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Patrick Kurth
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Frage von Volker S. •

Frage an Patrick Kurth von Volker S. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Kurth,

noch hoffe ich auf eine Antwort auf meine Frage vom 28.4.11, die ich aus aktuellem Anlass gerne noch ergänzen möchte. Meine bisherigen Fragen waren ja getrieben von dem Zweifel, ob angesichts der FDP-eigenen "Aufarbeitung" der DDR-Vergangenheit Ihre Angriffe auf DIE LINKE bzw. ihre Abgeordnetenkollegin Jochimsen dem eigenen moralischen Impetus genügen.

Nun haben die Historiker Christoph Wunnicke, Ehrhard Neubert und Mario Nieman der Enquetekommission des Landtags Brandenburg ein Gutachten zur DDR-Aufarbeitung der Parteien vorgelegt, dass ihre eigene unkritische Aussage "Die Aufarbeitung dieses Aspekts der Vergangenheit wurde in der FDP also sehr ernst genommen und hat offensichtlich gut funktioniert." mehr als fragwürdig erscheinen läßt. Das Gutachten bescheinigt der FDP u.a., dass nicht einmal ein innerparteilicher Konfliktfall eine Debatte zur Verantwortung der Liberalen in der DDR ausgelöst habe. Einzig der LINKE bescheinigt das Gutachten, sie sei intensiv und kritisch mit der eigenen Geschichte ins Gericht gegangen.

Würden Sie angesichts dieses Gutachtens möglicherweise doch einen Nachholbedarf in der Aufarbeitung der Vergangenheit der DDR-Liberalen sehen und sich selbst innerparteilich für eine solche Aufarbeitung einsetzen wollen?

Mit freundlichen Grüßen

Volker Schneider

Portrait von Patrick Kurth
Antwort von
FDP

Sehr geehrter Herr Schneider,

danke für Ihre weiteren Fragen. Hiermit beantworte ich Ihre Anfragen vom
28.04.2011 und 02.08.2011 gemeinsam.

Es ist in der Tat so, dass sich am 11. August 1990 die FDP (West), der Bund Freier Demokraten, der zu dem Zeitpunkt aus den ehemaligen Blockparteien LDPD und NDPD bestand, die Deutsche Forumpartei (DFP) sowie die FDP der DDR zur gesamtdeutschen FDP in ihrer heutigen Form zusammengeschlossen haben. Ihre Wortwahl, wonach die FDP die ostdeutschen Parteien "übernommen" habe, ist hingegen nicht richtig. Es war ein Zusammenschluss unter Gleichberechtigten und keine "Übernahme". Unabhängig davon stimmt Ihre Feststellung, dass die gesamtdeutsche FDP damit Rechtsnachfolgerin der genannten Parteien wurde. Auch Ihren angestellten Berechnungen unter Zugrundelegung des genannten Wikipedia-Eintrags kann und möchte ich gar nicht widersprechen. Vielmehr gilt hierzu nach wie vor, was ich Ihnen in meiner letzten Antwort geschrieben habe. Die FDP hat nie geleugnet, dass in den ehemaligen Blockparteien auch Stasi-Spitzel anzutreffen waren. Entscheidend ist vielmehr, dass keiner der von Ihnen in Bezug genommenen ehemaligen Stasi-Spitzel nach der Wende in der FDP Karriere gemacht hat. Dort, wo eine Stasi-Mitarbeit deutlich wurde, gab es sofortige personelle Konsequenzen. Es fand ein grundlegender Elitenwechsel in der ostdeutschen FDP statt. Und das ist der entscheidende Aspekt, der die FDP von der Partei unterscheidet, bei der bis heute immer wieder ehemalige Stasi-Mitarbeiter in hohen Positionen enttarnt werden. Von Bedeutung ist nicht die Situation am Ende der DDR. Entscheidend ist vielmehr, was in den letzten 22 Jahren daraus gemacht wurde. Und diesbezüglich kann nicht im geringsten davon die Rede sein, dass die FDP hier weit schlechter dastehen würde als andere Parteien.

Mit Ihrer Anfrage vom 02.08.2011 beziehen Sie sich auf das Gutachten "Personelle Kontinuität und Elitenwandel in den Parteien Brandenburgs" der Autoren Wunnicke, Neubert und Niemann. Auch ich habe dieses Gutachten mit großem Interesse zur Kenntnis genommen. Das Gutachten ist über weite Teile eine von mehreren ernstzunehmenden und fundierten Grundlagen für die Bewertung der Aufarbeitungsbemühungen der Parteien nach der Wende in Brandenburg. Allerdings möchte ich daran erinnern, dass von berufener Stelle auch massive methodische und handwerkliche Mängel des Gutachtens nachgewiesen wurden. (Stellungnahme von Prof. Dr. Klaus Schroeder, http://www.pnn.de/brandenburg-berlin/568137/ ) Dies ist insbesondere hinsichtlich der positiven Bewertung der Aufarbeitung durch die PDS/Die Linke, die Sie so hervorheben, der Fall. Beispielsweise die Schlussfolgerung, dass die PDS/Linke "offen mit ihrer DDR-Vergangenheit" umgehe, sei sehr fragwürdig und missverständlich, weil sie einzig darauf beruhe, dass enttarnte Mandatsträger ihre Vergangenheit lediglich dann erst nicht leugneten, wenn diese öffentlich wurde und es nicht mehr anders ging. Für einen offensiven, ehrlichen und offenen Umgang mit der eigenen Vergangenheit halte ich das nicht. Außerdem hebt das Gutachten den "Paradigmenwechsel" im Jahre 2009 positiv hervor, als die Linke erstmals einer Überprüfung von Landtagsabgeordneten auf eine MfS-Tätigkeit zugestimmt hat. Ich persönlich halte eine solche Haltung genau 20 Jahre nach der Wende für längst überfällig und keineswegs für ein Zeichen besonders gewissenhafter Aufarbeitungspraxis.

Wie Sie richtig feststellen, wirft das Gutachten der FDP in Brandenburg Mängel bei der Aufarbeitung der eignen Geschichte vor. Ich nehme das sehr ernst und will diese Vorwürfe nicht pauschal zurückweisen, auch wenn ich die Einschätzung nicht vollumfänglich teile und auch in dieser Hinsicht vereinzelte methodische Unsauberkeiten nicht auszuschließen sind. Sowohl der Brandenburger Landesverband der FDP als auch ich haben und werden sich natürlich weiterhin intensiv mit dem Gutachten auseinandersetzen. Wo es nötig sein sollte, werden bisherige Fehlentscheidungen und Versäumnisse korrigiert. Allerdings bleibe ich grundsätzlich bei meiner Einschätzung meines letzten Schreibens, dass die Aufarbeitung der Vergangenheit in der FDP insgesamt in Ostdeutschland seit der Wende sehr ernst genommen wurde und erfolgreich
war.

Ohne Zweifel haben meine Partei und ich die moralische Legitimität, die Haltung der Linken bzgl. Ihrer Vergangenheit und gegenüber dem DDR-Regime wiederholt zu kritisieren. Dies zeigen auch und insbesondere die Vorfälle rund um den 50. Jahrestag des Mauerbaus, die Sie sicher intensiv verfolgt haben. Es war unerträglich, wie wieder einmal so gut wie ausschließlich aus den Reihen der SED-Nachfolgepartei das DDR-Unrechtsregime verklärt und das Leid der Opfer verharmlost wurde. Der Gipfel war der unglaubliche Zynismus, mit dem die der Linken nahestehende Zeitung "Junge Welt" sich öffentlich für den Mauerbau bedankt (!) hat. All dies zeigt, dass vor allem eine Partei noch immer ein ungeklärtes Verhältnis zur eigenen DDR-Vergangenheit hat und dieses schleunigst grundlegend überdenken muss. Solange dies nicht der Fall ist, werde ich weiterhin mit aller Deutlichkeit diese Unzulänglichkeit kritisieren. Moralisch steht mir dies ohne jeden Zweifel zu.

Im übrigen möchte ich darauf hinweisen, dass ich mich ausgewogen zu Missständen aus allen Lagern äußere. So habe ich das Verhalten und die Einlassungen des SPD-Ministerpräsidenten von Mecklenburg-Vorpommern, Erwin Sellering, im Zuge des Jahrestags des Mauerbaus ebenso ausführlich kommentiert und kritisiert.

Seien Sie versichert, dass ich mich weiterhin für eine intensive und nachhaltige Aufarbeitung des DDR-Unrechts einsetzen und mich immer dann zu Wort melden werde, wenn dieses Kapitel unserer Geschichte, von wem auch immer, öffentlich verharmlost und dem Vergessen das Wort geredet wird.

Mit freundlichen Grüßen

Patrick Kurth