Frage an Otto Fricke von Peter L. bezüglich Wirtschaft
Sehr gehrter Herr Fricke,
nachdem ich nun seit 3 Jahren bzw. einem Monat auf Antworten Ihrer Parteikollegen Brüderle und Lindner warte ( http://www.abgeordnetenwatch.de/rainer_bruederle-575-37510--f238967.html#q238967 und
http://www.abgeordnetenwatch.de/christian_lindner-575-37779--f339567.html#q339567 ) , versuche ich es bei Ihnen:
Ihre Partei, die Regierung und die meisten Medien halten Wirtschaftswachstum für den heiligen Gral hin zu Wohlstand für alle Menschen. Für mich ist Wachstum Mittel, um Schuldenzinsen zu bedienen und vielleicht hier und da einen Technologiesprung zu erreichen. Nur verspüre ich derzeit und mein (bürgerliches) Umfeld eine gewisse Wachstumsmüdigkeit. Ich verstehe nicht, wie ein ständiges Streben nach Wachstum, mir mehr Zufriedenheit verschaffen soll, da ich sehe, wie Mensch und Natur zu diesem Zwecke immer mehr ausgebeutet werden. Kurt Biedenkopf meinte einmal:"Bäume können nicht in den Himmel wachsen".
Können Sie mir die Notwendigkeit von Wirtschaftswachstum erklären? Wie gehen Sie mit der Endlichkeit von Ressourcen und Produktivität um?Wie geht es weiter, wenn eine Steigerung nicht mehr möglich ist? Ich bin verwirrt, daß Ihre Partei ständig von Wachstum redet, aber nicht willens oder in der Lage ist, mir darauf eine Antwort zu geben.
Mit der Hoffnung, Sie können dies, verbleibe ich
Mit freundlichen Grüßen
Peter Lehmann
Sehr geehrter Herr Lehmann,
es freut mich sehr, dass Sie gerade das Thema Wachstum ansprechen, dass die FDP zu einem zentralen Punkt ihrer Politik gemacht hat. http://www.fdp.de/Wachstum/3178c537/index.html
Wir finden zu Recht, denn Wachstum gerät zunehmend in die Kritik und wird vor allen Dingen von den Grünen als politisches Ziel abgelehnt. Vielfach hört man kritische Stimmen, die vorbringen, Wachstum führe zu Ungerechtigkeit, zur Ausbeutung der Umwelt und zerstöre unsere Lebensgrundlagen. Sie argumentieren sogar, dass es unzufrieden mache und gesellschaftlich zu Unfrieden führe. Ich möchte direkt vorweg schicken, dass ich den Vergleich von Kurt Biedenkopf nicht zielführend finde. Eine hochkomplexe Gesellschaft, wie die unsrige mit Bäumen zu vergleichen, verkürzt die Betrachtung unnötig.
Im Folgenden möchte ich Ihnen aber eine andere Betrachtungsweise auf Wachstum anbieten und hoffe, damit zu helfen, Wachstum nicht mehr als Teil des Problems zu sehen, sondern als Teil der Lösung, um den derzeitigen gesellschaftlichen Herausforderungen zu begegnen.
Wenn ich mit meinen Kollegen von Bündnis90/Die Grünen spreche, werfen diese immer die Frage nach den natürlichen Grenzen des Wachstums auf. Es wird behauptet, es gäbe eine fixe Höchstgrenze des weltweiten Wohlstandes, die in absehbarer Zeit erreicht wird. Verantwortlich machen die Kollegen an dieser Stelle die Ausbeutung von Ressourcen, die Schädigung des Ökosystems und den Ausstoß von CO².
In der öffentlichen Diskussion gilt es fast immer als unbestritten, dass globales Wirtschaftswachstum mit erhöhten Emissionen einhergeht. Diese Betrachtung bezieht sich jedoch vorwiegend auf die noch immer relativ armen, aber großen Entwicklungs- und Schwellenländer, die über immense Vorkommen an Kohle und Gas verfügen. Dazu zählen zum Beispiel China oder Indien, die mit circa 2,5 Milliarden Menschen zusammen etwa 35 Prozent der gesamten Weltbevölkerung ausmachen. Im Vergleich dazu, fallen die Emissionen der Industriestaaten heute relativ gering aus.
Emissionen ließen sich, so die weitläufige Meinung, maßgeblich durch Wirtschaftswachstum und Bevölkerungsgröße bestimmen. Je dynamischer das Wirtschaftswachstum, desto höher seien danach auch die Emissionen. Eine Betrachtung, die so jedoch höchstens im gesamtglobalen Zusammenhang zutrifft. Für einzelne Volkswirtschaften - insbesondere für reichere Industriestaaten wie Deutschland - ist die Sache diffiziler. Schließlich ist der vermutete Zusammenhang zwischen Wirtschafts- und Wohlstandswachstum und Emissionen hier bei weitem nicht immer gegeben. Vielmehr ist die Reduktion von Emissionen in Hochtechnologieländern sogar ohne Wachstum kaum denkbar.
Dennoch glauben Grüne und Umweltschutzverbände in Deutschland noch immer, man müsse einfach mit gutem Beispiel und ambitioniertem Klimaschutz vorangehen, damit andere Nationen folgen werden. Eine Strategie, die Deutschland bereits seit Jahren verfolgt. Währenddessen haben Staaten wie China, auf die die deutsche "Vorreiter-Strategie" eigentlich abzielen sollte, bisher jedoch fast alle bindenden Emissionsreduktionen bei den internationalen Klimaschutzverhandlungen abgelehnt. Stets führten sie dabei ihr Recht auf wirtschaftliche Entwicklung als Begründung an. Klar ist, dass selbst die umfangreichste Treibhausgasreduktion in Deutschland das Klima nur sehr unwesentlich beeinflusst, wenn gleichzeitig in China jede Woche ein neues Kohlekraftwerk an Netz geht. http://www.dradio.de/dlf/sendungen/umwelt/1228936/ Die Illusion, dass Schwellenländer wie China oder Indien dem ehrgeizigen deutschen Modell in Kürze folgen werden, erscheint aus heutiger Sicht ausgesprochen unwahrscheinlich, wie auch Prof. Claudia Kemfert im oben verlinkten Interview bestätigt.
Die deutsche Strategie, als Klimaschutz-Vorreiter die Welt vom eigenen Weg zu überzeugen, ist somit nicht ganz ungefährlich und könnte sogar als riskant zu bezeichnen sein. Schließlich führt sie zu höheren Energiekosten für Bürger und Unternehmen, was wiederum mit einer verschlechterten Wettbewerbssituation für die deutsche Wirtschaft einhergeht. Es ist deshalb eher damit zu rechnen, dass die Schwellen- und Entwicklungsländer dem Beispiel der Industrienationen folgen und erst im Laufe ihres eigenen wirtschaftlichen Aufschwungs ökologische Aspekte in ihre Politik einfließen lassen. Bei einem hohen Wirtschaftswachstum könnte dies optimaler Weise bereits in einer Generation der Fall sein. Prof. Claudia Kemfert geht jedoch eher von 30-40 Jahren aus.
Gerade deshalb muss dieses vermeintliche Paradoxon - Wirtschaftliches Wachstum trägt maßgeblich zum Klimaproblem bei, aber nur akzeptabler Wohlstand wird die indische und chinesische Bevölkerung dazu bewegen, sich in der nationalen und internationalen Klimapolitik intensiv zu engagieren - ausgehalten werden.
Aus meiner Sicht ist daher ein pragmatischer Ansatz in der Klimapolitik, der die Reduktion der Treibhausgase nicht radikal von heute auf morgen verlangt und gleichsam Forschung im Bereich der regenerativen Energien und der Energiespeicherung vorantreibt, anzustreben. In diesem Sinne ist nicht nur eine geschickte staatliche Förderpolitik notwendig, sondern auch ein konstantes nationales wie globales Wirtschaftswachstum, dass die Möglichkeit eröffnet, Forschung und Innovation voranzubringen. Schließlich gilt gerade für die Umweltpolitik moderner Industriestaaten, dass konstantes Wirtschaftswachstum dazu führt, dass alte Anlagen und Verfahren, die als ökologisch überholt gelten, ausgetauscht und durch umweltschonendere ersetzt werden. Bei Null-Wachstum fehlen uns schlicht die Ressourcen, um den Umweltschutz voranzubringen.
Grundsätzlich kann man sogar sagen, dass es heute nach wie vor gilt, den materiellen Wohlstand zu mehren, damit immaterielle gesellschaftliche Ziele wie Bildung, Umweltschutz, Gesundheit und Soziale Sicherheit erreichbar sind und der heutige Standard unseres Sozialstaates erhalten werden kann. Schließlich sehen wir doch bereits heute, dass unsere Gesellschaft zunehmend altert und es vor diesem Hintergrund zu höheren Kosten im Bereich von Gesundheit und Pflege kommt. Die Verbesserung von technischen Möglichkeiten verstärkt diese Kostensteigerung sogar noch. Diese neuen Möglichkeiten jemandem vorzuenthalten um Geld zu sparen, wird aus humanitären Gründen nicht möglich sein und ist auch nicht mein Bild einer sozialen Gesellschaft. Gerade die Gesundheitsforschung verfügt heute über viele neue Wege der Heilung, die ihrerseits nur durch wachstumsgetriebene Innovationen möglich waren. Diese Möglichkeiten der Allgemeinheit zur Verfügung zu stellen, ist menschlich selbstverständlich, wird uns aber viel Geld kosten. Geld, das nicht allein durch Effizienzgewinne innerhalb des Gesundheitssystems eingespart werden kann.
Um bei dem Beispiel des Wohlstands-Wachstums im Bereich der Gesundheit zu bleiben: Würde man nun auf Wirtschaftswachstum verzichten, würde der Anteil der Gesundheitskosten am Bruttoinlandsprodukt stark ansteigen, was wiederum auf Kosten anderer gesellschaftlicher Bereiche geschehen würde. Ein derart maximierter Trend zu höheren Gesundheitskosten, bedingt durch den demografischen Effekt, würde damit noch erheblich verstärkt. Der Anstieg sozialer Spannungen ist daher vor allen Dingen - ich würde sogar sagen: nur - durch Wirtschaftswachstum zu vermeiden.
Die Notwendigkeit von Wirtschaftswachstum wird aber selten so deutlich, wie im Bereich der Altersrenten: Hört eine Volkswirtschaft auf zu wachsen oder verzichtet sie sogar bewusst auf Wachstum, werden die Löhne nicht mehr steigen und mit ihnen die Renten stagnieren. Eingedenk des demografischen Wandels, samt seiner niedrigen Geburtenraten, müsste es dann unweigerlich zu einer Kürzung der Renten und zu einem Abbau des erreichten Sozialstandards kommen. Auf Deutschland angewendet, könnten wir unsere Sozialausgaben, die deutlich über denen anderer EU-Länder liegen, nicht länger halten. Einzig und allein unsere hohe Wirtschaftsleistung befähigt uns heute dazu. Schließlich sind unsere Sozialausgaben nicht nur absolut, sondern auch relativ zum Bruttoinlandsprodukt enorm hoch. Gerade bei uns besteht also eine kausale Abhängigkeit: Erst hohes Wachstum ermöglicht es uns, unseren gewohnt hohen immateriellen Wohlstand für alle zu halten.
Ein weiterer Grund der für Wirtschaftswachstum spricht, sind - wie Sie richtig schreiben - die Staatsschulden und deren notwendiger Abbau. Auch wenn Staatsverschuldung kurzfristig sinnvoll sein kann, gilt es den Staat handlungsfähig und die Schuldenquote im Rahmen zu halten. Schließlich verbauen die Staatsschulden von heute nicht nur die Chancen unserer Kinder von morgen, sondern sind außerdem eine große Gefahr für Wohlstand und sozialen Zusammenhalt. Erst durch Investitionen induziertes Wachstum ermöglicht es uns jedoch, Zinsen und Rückzahlungsraten für unsere Schulden zu erwirtschaften.
Nicht unerheblich ist in diesem Zusammenhang sicherlich auch das Argument, dass Wachstum vor allen Dingen den Armen weltweit zu Gute kommt. Ganz im Gegensatz zu weitverbreiten Ansicht, Wachstum nutze vor allen Dingen den Reichen, ist es doch tatsächlich so, dass gerade relativ arme Bevölkerungsschichten von Wachstum relativ betrachtet am meisten profitieren.
Zu guter Letzt möchte ich noch darauf hinweisen, dass Wirtschaftswachstum unser aller Lebensqualität verbessert. Ganz im Gegensatz zu den Wachstumskritikern, geht die Wissenschaft davon aus, dass Wachstum nicht allein quantitatives, sondern vor allen Dingen qualitatives Wachstum ist. Dies gilt zumindest für eine Industrienation wie Deutschland, in der es nicht mehr um ein Mehr an Konsum, sondern vielfach um eine verbesserte Qualität von Produkten und Dienstleistungen geht. Diese werden umweltfreundlicher und haben einen höheren Bedienungskomfort. Nach der Befriedigung der Grundbedürfnisse gehen Volkswirtschaften dazu über, die Qualität und Vielfalt von Produkten zu verbessern. Es ist jedoch mitnichten so, dass von diesem Wachstum nur die Privatwirtschaft profitiert. Der technische Fortschritt, der durch Wirtschaftswachstum erreicht wird, kommt sowohl Kunst und Kultur, aber auch der Forschung durch weltweite Vernetzung oder neue Verfahren zu Gute.
Nehmen Sie etwa das Beispiel der Mobiltelekommunikation: Bereits vor der Einführung des Mobiltelefons waren in Deutschland die meisten Menschen mit einem Telefonanschluss versorgt. Hätte man auf Wachstum verzichtet, hätte man sich mit dieser Situation abfinden müssen. Doch stattdessen hat das Mobiltelefon - von den ersten Handys bis zu heutigen Smartphones - unsere Lebensqualität massiv verändert. Dabei ist das Mobiltelefon gleichzeitig ein hervorragendes Beispiel dafür, wie durch Wirtschaftswachstum induzierte Innovationen gerade für ärmere Länder von Bedeutung sind. Schließlich gibt es heute kaum noch ein afrikanisches Land, das ein Telefonfestnetz flächendeckend ausbauen möchte. Stattdessen haben einige Staaten dort schon jetzt eine höhere Abdeckungsquote mit Mobilfunk als Deutschland. Eine Innovation, die das Leben vieler Afrikaner, gerade auf dem Land, massiv verbessert hat. Mit Wachstumskritik und Innovationsfeindlichkeit wäre dies kaum denkbar gewesen.
Ich glaube, es wird deutlich, dass der Verzicht auf Wachstum mit einem Verzicht auf bessere, effizientere und umweltfreundlichere Produkte, aber auch mit dem Verzicht auf die Umsetzung neuer Ideen einhergeht. Weder Entwicklungs- und Schwellenländer werden freiwillig auf wissenschaftlichen und industriellen Fortschritt verzichten, noch erscheint es mir einleuchtend, dass Industriestaaten auf Innovationskraft verzichten und damit evtl. dafür sorgen, dass der Lebensstandard ihrer Bürger stagniert. Schließlich ist die Entwicklungsgeschichte der Menschheit doch eine Geschichte des Fortschritts. Diesen Fortschritt nun vor dem Hintergrund willkürlich gesetzter, nicht messbarer und ideologisierter Grenzen künstlich zu unterbinden, halte ich für nicht sonderlich zielführend. Vielmehr bin ich der festen Überzeugung, dass Umwelt- und Klimaschutz nur mit Wirtschaftswachstum zu meistern sind.
Dass im Übrigen SPD, Grüne und sogar Teile der Linken zwar Wachstum ablehnen, gleichzeitig aber einen Wachstumspakt fordern, zeigt nur, die Gespaltenheit in diesem Bereich der politischen Landschaft.