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Patrick Kurth
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Frage von Volker S. •

Frage an Patrick Kurth von Volker S. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen

Sehr geehrter Herr Kurth,

in der Debatte zur Charta der Vertriebenen am 10.2.11 haben Sie der Abgeordneten Lukrezia Jochimsen wegen der SED das Recht abgesprochen "die moralische Keule zu schwingen". Da sie selbst wiederholt hohe moralische Ansprüche in Ihren Reden haben anklingen lassen, frage ich mich, wie Sie eigentlich die "Vergangenheitsbewältigung" der FDP sehen. In diesem Zusammenhang frage ich Sie, wie stehen Sie dazu, dass

1. Theodor Heuss (FDP) Hitlers Ermächtigungsgesetz zugestimmt hat;

2. die politische Stiftung der FDP Friedrich Naumann als Namenspatron hat, dessen Gedankengut in gefährlicher Nähe zum Nationalsozialismus steht und den der Nobelpreisträger und ordoliberale Wirtschaftswissenschaftler Friedrich A. Hayek bereits 1944 zu den Wegbereitern des Nationalsozialismus zählte ( G. Aly: Die Leiche im Keller der FDP, Berliner Zeit v. 25.1.11, http://www.berlinonline.de/berliner-zeitung/archiv/.bin/dump.fcgi/2011/0125/meinung/0043/index.html );

3. besagte Friedrich-Naumann-Stiftung 2006 in der Reihe "Klassiker der Freiheit" Ludwig von Mises: Liberalismus neu veröffentlicht, wo etwa auf S. 48 zu lesen ist: "Es kann nicht geleugnet werden, daß der Faszismus und alle ähnlichen Diktaturbestrebungen voll von den besten Absichten sind und daß ihr Eingreifen für den Augenblick die europäische Gesittung gerettet hat. Das Verdienst, das sich der Faszismus damit erworben hat, wird in der Geschichte ewig fortleben.";

4. die FDP sich ohne Bedenken die "liberalen" DDR-Blockparteien (und deren Vermögen) einverleibt hat, obwohl unter deren Abgeordneten in der letzten Volkskammer jeder zweite als IM für die Staatssicherheit aktiv war ( eigene Berechnungen nach http://de.wikipedia.org/wiki/Christlich-Demokratische_Union_Deutschlands_%28DDR%29“ ).

Beste Grüße

Volker Schneider

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Antwort von
FDP

Sehr geehrter Herr Schneider,

ich danke Ihnen für Ihre Anfrage, auch wenn sie einen sehr schwerwiegenden und für mich nicht immer akzeptablen Unterton hat.

Zunächst freut es mich, dass Sie die Debatte zum Antrag "60 Jahre Charta der Heimatvertriebenen -Aussöhnung vollenden" offensichtlich intensiv verfolgt haben. Ich stehe voll und ganz zu den Ausführungen, die ich dort gemacht habe.

Wenn Sie, insbesondere mit den Punkten 1. bis 3. Ihrer Anfrage, der FDP und der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit eine nicht ausreichend aufgearbeitete Vergangenheit im Bezug auf rechtsextremes Gedankengut unterstellen, weise ich dies mit aller Entschiedenheit zurück. Sie können mit den Ansichten und den Ideen der FDP und dem Liberalismus sehr gerne nicht einverstanden sein. Aber ich kann es nicht akzeptieren, dass Sie eine Verharmlosung des sog. "Faschismus" durch die FDP konstruieren wollen.

Gerne nehme ich Stellung zu Ihren Ausführungen im einzelnen:

Zu Punkt 1:
Die Zustimmung zu den Ermächtigungsgesetzen durch alle bürgerlichen Parteien außer der SPD ist eine bedauerliche historische Tatsache, die mit dazu beigetragen hat, dass die Schreckensherrschaft der Nationalsozialisten erst ermöglicht wurde. Auch Theodor Heuss hat, wie Sie richtig feststellen, dem Ermächtigungsgesetz leider zugestimmt. Dieser Umstand muss differenziert und im Gesamtzusammenhang gesehen werden. Dass dieses Gesetz sehr problematisch ist, war bereits zum damaligen Zeitpunkt klar. Dass es allerdings der "Startschuss" zu einer derartigen Schreckensherrschaft und zum größten Verbrechen der Menschheitsgeschichte werden würde, war zu dem Zeitpunkt nicht mit Sicherheit abzusehen. Viele demokratische Politiker haben die Bedeutung des Gesetzes in dieser Hinsicht und die Radikalität der Nationalsozialisten unterschätzt. Es muss auch erwähnt werden, dass die Haltung von Theodor Heuss zum Ermächtigungsgesetz sehr kritisch war und er dieses eigentlich ablehnen, zumindest sich enthalten wollte. Letztlich beugte er sich allerdings der Fraktionsdisziplin. Er hatte die (wie sich bald herausstellen sollte) trügerische Hoffnung, durch die Wahrung von Legalität den Terror zu mäßigen sowie die eigenen Anhänger zu schützen. In der Folgezeit, nach dem Entzug seines Abgeordnetenmandats, war Theodor Heuss leidenschaftlicher Gegner der Nationalsozialisten und musste entsprechende Repressionen hinnehmen (Berufsverbot, Publikationsverbot).
Theodor Heuss war alles andere als ein Sympathisant oder gar Unterstützer der nationalsozialistischen Ideen. Allein aus der Tatsache der Zustimmung zum Ermächtigungsgesetz kann eine solche Nähe nicht konstruiert werden.
Dies darf natürlich die Schreckensherrschaft nicht verharmlosen oder rechtfertigen. Die Zustimmung zu dem Gesetz bleibt ein erheblicher Makel, mit dem sich die FDP intensiv auseinandersetzt und auseinandergesetzt hat. Die FDP hat diese Tatsache niemals vertuscht oder beschönigt.

Zu Punkt 2:
Sie beziehen sich auf einen, mir sehr gut bekannten, Artikel von Götz Aly vom 25.1.2011. Dass Friedrich Naumann durchaus zum Teil auch politisch nicht unproblematische Ansichten vertrat, wurde und wird weder von der FDP noch von der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit verleugnet oder beschönigt, sondern offensiv aufgearbeitet. Die Stiftung hat diese problematischen Aspekte in mehreren Schriften erörtert und sich damit kritisch auseinandergesetzt. (Sammelband "Friedrich Naumann in seiner Zeit" (2000) und Einleitung zu Friedrich Naumanns gesammelten Werken) Ich verweise hierzu auch auf einen Leserbrief des Vorsitzenden der Stiftung, Herrn Dr. Wolfgang Gerhardt ( http://www.berlinonline.de/berliner-zeitung/archiv/.bin/dump.fcgi/2011/0205/briefe/0153/index.html ). Nicht vergessen werden dürfen bzw. hervorgehoben werden müssen aber daneben Naumanns sehr progressive und liberale Ideen, durch die er sich ausgezeichnet hat. Er verurteilte die Diskriminierung von Juden und anderen Minderheiten, setzte sich für politische Bildung und den Ausbau des demokratischen Wahlrechts sowie die Emanzipation der Frau ein. Gerade letzteres war in der damaligen Zeit durchaus bemerkenswert. Friedrich Naumann war also kein "Wegbereiter des Nationalsozialismus", wie in dem Artikel behauptet wird. Die Repressalien durch die Nationalsozialsten gegenüber seiner Zeitschrift "Die Hilfe" wären beispielsweise auch kaum erklärbar, wenn dort ein geistiger Vater dieser Bewegung publiziert hätte.
Friedrich Naumann ist ohne Zweifel ein Wegbereiter der politischen Erwachsenenbildung und hat sich auf diesem Gebiet hervorragende Verdienste erworben. Bei aller notwendigen kritischen Auseinandersetzung mit dem Gesamtwerk Naumanns ist der dennoch gerade wegen dieser Rolle weiterhin der geeignete Namensgeber der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit.

Zu Punkt 3:
Richtig ist, dass das von Ihnen verwendete Zitat in dem in der Reihe "Klassiker der Freiheit" 2006 neu aufgelegten Werk "Liberalismus" Ludwig von Mises´ enthalten ist. Allerdings sollte dieses Zitat, bevor es verwendet und daraus Schlüsse gezogen werden, in seinem Gesamtzusammenhang gelesen werden. Wenn Sie das getan hätten, wüssten Sie, dass von Mises in dem betreffenden Kapitel ("10. Das Argument des Faszismus") sehr ausführlich den Faschismus als gewaltsame und höchst gefährliche Ideologie verurteilt, die es zu überwinden gilt. Hierzu will ich Ihnen nur ein paar wenige Zitate aus dem Kapitel nennen. So schreibt er: "Die große Gefahr, die von Seite des Faszismus in der Innenpolitik droht, liegt in dem ihn erfüllenden Glauben an die durchschlagende Wirkung der Gewalt." Und weiter: "Die gewaltsame Unterdrückung ist immer das Eingeständnis der Unfähigkeit, mit den besseren, weil allein den Enderfolg versprechenden Waffen des Geistes anzutreten. Das ist der Grundfehler, an dem der Faszismus krankt und an dem er schließlich zugrundegehen wird." Geradezu prophetisch (das Werk entstand 1927!) sind schließlich folgende Ausführungen: "Daß er [der Faschismus] außenpolitisch durch das Bekenntnis zum Gewaltprinzip im Verhältnis von Volk zu Volk eine endlose Reihe von Kriegen hervorrufen muß, die die ganze moderne Gesittung vernichten müsse, bedarf keiner weiteren Ausführung."
Ich denke, eindrucksvoller kann man seine Verachtung des Faschismus nicht zum Ausdruck bringen, wie es von Mises tut. Mit dem von Ihnen verwendeten Zitat wollte von Mises hingegen lediglich die (seiner Meinung nach vorübergehende) Rolle des Faschismus als Gegenbewegung zur bolschewistischen Revolution in Russland darlegen. Wie sehr Ihre unterschwellige Vorhaltung an den Liberalismus, den Sie mit der Nennung des Zitats offensichtlich verfolgen, im übrigen ins Leere läuft, hätten Sie sehr leicht erkennen können, wenn Sie wenigstens den betreffenden Absatz vollständig wiedergegeben hätten. Dieser endet nämlich mit dem Satz: "Der Faszismus war ein Notbehelf des Augenblicks; ihn als mehr anzusehen, wäre ein verhängnisvoller Irrtum."
Ich bitte Sie also, nicht aus wahllos zusammengesammelten Bruchstücken einen herausragenden Vertreter des Liberalismus zu verunglimpfen und daraus der FDP die Nähe zu faschistischen Ideen zu unterstellen.

Zu Punkt 4:
Sie belegen Ihre Behauptung bezüglich der Anzahl von IM-Spitzeln mit "eigenen Berechnungen nach de.wikipedia.org". Leider ist es unmöglich, anhand dieses bloßen Verweises auf die allgemeine Startseite von Wikipedia Deutschland die genannten Berechnungen nachzuvollziehen. Es wäre hilfreich gewesen, wenn Sie Ihre Quelle näher spezifiziert hätten, sodass mir eine Überprüfung der Behauptung adäquat möglich gewesen wäre. Unabhängig davon, ob Ihre Behauptung richtig ist, ist folgendes zu konstatieren: Ohne Zweifel waren auch Mitglieder der liberalen Parteien als IMs tätig. Im Machtsystem der SED war dies zwingend notwendig und von den kommunistischen Machthabern gewollt. Auch dies haben weder ich noch meine Partei je verleugnet. Allerdings ist auch hervorzuheben, dass keiner von diesen ehemaligen Stasi-Mitarbeitern in der Folge eine verantwortliche Stellung innerhalb meiner Partei erlangen konnte. Die Aufarbeitung dieses Aspekts der Vergangenheit wurde in der FDP also sehr ernst genommen und hat offensichtlich gut funktioniert. Die Tatsache, dass bei anderen Parteien bis zuletzt immer wieder Personen in hohen politischen Ämtern und Positionen als ehemalige Stasi-Spitzel enttarnt werden, zeigt sehr deutlich, dass dort die Aufarbeitung weitaus weniger gewissenhaft vorgenommen wurde.

Die von Ihnen vorgebrachten Versuche, eine dunkle Vergangenheit der FDP bzw. eine unzureichende Aufarbeitung zu konstruieren, laufen ins Leere. Die FDP hat sich sehr wohl und sehr intensiv mit den kritischen Punkten ihrer Vergangenheit auseinandergesetzt und diese aufgearbeitet und wird dies auch weiterhin tun. Ich bin nach wie vor der festen Ansicht, dass dies nicht bei allen im Bundestag vertretenen Parteien (bislang) in befriedigender Weise stattgefunden hätte. Dies werde ich auch in Zukunft weiter kritisieren.

Mit freundlichen Grüßen

Patrick Kurth