Frage an Patrick Breyer von Gerhard R. bezüglich Gesellschaftspolitik, soziale Gruppen
Sehr geehrter Herr Breyer,
zu Lübecker Nachrichten vom 18.11.14, Seite 1:
"Netzausbau: Billiger Strom nur im Süden"
Daraus: Kunden im Norden sind die Verlierer der Preisrunde. Der Grund sind vor alem die im Norden steigenden Netzentgelte, weil hier besonders stark in den Ausbau der Netze investiert wurde. Die Verbraucherzentrale Schleswig-Holstein fordert, dass die Netzentgelte bundesweit einheitlich sind:
"Denn hier im Norden bauen wir die Netze ja vor allem deshalb aus, um die Energie in den Süden transportieren zu können. Bei Telefonleitungen werden schließlich auch keine unterschiedlichen Entgelte verlangt. Wir sehen dringenden Handlungsbedarf. Auch die Verbraucher im Norden müssen von den sinkenden Strompreisen profitieren".
Trifft es zu, dass dieses Problem durch ein Bundesgesetz verursacht wird?
Falls ja:
Gibt es hier einen Verstoß gegen den Gleichheitssatz des Grundgesetzes?
Werden die Piraten die Landesregierung auffordern sich um eine Änderung des Gesetzes zu bemühen?
Weil dies lange dauern kann: Welche andere -rechtliche - Möglichkeit haben Andere?
Bitte ermöglichen Sie eine kurzfristige Antwort.
Mit freundlichen Grüßen
Gerhard Reth
Sehr geehrter Herr Reth,
danke für Ihre Anfrage!
Bisher werden die Kosten eines Stromnetzes von allen Abnehmern in diesem Netzgebiet getragen (Großverbraucher sind teilweise befreit).
Netzentgelte machen 10-25% der Stromkosten aus. Die Netzentgelte des in Schleswig-Holstein tätigen Übertragungsnetzbetreibers Tennet sind 2014 aus verschiedenen Gründen erheblich angestiegen. Näheres dazu finden Sie hier:
http://www.landtag.ltsh.de/infothek/wahl18/umdrucke/3500/umdruck-18-3564.pdf
Es trifft zu, dass die Netzentgelte mit dem zunehmenden Netzausbau infolge der Energiewende und auch mit dem Bevölkerungsrückgang im ländlichen Raum ansteigen, so dass dieser überproportional belastet wird.
Auf der anderen Seite wird argumentiert, dass der ländliche Raum von der Förderung erneuerbarer Energien (EEG-Umlage) natürlich auch wirtschaftlich und finanziell besonders profitiert. Und eine bundesweite Vereinheitlichung der Netzentgelte würde nicht nur den Kostenanstieg infolge der Energiewende ausgleichen, sondern auch Kostenunterschiede, die andere strukturelle Ursachen haben. Ferner ist zu beachten, dass Regionen mit überdurchschnittlichen Netzentgelt insgesamt betrachtet nicht immer auch einen überdurchschnittlichen Strompreis aufweisen müssen, weil in diesen weitere regional unterscheidliche Preisbestandteile einfließen.
Man muss auch sagen, dass die Netzentgelte in Schleswig-Holstein bisher generell nur leicht über dem Bundesdurchschnitt liegen, dass eine bundesweite Vereinheitlichung den Verbraucher hier also im Schnitt nicht sehr spürbar entlasten würde. Allerdings lassen Energiewende und demografische Entwicklung erwarten, dass die schleswig-holsteinischen Netzentgelte im Vergleich zum Bundesdurchschnitt weiter ansteigen werden.
Mehrere Studien empfehlen eine bundesweite Vereinheitlichung der Netzentgelte und haben entsprechende Modelle entwickelt:
http://www.gruene-fraktion-brandenburg.de/fileadmin/ltf_brandenburg/Dokumente/Publikationen/Kurzgutachten_Regionale_Strompreisunterschiede.pdf
http://www.qucosa.de/fileadmin/data/qucosa/documents/14138/Band3_Netzentgelte.pdf
http://www.agora-energiewende.de/fileadmin/downloads/publikationen/Analysen/Netzentgelte_in_Deutschland/Agora_Netzentgelte_web.pdf
Das Bundeswirtschaftsministerium beabsichtigt in 2015 und 2016 das System der Netzentgelte u.a. unter Abwägung der Vor- und Nachteile von Kostenwälzungen zuordenbarer EEG-bedingter Kosten im Sinne der Ermächtigungsnorm in § 24 Satz 2 Nr. 4 Energiewirtschaftsgesetz und/oder der Vor- und Nachteile einheitlicher Netzentgelte zu reformieren. Eine Vereinheitlichung ist dabei aber augenscheinlich nicht geplant. Näheres entnehmen Sie dem Inhalt der letzten Bundestagsdebatte dazu: http://dip21.bundestag.de/dip21/btp/18/18067.pdf#P.6397
Unsere Überlegungen als PIRATEN zu der Frage sind noch nicht abgeschlossen. Aus meiner Sicht spricht aber viel dafür, zumindest die Kosten des energiewendebedingten Netzausbaus auf alle Energieverbraucher abzuwälzen, wie dies bei der Offshoreenergie schon heute der Fall ist. Denn von der Energiewende profitieren alle Verbraucher, indem ihre Umwelt von nicht nachhaltigen Formen der Energiegewinnung entlastet wird (z.B. Kernkraftwerke, Kohlekraftwerke). Die EEG-Umlage wird bereits bundesweit von den Verbrauchern aufgebracht, so dass es konsequent wäre, dies für die energiewendebedingten Kosten des Netzausbaus gleichermaßen zu handhaben. Dass die netzausbaubelasteten Regionen stärker von der EEG-Umlage profitieren, erscheint mir kein durchgreifendes Gegenargument, weil die EEG-Umlage an die Erzeuger fließt, während die Netzkosten die Verbraucher belasten.
Daneben erscheint es mir notwendig, die Befreiungen bestimmter Großabnehmer von Netzentgelten zu überdenken. Ferner ist es nicht sinnvoll, dass dezentrale Energieerzeuger zurzeit einen Teil der Netzentgelte ausgezahlt erhalten ("vermiedene Netzentgelte"), unabhängig davon, ob die Einspeisung tatsächlich entlastend für das Netz wirkt oder nicht.
Dass CDU/CSU und SPD auf Bundesebene die Netzentgelte insgesamt senken wollen, wird die ungleiche Verteilung der Netzausbaukosten fortbestehen lassen und ist aus meiner Sicht daher ungenügend. Hier scheint der Wunsch zur Erhaltung regionaler Standortvorteile einer ausreichenden Reform entgegenzustehen.
Ich hoffe, diese Hinweise helfen Ihnen weiter.
Mit freundlichem Gruß,
Patrick Breyer