Frage an Otto Bernhardt von Andreas F. bezüglich Wirtschaft
Sehr geehrter Herr Bernhardt,
von den Befürwortern der Kapitaldeckung wird gerne darauf verwiesen, dass ein höherer Kapitalstock der Volkswirtschaft ein höheres Wachstum erlaubt. Folgt man dieser These, dann scheint es sinnvoll, die umlagefinanzierten Sozialversicherungssysteme schrittweise durch kapitalgedeckte Komponenten zu ersetzen.
Doch vielleicht ist es ja nicht allein die Höhe, sondern vielmehr die Art der Kapitalanlage, die zu mehr oder weniger Wachstum führt?
Erzeugt die Kapitalanlage von privaten Versicherern (die im Jahr 2004 erstmals 1 Billion Euro überstieg) tatsächlich Wachstum? Entstehen dadurch neue Arbeitsplätze? Werden die Beiträge genutzt, um innovative und wachstumsstarke Unternehmen zu finanzieren?
Ich weiß es nicht. Sie wissen es nicht. Für Versicherer spielt es keine Rolle. Der Blick ins Versicherungsaufsichtsgesetz verrät, dass das Kapital der Versicherten so anzulegen ist, dass möglichst große Sicherheit und Rentabilität bei jederzeitiger Liquidität erreicht wird. Wäre ich Kapitalanlagevorstand eines Versicherers, müsste ich §54 VAG als Verbot interpretieren, in junge und innovative Unternehmen zu investieren, die am Anfang ihrer Lebensdauer stehen.
Was würde geschehen, wenn Sie und ich wissen würden, ob unsere Altersversorgung von einem ganz bestimmten Lebensversicherer so investiert wird, dass Arbeitsplätze in Deutschland geschaffen werden und dass innovative Unternehmen das Geld bekommen, das sie für ein schnelles Umsatzwachstum benötigen?
Ist man als grundgesetztreuer Bürger nicht sogar verpflichtet, darauf zu achten, dass der Gebrauch der eigenen Altersvorsorge zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dient?
Sehr geehrter Herr Bernhardt, würde es dem Wohle der Allgemeinheit dienen, wenn Versicherer einen Wettbewerb austragen würden, wer am erfolgreichsten Arbeitsplätze und Wachstum in Deutschland finanziert?
Ich freue mich und bin sehr gespannt auf Ihre Antwort.
Mit freundlichen Grüßen
Andreas Falken
Sehr geehrter Herr Falken,
ich danke Ihnen für Ihre E-Mail vom 6. Januar 2006 zum Thema Kapitalanlagen von privaten Versicherungen. Ich habe Ihre Ausführungen mit großem Interesse zur Kenntnis genommen.
Die Kapitalanlagen von privaten Versicherungsunternehmen dienen als Garant für die Leistungsfähigkeit der Versicherer. Mit ihrer langfristig orientierten Anlagepolitik leisten sie einen wertvollen Beitrag zur Stabilität der Finanzmärkte. Die Kapitalanlagen der Versicherungsunternehmen stehen in einem engen Zusammenhang mit der Bereitstellung von Versicherungsschutz. Denn sie überbrücken den Zeitraum von der Beitragszahlung bis zur Fälligkeit der Versicherungsleistung. Volumen, Qualität und Struktur der Anlagen sind der Garant für die Erfüllbarkeit der Leistungsversprechen gegenüber den Versicherungsnehmern. Das Kapitalanlagevermögen entsteht vor allem aus der Investition der Beitragseinnahmen sowie aus der Wiederanlage der Erträge. Versicherer sind somit existenziell auf einen ausreichenden Kapitalanlagebestand angewiesen und müssen stets genügend Liquidität vorweisen, um den Verbindlichkeiten bei Abruf nachkommen zu können. Im § 54 VAG ist geregelt, wie gebundene Vermögen angelegt werden muss.
Ein Wettbewerb unter den Versicherungen, wer am erfolgreichsten in Arbeitsplätze und Wachstum in Deutschland investiert, ist nach meiner Ansicht ganz sicher notwendig. Allerdings halte ich das bestehende Verfahren für ausreichend.
Der von CDU/CSU und SPD eingeschlagene Weg für mehr Wachstum und Beschäftigung muss fortgesetzt werden. Zur Erreichung der Ziele hat die große Koalition bereits eine Reihe von Gesetzesvorhaben im Bereich Arbeitsmarkt, Steuern und Haushalt verabschiedet bzw. auf den Weg gebracht. Einen weiteren Beitrag wird die derzeit angelaufene Reform des Versicherungsvertragsgesetzes bringen.
Bei den gesetzlichen Versicherungen halte ich eine Kapitaldeckung zwar für wünschenswert, aber nicht für praktikabel. Würden die Beiträge alle an den Kapitalmärkten dieser Welt angelegt, käme es zu einer Überflutung an Liquidität, die das Gleichgewicht ins Wanken bringen könnte.
Mit freundlichen Grüßen
gez. Otto Bernhardt MdB