Frage an Ottmar Schreiner von Ingrid H. bezüglich Soziale Sicherung
Sehr geehrter Herr Schreiner,
die Bundesrepublik hat mit der Gestaltung der Wiedervereinigung Deutschlands eine großartige Leistung vollbracht. Als Anfang der 90-er Jahre die ersten Einzelheiten zum Sozialrecht bekannt wurden, insbes. die Überführung der zahlreichen Sonderversorgungssysteme, gab es verständlicherweise nicht wenig öffentliche Kritik. Der damalige Bundestag, wie auch später das BVerfG, hat sich ungeachtet dessen von rechtsstaatlichen Grundsätzen leiten lassen. Ich habe in den Protokollen auch Ihren engagierten Vortrag gelesen, der mich sehr beeindruckt hat. Was in den Protokollen nicht zum Ausdruck kommt, ist eine Absicht dergestalt, die in der Bundesrepublik eingegliederten DDR-Übersiedler (Betsandsübersiedler) wieder auszugliedern. Diese waren an keinem Punkt der Erörterungen überhaupt ein Thema. Es ging damals ausschließlich um ein Sozialrecht für die Versicherten des Beitrittsgebietes. Herr Gebauer hat in seiner Frage ausgeführt, daß die seitens der DRV geübte Praxis ganz anders aussieht. Ich hatte kürzlich Gelegenheit, mit einer in Mannheim wohnenden ehemaligen Bundestagsabgeordeneten, die damals dabei war, über die Diskussionen und Beschlüsse zum RÜG/AAÜG zu sprechen. Sie war erschrocken zu hören, daß das für die Versicherten des Beitrittsgebietes geschaffene Instrumentarium durch die DRV dazu genutzt wird, in die Rechte von Bundesbürgern einzugreifen. Noch erschrockener war sie zu erfahren, welche gravierenden Auswirkungen dieser Mißbrauch hat. Sie erklärte, daß das nicht gewollt war. Ich gehe davon aus, daß auch Sie damals nicht geahnt haben, über ein Gesetz abzustimmen, das von der Exekutive zur Enteignung von Bundesbürgern genutzt werden würde.
Wären Sie, der Sie damals maßgeblich beteiligt waren, bereit, sich gegenüber der Exekutive dafür einzusetzen, daß der gegenwärtige Bundestag der Mißachtung des legislativen Willens des damaligen Bundestages entgegentritt?
Sehr geehrte Damen und Herren,
vielen Dank für Ihre zahlreichen Anschreiben im Zusammenhang mit der unzulässigen Anwendung der RÜG-Gesetze für die Rentenansprüche der Altübersiedler. Sie haben mich durch Ihre Anfragen auf eine gesetzliche Schieflage im Zusammenhang mit den Rentenansprüchen ehemaliger DDR-Übersiedler, die zwischen 1971 und 1989 nach Westdeutschland übergesiedelt waren (Altübersiedler), aufmerksam gemacht. Meines Wissens wurden über diese Website auch andere Kollegen angefragt, auch in anderen Fraktionen. Es scheint sich also um ein Problem allgemeineren Charakters zu handeln.
Das RÜG war seinerzeit dafür geschaffen worden, die Rentenbelange der Bürgerinnen und Bürger des Beitrittsgebiets nach der Wiedervereinigung zu regeln. In den erwähnten Anfragen wird mir aber geschildert, dass dieses Instrumentarium auch dazu genutzt wird, rückwirkend in die Rentenanwartschaften der Altübersiedler einzugreifen. Diese sind doch aber, wie wir wissen, bereits vor dem Fall der Mauer über Eingliederungsverfahren Bürger der alten Bundesrepublik geworden. Ihre DDR-Erwerbsbiografien waren durch diese Transformation zu bundesdeutschen Rentenanwartschaft geworden. Die Anwartschaften der Altübersiedler waren damit im westdeutschen Sozialversicherungssystem bereits fest verankert, als im Bundestag die Gesetze zum Beitritt der DDR debattiert und beschlossen wurden.
Meines Erachtens bietet das RÜG keine Grundlage dafür, gefestigte Rechtspositionen von Bundesbürgern rückwirkend noch einmal zur Disposition zu stellen. Die rückwirkende Anwendung des RÜG (insb. § 256a in Verbindung mit § 259a SGB VI) auf die FRG-gestützten Rentenanwartschaften der Altübersiedler bedeutet einen Paradigmenwechsel, der für die meisten von ihnen, insbesondere für die Hochqualifizierten unter ihnen, mit einer immensen Einbuße einhergeht.
Ich habe im Übrigen den Eindruck, dass es sich hier um eine zahlenmäßig gar nicht so große Gruppe handelt.
Diese Ungerechtigkeit ist auch angesichts der vergleichsweise höheren Rentenansprüche der Angehörigen des SED-Unrechtssystems nicht hinnehmbar, zumal eine rechtliche Grundlage für eine Umbewertung der Rentenanwartschaften vom FRG auf das RÜG nicht vorhanden ist.
Aufgrund dieser Umstände habe ich zwei der betroffenen Anfrager unter Ihnen zu mir eingeladen und sie angehört. Nach dem Gespräch wurde mir die falsche Handhabung beider Gesetze (RÜG und FRG) zunehmend klarer.
Bemerkenswert ist auch die Reaktion der Bundesregierung auf eine Anfrage der FDP-Fraktion in diesem Zusammenhang. Die Bundesregierung umgeht den Sachverhalt und versucht die einmal getroffenen Fehlentscheidungen um jeden Preis zu verteidigen und nicht zurückzunehmen. Ihre Antwort auf die kleine Anfrage der FDP-Fraktion (vgl. Drs. 16/5571) dokumentiert leider diesen fehlenden Willen.
Sehr geehrte Damen und Herren, ich habe dieses Anliegen an die für rentenpolitischen Fragen zuständige Abgeordnete in meiner Fraktion mit der Bitte weitergeleitet, die Betroffenen bei einem Treffen anzuhören und nach Möglichkeiten zu suchen, diese Ungerechtigkeit zu beseitigen.
Mit freundlichen Grüßen
Ottmar Schreiner