Frage an Ortwin Runde von Udo-E. W. bezüglich Arbeit und Beschäftigung
Sehr geehrte
Zu nachfolgenden Themenkomplexen fallen mir immer wieder Fragen ein, die mir bisher von keiner Partei beantwortet wurden:
· es wird von allen Seiten bedauert, dass in Deutschland zu wenig Kinder geboren werden. Gleichzeitig jedoch wird aus Wirtschaftskreisen die höchstmögliche Flexibilität und Mobilität von den Arbeitnehmern gefordert. Gleichzeitig soll die Pendlerpauschale abgeschafft werden. Wer soll denn unter diesen Bedingungen noch Kinder in die Welt setzen?
· Wie verträgt sich die Forderung nach Heraufsetzung des Rentenalters mit der Tatsache, dass immer weniger Firmen ältere Arbeitnehmer beschäftigen? Sind die Menschen zwischen 50 und 70 Jahren alle für Hartz IV vorgesehen?
· Wegen fehlender Steuereinnahmen werden immer mehr staatliche Leistungen im sozialen und Gesundheitsbereich gekürzt. Dabei bräuchten die Einnahmen nicht fehlen, wenn sich der Staat (Bund, Länder und Gemeinden) das ihm zustehende Geld holen würde. Warum haben große Firmen so viele Abschreibungsmöglichkeiten, dass sie praktisch keine Steuern mehr bezahlen müssen? Warum haben „reiche“ Hamburger Stadtteile wie Wellingsbüttel und Blankenese das geringste Steueraufkommen?
· Warum wird die Auslagerung von Produktionen ins Ausland steuerlich begünstigt? Ist es sinnvoll, öffentlich zu einem Boykott von Firmen aufzurufen, die ihre Produktion ins Ausland verlagern und gleichzeitig in Deutschland Arbeitspläte vernichten?
Wie steht Ihre Partei zu diesen brennenden Fragen?
Mit freundlichen Grüßen
Udo-E. Witzel
Sehr geehrter Herr Witzel,
vielen Dank für Ihre Fragen. Allerdings gebe ich zu, dass ich nicht unbedingt der richtige Adressat dafür bin.
Ihre erste Frage beziehen Sie auf die Äußerungen von Wirtschaftsvertretern nach mehr Flexibilität und Mobilität und beziehen darauf die Überlegungen insbesondere in der Union, die Pendlerpauschale zu kürzen. In der Tat scheint da etwas nicht zusammen zu passen, zumindest wenn man eine familienfreundliche Politik machen will. Aus diesem Grund hat die SPD hier in den vergangenen Jahren ihrer Regierungspolitik versucht, die richtige Balance zu halten. Da die angesprochenen Forderungen in der von Ihnen zitierten Härte nicht von der SPD, sondern von der Union und aus der Wirtschaft vertreten wird, rege ich an, die Frage dort anzubringen.
Ähnliches gilt für die
Forderung, das Rentenalter heraufzusetzen. Auch sie wird von der SPD nicht vertreten. Die SPD vertritt das Ziel, das faktische Renteneintrittsalter von 65 Jahren an das gesetzliche heranzuführen. Im Moment liegt der durchschnittliche Renteneintritt bei 60 bzw. 63 Jahren. Das heißt: Da ist noch Luft, die es zu nutzen gilt, um die Finanzierung des Rentensystems sozialverträglich zu gestalten. Jeder der ein höheres Alter vorschlägt, muss auch sagen, wie er mit den zusätzlichen altersbedingten Gesundheitsgefahren und damit der Konkurrenzsituation für Ältere am Arbeitsmarkt umzugehen gedenkt, damit daraus keine effektive Rentenkürzung wird. Dabei verstehe ich Ihre Besorgnis mit Blick auf die schwierige faktische Arbeitsmarktlage von über 50-jährigen. Allerdings möchte ich darauf verweisen, dass die SPD in den zurückliegenden sieben Jahren sehr viel dafür getan hat, dass sich die Wettbewerbsbedingungen für die Über-50-jährigen verbessert haben: Über 50-jährige bringen aus sozialdemokratischer Sicht nicht nur viel berufliche Erfahrung mit. Bei Neueinstellungen gilt für sie schon jetzt ein flexibleres Kündigungsschutz- und Befristungsrecht. Hinzu kommt die mögliche Übernahme der Arbeitslosenversicherungsbeiträge und Entgeltsicherungen durch die Bundesagentur für Arbeit. Zusätzlich hat die SPD die Förderung der Weiterbildung, innovative Arbeitsmarktprojekte und eine intensivere Betreuung in den Job-Centern auf den Weg gebracht. Über 50-jährige sollten auf diese Wettbewerbsvorteile durchaus auch in ihren Bewerbungen hinweisen. Denn sicherlich müssen wir diese Aspekte in den Köpfen der Personalmanager intensiver zum Klingen bringen als bisher. <>Ihre Frage zur Finanzierung des Gesundheitswesens verbinden Sie mit der Frage nach der Begrenzung steuerlicher Abschreibungsmöglichkeiten. Tatsächlich ist die Finanzierung des
Gesundheitswesens von der Finanzierung des Staates überhaupt (d.h. durch Steuern) prinzipiell getrennt. Es ist eine viel diskutierte Frage, ob man das Gesundheitswesen mit Steuermitteln querfinanzieren soll oder nicht. Alternativ – und hierfür tritt die SPD ein – ist das Finanzierungssystem der gesetzlichen Krankenkasse durch eine Bürgerversicherung zu stärken. Bürgerversicherung heißt: Jeder ist versichert. Gutverdienende, Beamte, Selbständige und Politiker werden in die solidarische Finanzierung der Krankenversicherung einbezogen. Jeder zahlt entsprechend seiner Leistungsfähigkeit. Die beitragsfreie Familienversicherung bleibt. Das sichert aus unserer Sicht einen hohen Versorgungsstandard für uns alle. Und weil die Finanzierung des Gesundheitssystems von der durch Steuern getrennt bleibt, bleibt der dort bestehende Bedarf auch transparenter, als wenn er über den allgemeinen Haushalt geführt würde. Womit ich bei Ihrer zweiten Frage in diesem Komplex bin: Tatsächlich hat die SPD in den vergangenen sieben Jahren dafür gesorgt, dass die Abschreibungsmöglichkeiten, oder besser: Verlustverrechnungsmöglichkeiten für Einkommensstarke limitiert worden sind. Effektiv müssten daher auch mehr Gutverdienende mehr Steuern zahlen als noch 1997. Es gibt Zahlen, die darauf hinweisen (wegen des Steuergeheimnisses kann man dies natürlich nicht eins zu eins belegen). Ich gebe allerdings zu, dass wir mit dem Steuersubventionsabbau noch nicht an ein aus Sicht der SPD wünschenswertes Ende gelangt sind. Dafür – oder besser dagegen – hat die Unionsmehrheit im Bundesrat gesorgt. Um hier für mehr Nachdenklichkeit zu sorgen, wäre es wichtig, wenn Sie Ihre Stimme am 18.September der SPD geben.
Zu Ihrer letzten Frage, die die vermeintliche oder echte steuerliche Begünstigung der Auslagerung von Produktionen ins Ausland betrifft. Da eine eingehende Stellungnahme im Zusammenhang mit kandidatenwatch.de zu weit führen würde, erlaube ich mir nur ein paar stichpunktartige Hinweise. Im Kern geht es dabei um den wirklich nicht einfachen § 8b Körperschaftsteuergesetz und u.a. um die Frage, ob und wie häufig deutsche Mutterunternehmen (Untenehmen in Deutschland) mit Töchtern im Ausland den (im Ausland schon versteuerten ?!?) Gewinn Ihrer Töchter nochmals in Deutschland versteuern müssen. Natürlich betreffen solche Fragen auch die Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen. Und es geht um die Frage, ob und inwieweit der Aufwand, der mit der Einrichtung von Tochterunternehmen im Ausland verbunden ist (um auch dort Waren zu verkaufen, etc.) in Deutschland steuerlich geltend gemacht werden darf. Sie entnehmen dieser Erklärung schon: Das ist reichlich kompliziert. Und es ist so kompliziert, weil „wir“ davon sehr gut leben: Schließlich ist Deutschland „Exportweltmeister“. Ein öffentlicher Boykottaufruf gegen Unternehmen, die international agieren, erscheint mir daher nicht sinnvoll. Wie gesagt: Wir profitieren auch von den internationalen Handelsbeziehungen. Das heißt wiederum nicht, dass wir uns – die vorgenannte Vorschrift des Körperschaftsteuergesetzes betreffend – nicht Gedanken machen dürften, wie wir sie verändern, damit der von Ihnen befürchtete Effekt nicht eintritt. Daran arbeiten wir.
Mit freundlichen Grüßen
Ortwin Runde