Frage an Ortwin Runde von Alexander W. bezüglich Soziale Sicherung
Sehr geehrter Herr Runde,
die Bundesregierung hat das Existenzminimum für 2007 und 2008 auf 345 € / monatl. für einen Erwachsenen festgelegt und damit den Satz von 2006 übernommen. Die Zahl ist nicht nur für Sozialgeld- und Arbeitslosengeld - Bezieher von Bedeutung, sondern für jeden Einkommenssteuerzahler, da hierauf keine Steuern gezahlt werden müssen. Die Festlegung durch die Bundesregierung erfolgte, ohne dass die Berechnungsgrundlagen veröffentlicht wurden. Und dass, obwohl das Bundesverfassungsgericht festgelegt hatte, dass der "Gesetzgeber" die Aufgabe hat, "den in der Rechtsgemeinschaft anerkannten Mindestbedarf" einzuschätzen.
Vor diesem Hintergrund meine Fragen an Sie, Herr Runde:
1. Wie beurteilen Sie es, dass beim festgelegten Existenzminimum über Jahre hinweg nicht einmal die vom statistischen Bundesamt errechnete Inflationsrate einbezogen wird?
2. Welche Begründung gibt es, dass der Bundestag bislang darauf verzichtet hat, durch Expertenanhörungen und Debatte sich ein eigenes Bild von der Höhe des notwendigen Existenzminimums zu machen ?
3. Halten Sie das bisherige Verfahren für befriedigend oder werden Sie ggf. Ihrerseits eine Initiative zur Befassung des BT´s mit diesem Thema starten?
Mit den besten Wünschen für´s neue Jahr und freundlichen Grüßen
Alexander Weil
Sehr geehrter Herr Weil,
vielen Dank für Ihre E-Mail vom 30. Dezember. Mit dem sog. Existenzminimumbericht, den Sie ansprechen, folgt die Bundesregierung einem Beschluss des Deutschen Bundestages vom 2. Juni 1995, nach dem sie alle zwei Jahre einen Bericht über die Höhe des Existenzminimums von Erwachsenen und Kindern vorzulegen hat. Diese Berichte sind prognostisch angelegt und sollen die maßgebenden Beträge für die Bemessung der steuerfrei zu stellenden Existenzminima betreffen. Der sechste Existenzminimumbericht, dessen Ausführungen Sie ansprechen, findet sich in der Bundestagsdrucksache 16/ 3245 und kann über die Internetseite des Deutschen Bundestags von allen Bürgerinnen und Bürgern abgerufen werden.
In dem Bericht wird ausgeführt, dass die Höhe des steuerlich zu verschonenden Existenzminimums von den allgemeinen wirtschaftlichen Verhältnissen und dem in der Rechtsgemeinschaft anerkannten Mindestbedarf abhängt. Diese etwas knöchern anmutende Formulierung geht auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zurück, in der auch eine Wechselbeziehung zwischen Sozial- und Steuerrecht angesprochen wird und die auf die von Ihnen gebrachte Kurzformel zuläuft, dass die Höhe des steuerfreien Existenzminimums nicht geringer sein darf als ein im Sozialhilferecht anerkannter Mindestbedarf.
Damit zu Ihrer Frage zu 1.: Die Festlegung des im Sozialhilferecht anerkannten Mindestbedarfes ist im 12. Buch des Sozialgesetzbuches (SGB XII) in Verbindung mit der sog. Regelsatzverordnung geregelt. Bei der letzten Überprüfung des Mindestbedarfes durch die Bundesregierung anhand der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) 2003 ist erstmals eine gesamtdeutsche Struktur zugrunde gelegt worden. Dies hatte zur Folge, dass am Ende kein mehr nach Ost und West getrennter Regelsatz festgelegt worden ist. Neu an der EVS 2003 war ferner, dass ihr ein aktualisiertes Verbraucherverhalten zugrunde gelegt wurde. Zwischen zwei Einkommens- und Verbrauchsstichproben werden vor allem die Rentenanpassungen im gegenwärtigen System herangezogen. Wenn damit über Jahre hinweg keine Berücksichtigung der Inflationsrate erfolgen sollte, so wäre das eine bedenkliche Entwicklung, die genauer beobachtet sein will.
Erlauben Sie mir in diesem Zusammenhang allerdings eine Anmerkung: Das einkommensteuerfrei gestellte Existenzminimum beträgt gegenwärtig 7.664 Euro – und wurde übrigens von der von SPD und Grünen gebildeten Bundesregierung zwischen 2000 und 2004 um mehr als 1.300 Euro angehoben (1998 hatte es nur 6.322 Euro betragen). Monatlich sind damit rund 638 Euro freigestellt. Schon weil mir der Aspekt der Verteilungsgerechtigkeit in der Politik sehr wichtig ist, werde ich in der Zukunft sehr genau verfolgen, ob dieser Betrag noch sachgerecht ausgestaltet ist.
Zu Ihrer 2. Frage: Im vergangenen Jahr hat sich der Deutsche Bundestag, insbesondere der Ausschuss für Arbeit und Soziales in seiner Sitzung am 16.10.2006, mit der von Ihnen aufgeworfenen Frage befasst (Das Protokoll finden Sie unter http://www.bundestag.de/ausschuesse/a11/anhoerungen/fSGB12/iprotokoll.pdf ). Der Finanzausschuss hat den 6. Existenzminimumbericht in seiner Sitzung am 13.12.2006 diskutiert. Deswegen anzunehmen, die Abgeordneten aller Fraktionen hätten auf eine Erörterung verzichtet, ist, vorsichtig gesprochen, aus meiner Sicht nicht gerechtfertigt und beruht Ihrerseits wahrscheinlich auf einer unzutreffenden Information. Somit dürfte sich auch Ihre dritte Frage erledigt haben. Ich habe bereits betont, dass mir das Thema sehr am Herzen liegt. Eine regelmäßige Befassung ist für mich wie für meine SPD-Fraktionskolleginnen und –kollegen selbstverständlich. Wir werden mittelfristig – d.h. für den Fall auch zukünftig stagnierender Renten – dann auch in Betracht ziehen, die Systemgerechtigkeit der derzeitigen EVS-Anbindung zu diskutieren und Folgen daraus zu ziehen. Angesichts des momentanen konjunkturellen Verlaufes und der Hoffnung auf kräftige Lohnerhöhungen in der nächsten Tarifrunde, die hoffentlich auch eine über der Inflationsrate liegende Rentenanpassung zur Folge hat, wird man hier jedoch noch eine genauere Beobachtung der Verhältnisse durchführen müssen.
Ich wünsche Ihnen alles Gute für 2007 und sende freundliche Grüße aus Berlin
Ortwin Runde