Frage an Ottmar Schreiner von Lothar G. bezüglich Soziale Sicherung
Am 21.06.1991 wurde vom Bundestag das Rentenüberleitungsgesetz RÜG verabschiedet. Es diente in Erfüllung des Staatsvertrages vom 18.05.1990 der Überleitung der Ansprüche aus der DDR-Rentenversicherung in das System der bundesdeutschen Rentenversicherung. Das Gesetz galt ausschließlich für die Menschen, die am 18.05.1990 in der DDR lebten. Übergeleitet wurden nicht nur deren Zahlungen in die Rentenversicherung, sondern auch die 63 Versprechungen der DDR zu Zusatzversorgungen.
Sie haben in Ihrem Beitrag am 21.06.2006 darum gebeten, mit der Bemessung der Anwartschaften für die ehemaligen DDR-Bürger keine politischen Straffunktionen zu verbinden. Sie haben auf das Schicksal der Juden im Nazireich verwiesen, dem einzigen Fall in der deutschen Rentenversicherung, in dem Anwartschaften manipuliert wurden. Sie haben die Verfassungsrechtler zitiert, die „händeringend“ darum gebeten haben, Sozial- und Strafrecht nicht zu vermischen. Sie sahen den Rechtsstaat in Gefahr.
Ich informiere Sie darüber, dass das am 21.06.1991 vermutlich auch mit Ihrer Zustimmung verabschiedete RÜG später vom Sozialministerium genutzt wurde, um allen Übersiedlern aus der DDR jünger als Geburtsjahrgang 1936 alle Rentenanwartschaften der DDR-Zeit ohne Aufhebungsbescheid zu löschen. Diese Anwartschaften waren Ergebnis eines Eingliederungsverfahrens nach FRG. Diese Löschung hat mitunter gewaltige Renteneinbußen zur Folge, die meisten werden es noch nicht wissen. Es betrifft alle Menschen, die auf unterschiedlichsten, aber immer gefährlichen Wegen in der gesamten Zeit der Mauer diese überwunden haben.
Meine Fragen: Wussten Sie am 21.06.1991, dass mit dem RÜG in naher Zukunft alle Übersiedler enteignet werden sollten? Wurde vom Gesetzgeber darüber diskutiert, wann, von wem, mit welchem Argument? Ist Ihnen bewusst, dass diese Übersiedler Bürger der Bundesrepublik sind mit allen verfassungsmäßigen Rechten, auch dem Recht auf Schutz des Eigentums?
Sehr geehrte Damen und Herren,
vielen Dank für Ihre zahlreichen Anschreiben im Zusammenhang mit der unzulässigen Anwendung der RÜG-Gesetze für die Rentenansprüche der Altübersiedler. Sie haben mich durch Ihre Anfragen auf eine gesetzliche Schieflage im Zusammenhang mit den Rentenansprüchen ehemaliger DDR-Übersiedler, die zwischen 1971 und 1989 nach Westdeutschland übergesiedelt waren (Altübersiedler), aufmerksam gemacht. Meines Wissens wurden über diese Website auch andere Kollegen angefragt, auch in anderen Fraktionen. Es scheint sich also um ein Problem allgemeineren Charakters zu handeln.
Das RÜG war seinerzeit dafür geschaffen worden, die Rentenbelange der Bürgerinnen und Bürger des Beitrittsgebiets nach der Wiedervereinigung zu regeln. In den erwähnten Anfragen wird mir aber geschildert, dass dieses Instrumentarium auch dazu genutzt wird, rückwirkend in die Rentenanwartschaften der Altübersiedler einzugreifen. Diese sind doch aber, wie wir wissen, bereits vor dem Fall der Mauer über Eingliederungsverfahren Bürger der alten Bundesrepublik geworden. Ihre DDR-Erwerbsbiografien waren durch diese Transformation zu bundesdeutschen Rentenanwartschaft geworden. Die Anwartschaften der Altübersiedler waren damit im westdeutschen Sozialversicherungssystem bereits fest verankert, als im Bundestag die Gesetze zum Beitritt der DDR debattiert und beschlossen wurden.
Meines Erachtens bietet das RÜG keine Grundlage dafür, gefestigte Rechtspositionen von Bundesbürgern rückwirkend noch einmal zur Disposition zu stellen. Die rückwirkende Anwendung des RÜG (insb. § 256a in Verbindung mit § 259a SGB VI) auf die FRG-gestützten Rentenanwartschaften der Altübersiedler bedeutet einen Paradigmenwechsel, der für die meisten von ihnen, insbesondere für die Hochqualifizierten unter ihnen, mit einer immensen Einbuße einhergeht. Ich habe im Übrigen den Eindruck, dass es sich hier um eine zahlenmäßig gar nicht so große Gruppe handelt.
Diese Ungerechtigkeit ist auch angesichts der vergleichsweise höheren Rentenansprüche der Angehörigen des SED-Unrechtssystems nicht hinnehmbar, zumal eine rechtliche Grundlage für eine Umbewertung der Rentenanwartschaften vom FRG auf das RÜG nicht vorhanden ist. Aufgrund dieser Umstände habe ich zwei der betroffenen Anfrager unter Ihnen zu mir eingeladen und sie angehört. Nach dem Gespräch wurde mir die falsche Handhabung beider Gesetze (RÜG und FRG) zunehmend klarer. Bemerkenswert ist auch die Reaktion der Bundesregierung auf eine Anfrage der FDP-Fraktion in diesem Zusammenhang. Die Bundesregierung umgeht den Sachverhalt und versucht die einmal getroffenen Fehlentscheidungen um jeden Preis zu verteidigen und nicht zurückzunehmen. Ihre Antwort auf die kleine Anfrage der FDP-Fraktion (vgl. Drs. 16/5571) dokumentiert leider diesen fehlenden Willen.
Sehr geehrte Damen und Herren, ich habe dieses Anliegen an die für rentenpolitischen Fragen zuständige Abgeordnete in meiner Fraktion mit der Bitte weitergeleitet, die Betroffenen bei einem Treffen anzuhören und nach Möglichkeiten zu suchen, diese Ungerechtigkeit zu beseitigen.
Mit freundlichen Grüßen
Ottmar Schreiner