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Frage von Stefan K. •

Frage an Ottmar Schreiner von Stefan K. bezüglich Soziale Sicherung

Guten Abend Herr Schreiner

Momentan gibt es ja eine sehr hitzige Diskussion zur anstehenden Hartz IV Erhöhung.
Die SPD vertritt anscheinend die Ansicht, dass die neuen Sätze viel zu niedrig sind.
Das sehe ich als SPD-Wähler nicht ganz so.
Ich selbst bin knapp 30 Jahre alt, verheiratet, ein Kind und arbeite seit 13 Jahren bei einem Unternehmen, welches zu 100% dem Bund gehört.
Monatlich komme ich auf einen Durchschnittsverdienst von 1600-1900 € netto. Ich arbeite im unregelmässigen Wechseldienst (früh, mittag,nacht) und oft auch an Wochenenden, sowie an Feiertagen.
Meinen Beruf habe ich erlernt, bin also kein Hilfsarbeiter.

Laut mehreren Hartz IV-Rechnern könnte ich Leistungen in Höhe von ca. 1270€ erwarten, wenn ich Hartz IV beziehen würde. Dazu käme dann noch das Kindergeld in Höhr von 184 €.

Ich hab mir mal die Mühe gemacht um zu errechnen, was wir monatlich ausgeben.
Mein Ergebnis ist, dass wir immer so zwischen 1360 - 1450 € liegen.
Da sind aber 150€ Spritkosten mit drin und auch unsere Autoversicherung.

Es sieht für mich also so aus, dass man auch von Hartz IV anständig leben kann, ohne das es einem am nötigsten fehlt.
Und auch nur darauf sollte Hartz IV zielen.

Weshalb will die SPD also Hartz IV-Empfänger näher an die Einkünfte der arbeitenden Bevölkerung bringen?
Es besteht dazu ja absolut keine Notwendigkeit.
Die würde mMn nur dann bestehen, wenn man Leistungen erbringen will, die weit über die Grundischerung hinausgehen.

Ich verstehe meine Partei momentan wirklich nicht.

MfG

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Kiebel,

vielen Dank für Ihre Anfrage. Gerne will ich meinen Standpunkt klarstellen.

Bei der Grundsicherung für Arbeitsuchende handelt es sich um eine bedürftigkeitsorientierte Transferleistung. Das heißt: Vorhandenes Vermögen muss offengelegt werden, Partnereinkommen werden angerechnet. Existiert ein Vermögen und Einkommen, das über den gesetzlich festgeschriebenen Freibeträgen liegt, entsteht kein Anspruch auf diese Leistung. Ein Arbeitsloser fällt also direkt nach dem Arbeitslosengeldbezug nach Aufbrauchen seines „überschüssigen“ Vermögens ungeachtet seiner Lebensleistung direkt in das bedürftigkeitsorientierte Sicherungssystem.

Die Höhe der Regelleistung orientiert sich bisher an dem einkommensschwächsten Fünftel unserer Bevölkerung. Die Datengrundlage bildet die Einkommens- und Verbrauchsstichprobe, die alle fünf Jahre durchgeführt wird. Von den Ausgabenposten insgesamt werden politisch regelsatzrelevante Posten festgelegt (erster Abschlag). Hiervon werden dann meist wiederum politisch Abschläge vorgenommen (zweiter Abschlag). Das Bundesverfassungsgericht (BVG) hat in seinem Urteil vom 9.2.2010 die Herleitung der Regelsätze als „intransparent“ und „willkürlich“ beanstandet:

/„Das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums aus Art. 1 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG sichert jedem Hilfebedürftigen diejenigen materiellen Voraussetzungen zu, die für seine physische Existenz und für ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben unerlässlich sind. Zur Ermittlung des Anspruchumfangs hat der Gesetzgeber alle existenznotwendigen Aufwendungen in einem transparenten und sachgerechten Verfahren realitätsgerecht sowie nachvollziehbar auf der Grundlage verlässlicher Zahlen und schlüssiger Berechnungsverfahren zu bemessen.“ BVG-Urteil vom 9.2.2010/

Für eine Neubemessung der Regelsätze hat das höchste Gericht eine Frist bis zum 31.12.2010 gesetzt.

Der jüngst vorgelegte Gesetzentwurf zur Neubemessung von Regelbedarfen durch die Bundesregierung erfüllt meines Erachtens diese Vorgaben nicht. Völlig unbegründet nimmt die Bundesregierung als Basis für die Festsetzung der Regelsätze statt der Referenzgruppe von 20 lediglich die untersten 15 Prozent. Dies ist weder sachgerecht noch nachvollziehbar. Hiermit ist in dieser Gruppe nur noch knapp ein Drittel, die einer Beschäftigung nachgehen. Der Rest sind Studenten und Pensionäre. Auf andere Kritikpunkte will ich hier nicht eingehen.

Auch ist mit dem BVG-Urteil das vermeintliche Lohnabstandsgebot faktisch gestrichen worden. Das BVG hat gesagt, dass ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben unerlässlich ist. Auch deshalb muss man die Argumentation /Grundsicherungsempfänger hätten keinen Anreiz zum Arbeiten/ vom Kopf auf die Füße stellen: Nicht die Grundsicherungsleistungen sind zu niedrig, sondern die in den letzten Jahren massiv ansteigende Niedriglohnbeschäftigung ist das Problem. Die Löhne passen sich also immer mehr nach unten, eben an das Sozialleistungsniveau an. Die Zahlen belegen dies eindeutig: (1) Der Paritätische Wohlfahrtsverband hat in vielen Beispielrechnungen sehr anschaulich aufgezeigt, dass das Lohnabstandsgebot trotz hohen Lohndrucks noch immer für die verschiedenen Fallkonstellationen gewahrt ist. (2) Der Niedriglohnsektor ist in den letzten Jahren überproportional angestiegen. Immer mehr Menschen müssen für immer weniger Geld arbeiten. Die Zahl der Aufstocker, das sind Menschen, die trotz Erwerbstätigkeit auf staatliche Leistungen angewiesen sind, ist ein wachsendes Problem. (3) Atypische Beschäftigungsformen üben einen massiven Druck auf das Lohngefüge nach unten aus.

Der steigende Niedriglohnsektor drückt sich auch aus in der schrumpfenden Mittelschicht. Die SPD kritisiert zu Recht die Gesetzesvorlage in verschiedenen Punkten und fordert flankierend die Einführung eines flächendeckenden Mindestlohnes, damit dem Dumpingwettlauf ein Riegel vorgeschoben werden kann. Jeder muss von seiner Hände Arbeit leben können. In schwierigen Lebenslagen jedoch auch den Schutz der Solidargemeinschaft mit einem Mindestmaß an Teilhabe in Anspruch nehmen dürfen.

Mit freundlichen Grüßen

Ottmar Schreiner