Wie kommen wir auf gerechtem Weg zu einer Verkleinerung des Bundestages?
Sehr geehrter Herr Kober,
beide aktuellen Vorschläge zur Wahlrechtsreform finde ich unbefriedigend. Einerseits ist es nicht vermittelbar, dass Jemand, der die Mehrheit der Erst-Stimmen in seinem Wahlbezirk geholt hat, nicht in den Bundestag einziehen soll. Andererseits ist es natürlich ein Unding, Überhang-Mandate nicht auszugleichen. Aus dem Dilemma kommen wir nicht raus, solange wir an Erst- und Zweitstimme festhalten.
Was spricht eigentlich dagegen, die ersten 5 Favoriten aus allen Kandidaten wählen zu können (wenn man will, auch quer über alle Parteien hinweg), und zwar mit Prioritäten: erster, zweiter, dritter,.... So muss der Wähler nicht zählen, wieviele Stimmen noch frei sind. Die Listen könnten nach der Nähe zum Wahllokal sortiert u. erforderlichenfalls gekürzt werden, sofern handschriftliche Ergänzungen zugelassen sind.
Die Platzierungen werden in Stimmen umgerechnet. Die Gesamtzahl je Liste bestimmt die Sitze, das Ranking innerhalb der Liste, wer einzieht.
Sehr geehrter Herr J.,
haben Sie vielen Dank für Ihr Schreiben zur Wahlrechtsreform und Ihre Anregung.
Sie haben vollkommen recht, dass man bei der personalisierten Verhältniswahl nicht jeden der 299 Wahlkreise an den Wahlkreisersten zuteilen, den Zweitstimmenproporz beibehalten, den Länderproporz beibehalten und die Regelgröße des Bundestages einhalten kann. Das ist die Crux des Systems.
Mit dem von Ihnen vorgeschlagenen System ließe sich in der Tat die Sitzzahl des Deutschen Bundestages sicher einhalten und es würde den Wählenden auch einen größeren Einfluss auf die personelle Zusammensetzung des Bundestages geben. Allerdings würde es zu einem „Benennungsmonopol“ der Landesverbände der Parteien kommen. Kreisverbände würden dadurch ihr Recht verlieren, Wahlkreiskandidaten zu benennen. Unabhängige Bewerber ließe das System gar nicht zu, was sehr wahrscheinlich vor dem Bundesverfassungsgericht als verfassungswidrig eingestuft werden würde.
Die Prämisse für die Wahlrechtsreform war es, das System der personalisierten Verhältniswahl beizubehalten, um möglichst wenig am System zu ändern. Daher enthält unser gemeinsamer Vorschlag mit der SPD und den Grünen folgende Grundsätze:
- Der Gesetzentwurf setzt die personalisierte Verhältniswahl konsequent um. Die Sitzverteilung im Deutschen Bundestag soll – wie bisher – anhand des Proporzes der Zweitstimmen geschehen.
- Wie bisher werden mit der Erststimme Kandidaten im Wahlkreis gewählt. Wahlkreismandate werden – wie bisher auch – auf das Sitzkontingent der Landeslisten angerechnet. Allerdings werden Wahlkreismandate nur noch (wie bisher auch: an Wahlkreiserste) zugeteilt, solange Sitze der Landeslisten zur Verfügung stehen (sogenannte Zweitstimmendeckung). So werden Überhangmandate strukturell vermieden. Ausgleichsmandate sind dann nicht mehr erforderlich.
- Die gesetzliche Regelgröße des Bundestages von 598 Mandaten kann damit sicher eingehalten werden.
- Parteilose Bewerber können weiterhin als Wahlkreisbewerber kandidieren. Sie benötigen jedoch keine Zweitstimmendeckung, weil sie diese strukturell nicht haben können. Sie würden von der Gesamtzahl der Sitze abgezogen.
- Die 5%-Hürde bleibt bestehen, es werden also – wie bisher auch – nur den Parteien, die mindestens 5% der Zweitstimmen erhalten haben, Sitze entsprechend ihrem Zweitstimmenproporz zugeteilt. Ihr werden aber auch dann – wie bisher auch – Sitze entsprechend ihrem Zweitstimmenproporz zugeteilt, wenn dieser zwar unter 5% liegt, die Kandidaten der Partei aber in mindestens drei Wahlkreisen die meisten Erststimmen erhalten haben.
Die Änderung führt dazu, dass sich die Sitzzahl aller Parteien in proportional gleicher Weise verändert.
Gerne können Sie hier die einzelnen Argumente nachlesen, die in der Bundestagsdebatte vom 27. Januar vorgetragen wurden:
https://dserver.bundestag.de/btp/20/20083.pdf#P.9887
Mit freundlichen Grüßen
Pascal Kober