Frage an Ottmar Schreiner von Lutz C. bezüglich Finanzen
jeder weiß, dass es in der Natur für jedes Wachstum eine optimale Obergrenze gibt - kein Baum wächst in den Himmel und kein Mensch über das 20. Lebensjahr hinaus.
Jeder weiß auch, dass man bei gleichbleibender Leistung und gleichbleibendem Einkommen eigentlich nicht ärmer werden kann. Im Gegenteil: Auch ohne Wirtschaftswachstum kann jeder seinen Wohlstand durch Anhäufungen langlebiger materieller und geistiger Güter steigern, bei Produktivitätssteigerungen sogar mit sinkender Arbeitszeit! Warum aber drohen uns Ökonomen Verluste an, wenn sich die Wirtschaftsleistung stabilisiert? Warum werden Politikern die Knie weich, wenn die Wachstumsraten gegen Null zu sinken drohen? Warum rufen Gewerkschaften und Unternehmerverbände unisono nach Wirtschaftswachstum und warum wagt kaum noch jemand, auf die damit verbundenen Umweltfolgen hinzuweisen? Einen Lösungsansatz für das Dilemma, in dem sich Wirtschaft und Politik mit dem Zwang zu immer mehr Wachstum befinden, findet man bei den Vertretern der Freiwirtschaft:
Bekanntlich wird das Sozialprodukt in jedem Jahr zwischen Kapital und Arbeit aufgeteilt. Dem Kapital werden die Zinsen garantiert, das Arbeitseinkommen ist variabel. Sinkt das Wachstum unter das Zinsniveau kann es daher nur auf Kosten der Arbeitseinkommen gehen, das dann mit einem entsprechend kleineren Teil vom Kuchen des BIP vorlieb nehmen muss. Sinken die Zinsen wird das Geld zunehmend gehortet und dem Geldkreislauf entzogen oder geht in die Spekulation. Dieser Mechanismus führt zu einer immer stärkeren Umverteilung von der Arbeit zum Kapital und zu extrem unsicheren Finanzmärkten. Die Folgen: zunehmender Nachfragemangel, Arbeitslosigkeit, soziale Unruhen, Wirtschaftskrisen letztlich bis zum Kollaps.
Die Freiwirtschaft schlägt zur Überwindung dieses Systemfehlers eine kleine Änderung vor: anstatt dem Geld zur Sicherung des Geldumlaufes mittels Zinsen und Inflation Beine zu machen, sollte dies mit einer Gebühr auf Liquidität erreicht werden. Wie stehen Sie dazu?
Sehr geehrter Herr Chmelik,
vielen Dank für Ihre Frage. Die Wachstumsdiskussion ist so komplex, dass schon zahlreiche Bücher darüber verfasst wurden, dennoch stehen sich die Vertreter beider Meinungen -- Wachstum ist notwendig und Wachstum ist nicht notwendig -- oft immer noch unversöhnlich gegenüber. Sicher ist, und hier stimme ich Ihnen völlig zu, dass das Wachstum ökologische Grenzen hat.
Sicher ist ebenfalls: Weniger oder gar kein Wachstum würde die Verteilungsfragen noch schwieriger machen, als sie es bereits jetzt sind, denn ohne Wachstum muss das verteilt werden, was da ist und man kann nicht darauf ausweichen, den Zuwachs zu verteilen.
Die Lösung der Freiwirtschaftler, den Zins als Ursache allen Übels zu sehen und in seiner Überwindung den Ausweg zu sehen, teile ich allerdings nicht, unsere Probleme sind einfach zu komplex um sie auf eine einzige Ursache zurückzuführen.
Ich konzentriere mich daher darauf, die Verteilungsfrage immer wieder zu stellen, mein Ziel ist eine gerechte Gesellschaft -- für jung und alt, Männer und Frauen, Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Konkrete Vorschläge habe ich hierzu in meinem Buch "Die Gerechtigkeitslücke" gemacht, das im letzten Jahr erschienen ist.
Mit freundlichen Grüßen,
Ottmar Schreiner