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Frage von Philipp A. •

Frage an Ortwin Runde von Philipp A. bezüglich Wirtschaft

Sehr geehrter Herr Runde,

es wird, auch durch Initiative einiger aus Ihrer Fraktion, über "Investitionsgutscheine für jeden" diskutiert, - ich halte nichts davon, weil es verpufft, aber meine Frage ist, wäre es nicht möglich die Indirekten Steuern zu senken, die Mehrwertsteuer von 19 auf 16 % und die Versicherungssteuer, die meiner Ansicht nach überflüssig ist, abzuschaffen, generell indirekte Steuern runter, das würde bei allen ankommen, beim Studenten, Rentner (bin ab 1. Januar 09 Rentner wg. voller Erwerbsminderung), Arbeitslosen, usw.! ?

Eine gesegnete Advents- und Weihnachtszeit und Gottes Segen zum neuen Jahr,
von Ihrem
Philipp Anz

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Antwort von
SPD

Sehr geehrter Herr Anz,

vielen Dank für Ihre Zuschrift vom 4. Dezember. Mit Ihren Fragen und Anregungen treffen Sie jene Aspekte, die aktuell diskutiert werden, um die richtigen Maßnahmen zu finden, mit denen auf die beginnende Wirtschaftskrise reagiert wird.

Bevor man über einzelne Maßnahmen diskutiert, sollte man versuchen in Eckpunkten jene Aspekte zusammenzufassen, die einem wichtig sind und von denen man glaubt, dass man mit den für Deutschland bestehenden Spezifika in einer gemeinsamen europäischen und weltweiten Zusammenarbeit am besten aus der Krise herauskommt.

Ich möchte gern einen Versuch unternehmen, diese Aspekte zunächst abstrakt darzustellen, bevor ich zu den von Ihnen angesprochenen Einzelmaßnahmen Stellung beziehe:

1. Unsere konjunkturelle Entwicklung wird sich im nächsten Jahr nach fast allen Prognosen abschwächen. Wer deswegen ein Konjunkturpaket schnürt, und das ist sinnvoll, sollte Maßnahmen finden, die möglichst schnell stabilisierend wirken, zielgenau sind und administrativ leicht umgesetzt werden können. Das darf ruhig etwas kosten, darf also schuldenfinanziert sein. Aus den zurückliegenden Wirtschaftskrisen kann man lernen, dass diese umso teurer werden, je mehr sich diese verfestigen – und das abgesehen von den sozialen Problemen, die damit einhergehen und die sich ein Sozialdemokrat natürlich gar nicht wünschen kann. Oder anders: Wer kein Geld in die Hand nimmt und keinen verständigen Mut zur Überwindung der Krise beweist, wird in dieser kaum bestehen.
2. Deutschland ist dabei nicht allein auf der Welt. Dies ist eine Binsenwahrheit, erst recht für eine Nation, die mit ihrem Export über Jahre erfolgreich war und ist. Deswegen dürfen in der Krise gerade die internationalen Vernetzungen nicht vergessen werden. Internationale Kooperation und Koordination ist daher wesentlich bei allem, was auf dem Weg aus der Wirtschaftskrise unternommen wird. Sinnvolle Konjunkturpolitik kann für Deutschland daher nur im europäischen und internationalen Konzert stattfinden. Die bisherige deutsche Isolationspolitik durch die Bundeskanzlerin ist deswegen hochgefährlich – so konkret kann man an dieser Stelle schon durchaus werden.
3. Aus den Reaktionen auf die Weltwirtschaftskrise nach 1929 kann man ferner lernen, dass die Krise auch als Chance genutzt werden kann. Dies kann gelingen, wenn man gleichzeitig zukunftsfähige Investitionen unterstützt und es dabei glückt – insbesondere in einem Land wie Deutschland mit hohen Sparraten und Spareinlagen – die Bürgerinnen und Bürger zu motivieren, diesen Zukunftstrend zu unterstützen. Dabei ist auf die vorhandenen industriellen und wissenschaftlichen Potentiale Deutschlands aufzubauen.
4. Gleichzeitig muss man – das fordert schon das nötige Realitätsbewusstsein – die konkreten Herausforderungen annehmen. Das heißt einerseits: Wir brauchen Ansätze, mit denen wir darauf reagieren, dass wir unsere wirtschaftliche Kraft vor allem über den Export besaßen (und auch weiterhin besitzen können und werden) und zu wenig über die Binnenkaufkraft. Es bedeutet zu akzeptieren, dass die Krise definitiv kommen wird, aber ihr auch ihren Schrecken zu nehmen. Das bedeutet dann andererseits, dass die Stabilisierung unserer sozialen Sicherungssysteme Priorität besitzt, damit die Menschen das Vertrauen haben, in der Krise „nicht allein zu sein“ und aus ihr herausfinden zu können.
5. Die Gewährleistung sozialer Sicherheit ist das eine, sie mit Wegen in einen neuen wirtschaftlichen Wohlstand zu flankieren das notwendig andere. Es braucht Wege, Menschen fit zu machen auf dem Weg in die zukunftsfähigen Branchen. Das bedeutet, wir brauchen Kapazitäten der Fort- und Weiterbildung und der Know-how-Sicherung. Kurzum: Eine zukunftsfähige Investitionspolitik gibt es nur mit aktiver Arbeitsmarktpolitik.
6. Vermögende müssen zur Bewältigung der Krise mehr tun als Einkommens- und Vermögensschwächere. Das, was neu und aus der Krise konstruktiv herauswächst, muss für breite Kreise der Bevölkerung hinzuwachsen. Dies gilt umso mehr angesichts der in den vergangenen zwei Jahrzehnten in ganz Europa auseinandergegangenen Verteilungsschere. Das bedeutet aber: Kein neuer Wohlstand ohne die Akzeptanz von veränderter Verteilungspolitik zwischen Reich und Arm.
7. Das Finanzierungssystem für die Realwirtschaft braucht eine grundlegende Reform: Die Ursache der Krise liegt in einer zunächst mit Verbriefungen hochgehebelten und schließlich jede wirtschaftliche Substanz aushebelnden Finanzwirtschaft. Das gegenwärtige System von Banken und Finanzinstituten ist derzeit zu wesentlichen Teilen ferner derart mit sich selbst beschäftigt, dass es zu seiner eigentlichen Aufgabe, der Finanzierung der Wirtschaft, „kaum mehr zu kommen“ scheint.

Was bedeutet das für die von Ihnen angesprochenen Maßnahmen? Jede erfüllt einen Teil der genannten abstrakten Kriterien, längst aber nicht alle. Ich halte deswegen eine Umsatzsteuersenkung für kein geeignetes Instrument, um über ein Strohfeuer hinaus aus der problematischen wirtschaftlichen Situation zu gelangen. Auch gegenüber individuellen Steuer- oder Konjunkturschecks bin ich skeptisch. Vielmehr halte ich Investitionsprogramme in Infrastruktur für wesentlich sinnvoller. Diese Programme müsste auf einer gemeinsamen Initiative im Föderalismus beruhen, also gleichermaßen von Bund, Ländern und Gemeinden getragen sein. Dabei könnte auf bestehende Programme wie jene zur sozialen Stadt oder zur energetischen Gebäudesanierung aufgebaut werden. Letztere sollte dabei nicht nur Maßnahmen für die sog. soziale Infrastruktur (Schulen, Kindergärten, etc.) umfassen, sondern auch die Modernisierung von Verwaltungsgebäuden ermöglichen. Derartige Programme erfüllen von den von mir genannten Kriterien noch mehr als die Alternativen, die im politischen Raum stehen. Ihre Kritik kann ich deswegen nachvollziehen und möchte daher für meine Vorschläge auch bei Ihnen werben.

Ich wünsche auch Ihnen einen schönen Advent, ein frohes Fest und alles Gute für 2009

Ortwin Runde