervorgehoben. Grundrechtsschutz der Bürger und Strafverfolgungsinteresse des Staates müssen deshalb in einen vernünftigen Ausgleich gebracht werden. Ermittlungsinstrumente sollten deshalb aus Sicht der CSU-Landes gruppe im Deutschen Bundestag nicht weiter beschränkt werden, als dies verfassungsrechtlich geboten ist.

Die so genannte Vorratsdatenspeicherung ist ein solches Ermittlungsinstrument, das für die wirksame Aufklärung gerade schwerer Straftaten unabdingbar ist. In der Diskussion hierüber wird bedauerlicherweise vielfach übersehen, dass bereits nach der gegenwärtigen Rechtslage Telekommunikationsunternehmen Verbindungsdaten (Verkehrsdaten) zu Abrechnungszwecken speichern dürfen, Gesprächsinhalte dürfen in diesem Zusammenhang bislang und auch künftig nicht gespeichert werden. Über diese Daten haben die Telekommunikationsunternehmen nach den Vorschriften der Strafprozessordnung den Strafverfolgungsbehörden Auskunft zu erteilen, wenn es um die Verfolgung schwerer Straftaten oder von Straftaten, die mittels Telekommunikation begangen wurden, geht. Die Anordnung der Erteilung einer Auskunft ist an strenge rechtsstaatliche Voraussetzungen (u.a. konkreter, durch bestimmte Tatsachen begründeter Verdacht, keine anderweitige Möglichkeit der Aufklärung, Richtervorbehalt) geknüpft.

Das Instrument der Verbindungsdatenabfrage hat sich in der Vergangenheit als unverzichtbar bei der Bekämpfung und Aufdeckung schwerer Kriminalität erwiesen. Mit der stetigen Zunahme so genannter "Flatrate-Tarife", bei denen eine Speicherung von Verbindungsdaten zu Abrechnungszwecken durch die Telekommunikationsunternehmen nicht mehr erforderlich ist, drohte es mehr und mehr seine Wirksamkeit zu verlieren. Die Möglichkeit, alleine durch Nutzung solcher Flatrate-Tarife Strafverfolgungsmaßnahmen zu erschweren oder zu vereiteln, dürfte insbesondere der organisierten Kriminalität nicht verborgen geblieben sein. Bereits deshalb war es erforderlich, eine entsprechende Speicherungsverpflichtung der Telekommunikationsunternehmen gesetzlich festzulegen, unabhängig davon, ob diese Daten zu Abrechnungszwecken benötigt werden. Die bisherigen gesetzlichen Schutzvorkehrungen sind dabei uneingeschränkt beibehalten worden.

Nicht zuletzt diese Erwägungen haben die Bundesregierung bewogen, der Richtlinie Nr. 2006/24/EG des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 15. März 2006 über die Vorratsspeicherung von Daten, die bei der Bereitstellung öffentlich zugänglicher elektronischer Kommunikationsdienste oder öffentlicher Kommunikationsnetze erzeugt oder verarbeitet werden, zuzustimmen. Die Bundesregierung hat dies mit Unterstützung des Deutschen Bundestages getan. In dem Entschließungsantrag der Fraktionen von CDU/CSU und SPD vom 07. Februar 2006, der mit der Mehrheit der Stimmen des Deutschen Bundestages angenommen wurde, wurde die Bundesregierung aufgefordert, dem Text der Richtlinie bei der abschließenden Befassung des Rates der Europäischen Union zuzustimmen. Auch der Deutsche Bundestag hat in diesem Beschluss ausdrücklich darauf hingewiesen, dass ein Zugriff auf Telekommunikationsverkehrsdaten insbesondere bei Straftaten mit komplexen Täterstrukturen, wie sie für den internationalen Terrorismus und die organisierte Kriminalität kennzeichnend sind, und bei mittels Telekommunikation begangenen Straftaten unverzichtbar ist.

Dem Deutschen Bundestag war dabei bewusst, dass das hierfür gewählte Instrument der Richtlinie möglicherweise nicht ganz frei von kompetenzrechtlichen Risiken ist. Er hat sich dennoch dafür ausgesprochen, weil es sich insoweit um einen Kompromiss der EU-Mitgliedstaaten gehandelt hat (das Instrument des Rahmenbeschlusses war innerhalb der EU-Mitgliedstaaten nicht mehrheitsfähig) und es jedenfalls gelungen ist, in der Richtlinie Regelungen mit Augenmaß (z.B. keine Speicherung von Gesprächsinhalten, Beschränkung der Speicherungsfrist auf 6 Monate, Datenabfrage nur bei Verdacht erheblicher oder mittels Telekommunikation begangener Straftaten) zu erreichen. Nur deshalb, weil die Bundesregierung diesen Weg der Richtlinie mitgetragen hat, hatte sie die Möglichkeit, diese Kautelen im Text der Richtlinie zu verankern.

Mit dem Gesetz zur Umsetzung dieser EU-Richtlinie werden die oben genannten Vorgaben des Deutschen Bundestages vom 07. Februar 2006, mit denen sowohl dem Interesse an einer effektiven Strafverfolgung als auch dem Schutz der Grundrechte in ausgewogener Weise Rechnung getragen wird, eingehalten: Von den Telekommunikationsunternehmen dürfen nur die Verkehrsdaten gespeichert werden. Die Speicherungsfrist ist auf 6 Monate begrenzt und liegt damit am untersten Ende des durch die Richtlinie eröffneten Handlungsspielraums. Die Anordnung der Erteilung einer Auskunft über die Verkehrsdaten ist nach wie vor an strenge rechtsstaatliche Voraussetzungen (u.a. konkreter, durch bestimmte Tatsachen begründeter Verdacht einer Straftat von erheblicher Bedeutung oder einer Straftat, die mittels Telekommunikation begangen wurde; keine anderweitige Möglichkeit der Aufklärung; Richtervorbehalt) geknüpft.

Eine anderweitige Verwendung dieser Daten ist nur zu Zwecken der Abwehr erheblicher Gefahren für die öffentliche Sicherheit möglich, wenn dies gesetzlich unter Beachtung der Verwendungsbeschränkungen im Telekommunikationsgesetz festgelegt ist. Eine Verwendung beispielsweise zur Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche ist nicht zulässig.

Die Vorfälle bei der Telekom haben weder von der Sache, noch vom politischen Zusammenhang her etwas mit den gesetzlichen Neuregelungen zur Vorratsdatenspeicherung von Verbindungsdaten zu tun. Letztere sind erst seit 1. Januar 2008 in Kraft, während die Sachverhalte bei der Deutschen Telekom AG die vergangenen Jahre betreffen. Von den Vorgängen betroffen sind daher nur Daten, welche die Kommunikationsunternehmen immer schon speichern und zu Abrechnungszwecken selbst nutzen durften. Auf die Telekomunikationsdaten, die zur Verfolgung schwerer und schwerster Straftaten für ein halbes Jahr gespeichert werden müssen, darf hingegen allein von Sicherheitsbehörden aufgrund eines richterlichen Beschlusses zugegriffen werden.

Was das Pro&Contra über weitergehende strafrechtliche Sanktionen gegen die Telekom anlangt, so werden die Ergebnisse der staatsanwaltlichen Ermittlungen weitere Erkenntnisse liefern. Womöglich stellen sich Regelungslücken heraus. Sollte dies nicht der Fall sein, brauchen wir sicherlich keinen symbolischen Gesetzgebungs-Aktionismus.

Jetzt können Sie natürlich sagen: Der Missbrauch (von privater Seite) an den einen Daten wird sich auch an den anderen Daten wiederholen. Doch wenn ein Mitarbeiter unbedingt Missbrauch treiben will, bedient er sich der ohnehin gespeicherten, "frischen" Daten für die Rechnungsstellung. Es macht keinen Sinn auf dieselben Daten, die in einem anderen Topf, dem Staat vorbehalten, gespeichert sind, zuzugreifen. Ähnlich einem Mitarbeiter, der Geld unterschlagen will: Warum sollte er den Tresor knacken, wenn das Geld auch in der unverschlossenen Schublade liegt?

Außerdem sollte nicht eine ganze Branche wegen den Verfehlungen in einer Firma mit Misstrauen gestraft werden. Es gibt auch wegen schlimmer Verfehlungen Einzelner keinen Grund, die Telekom ein für allemal als unzuverlässig abzuschreiben. Es liegt in der Verantwortung des Vorstandes, in Kooperation mit staatlichen Behörden organisatorische Vorkehrungen zum Ausschluss von Datenschutzverstößen zu treffen. Die dazu erforderliche Kraft traue ich ihm - und allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Konzerns - zu, weil die Datensicherheit im ureigensten Geschäftsinteresse der Firma liegt.

Mit freundlichen Grüßen

Paul Lehrieder MdB

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