Frage an Norbert Brackmann von Jörn T.
Sehr geehrter Herr Brackmann,
Am 4. Januar 2015 erschien auf Spiegel-Online ein Artikel zu dem TTIP-Abkommen ("Agrarminister Schmidt zu TTIP: Wir können nicht mehr jede Wurst schützen"). Zu diesem Artikel wurden am gleichen Tag über 1.000 Leserkommentare online gestellt. Das ist ein Rekord. Ich behaupte, das Thema TTIP und TISA regt die Wähler auf.
Darf ich Sie fragen, wie Sie abstimmen werden?
Ich bin seit 35 Jahren Außenhandelskaufmann. Durch die WTO (World Trade Organization) haben wir mit dem Nahen Osten, dem Fernen Osten, Indien und Amerika sämtliche Zollschranken abgebaut. Ich kann nicht erkennen, weshalb TTIP den Handel zwischen den USA und der EU beleben soll. Es gibt zwischen diesen beiden Wirtschaftsblöcken fast keine Handelshemmnisse mehr.
Das Problem ist vielmehr, das die USA dermaßen überschuldet sind, daß sie niemals mehr ihre Verbindlichkeiten gegenüber den Gläubigerstaaten (China, Deutschland, Japan usw) werden begleichen können. Aus diesem Grund streben die USA nun auch nach der wirtschaftlichen Weltherrschaft. Gemäß TTIP werden künftig geheime Schiedsgerichte Streitigkeiten zwischen Konzernen und Regierungen regeln. Das wird dazu führen, dass TTIP unseren Sozialstaat, unsere Justiz, unseren Umweltschutz, unser Finanzsystem, unsere Versorgungsunternehmen, schlicht unsere gesamte Daseinsfürsorge und Demokratie zerschlagen wird. Nutznießer werden die US-amerikanischen Konzerne sein.
Sind die Abgeordneten der großen Koalition wirklich so naiv, dieses nicht zu durchschauen. Können Sie es verantworten, einem Gesetzeswerk von mehr als 5.000 Seiten zuzustimmen, ohne die Folgen einschätzen zu können?
Wollen Sie das wirklich?
PS: Info zum Thema TISA unter http://www.tagesschau.de/wirtschaft/tisa-102.html
mit freundlichen Grüßen
Jörn Timmermann
Sehr geehrter Herr Timmermann,
vielen Dank für Ihr Schreiben vom 05. Januar 2015 zum Thema TTIP und CETA.
Wie ich abstimmen werde, wenn die jeweiligen Abkommen in den Bundestag eingebracht werden, kann ich momentan nicht sagen. Denn auch ich werde erst die Vertragsverhandlungen abwarten und aufgrund der endgültigen Verträge entscheiden.
Für die Regelungen der internationalen Handelspolitik der EU-Mitgliedstaaten ist nach den EU-Verträgen seit Jahrzehnten die EU zuständig. Allerdings bedürfen Handels- und Investitionsabkommen, die die Zuständigkeiten sowohl der EU als auch der EU-Mitgliedsstaaten betreffen, der Ratifizierung auch der nationalen Parlamente in der EU, also auch des Deutschen Bundestags. Die Bundesregierung informiert den Bundestag und Bundesrat mit regelmäßigen Berichten etwa aus dem Handelspolitischen Ausschuss (Dienstleistungen und Investitionen) über Berichte der EU-Kommission zum Fortschritt von Verhandlungen und leitet die entscheidenden Dokumente hierzu an den Bundestag und Bundesrat weiter. Mittlerweile hat die EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström umfassende Vertragspassagen ins Netz gestellt ( http://trade.ec.europa.eu/doclib/press/index.cfm?id=1230&title=Now-online-EU-negotiating-texts-in-TTIP ).
Durch die Abkommen soll der Marktzugang durch den Abbau tarifärer und nicht-tarifärer Handelshemmnisse im gegenseitigen Einvernehmen verbessert werden. Unter die nicht-tarifären Handelshemmnisse fallen Instrumente der Außenhandelspolitik, die nicht Zölle, Abschöpfungen oder Exportsubventionen sind. Insofern bestehen noch Handelshemmnisse zwischen den EU-Staaten und den USA. Normen sollen aber nur dort angeglichen werden, wo dies bei gleichem Schutzniveau für Bürgerinnen und Bürger möglich ist.
Die Bundesregierung sieht grundsätzlich keine Notwendigkeit der Einbeziehung von Regelungen zum Investitionsschutz und zu Investor-Staat-Schiedsverfahren, da Investoren in den USA hinreichenden Schutz vor nationalen Gerichten haben. Gleiches gilt für amerikanische Investoren in der EU.
Es gibt jedoch auch Argumente, die für die Einführung der Investor-Staat-Schiedsverfahren sprechen. So sind die Kapazitäten der staatlichen deutschen Gerichte begrenzt. Und die mitunter sehr umfangreichen wirtschaftlichen Verfahren könnten eine zusätzliche Belastung für die deutschen Gerichte schaffen. Zudem müssten deutsche Unternehmen mitunter ihre Rechtsstreitigkeiten in den USA austragen, was zu erheblichen Prozesskosten und Schadensersatzforderungen führen könnte.
Meines Erachtens wäre beispielsweise eine Berufung von Bundesrichtern für eine Liste von Schiedsrichtern, ähnlich der Berufung der Bundesrichter und Bundesverfassungsrichter durch den Deutschen Bundestag zu bevorzugen. Dies würde den juristischen Sachverstand der Schiedsgerichte sicherstellen.
Momentan wurden die Verhandlungen zum Investitionsschutzkapitel aufgrund der erheblichen Bedenken der Öffentlichkeit von der EU-Kommission ausgesetzt. Es wird eine dreimonatige öffentliche Konsultation zu diesem Thema durchgeführt. Nach Abschluss der Konsultationen will die europäische Kommission die Ergebnisse auswerten und dann ihre Verhandlungsposition mit den Mitgliedsstaaten abstimmen.
Das Freihandelsabkommen verpflichtet die Mitgliedstaaten nicht zur Liberalisierung oder Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen, zum Beispiel des öffentlichen Gesundheitswesens, des öffentlichen Verkehrswesens oder des Bildungswesens. Selbst in Bereichen, in denen öffentliche Versorgung privatisiert wird, behält die EU das Recht, bestimmte Sektoren von allen Liberalisierungs-verpflichtungen auszunehmen. Schon das Handelsabkommen CETA enthält keine Verpflichtung zur Privatisierung von öffentlichen Dienstleistungen. Handelsabkommen sind nach einhelliger Auffassung der EU-Mitgliedstaaten kein Mittel zur Privatisierung, daher enthält auch kein Abkommen der EU solche Pflichten. Auch eine Rekommunalisierung wird durch CETA nicht versperrt. Ich gehe davon aus, dass dies ebenso für TTIP gelten wird.
Die Freihandelsabkommen sind nach meiner Ansicht gerade für unsere exportorientierte Nation von großer Bedeutung. Der internationale Handel ist Grundlage unseres Wohlstandes und bietet uns die Möglichkeit, unsere sozialen und umweltpolitischen Standards weltweit zu verbreiten.
Mit freundlichen Grüßen
Norbert Brackmann